59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
Wissensvermittlung zu Lebensstilinterventionen: Wie lassen sich Anforderungen, Erwartungen und Möglichkeiten zusammenbringen?
Text
Hintergrund: Lebensstilinterventionen sind eine wichtige Säule leitliniengerechter Versorgung von chronischen Erkrankungen. Zwar kann ärztliche Beratung positive Effekte auf Verhaltensänderung der PatientInnen haben, knappe Gesprächszeit sowie Einstellungen der PatientInnen stehen einer Aufklärung jedoch häufig im Wege
Zielsetzung/Fragestellung: Welche Anforderungen an Wissensvermittlung zu Lebensstilinterventionen gibt es in der Praxis? Wie lassen sie sich mit Erwartungen und Möglichkeiten von PatientInnen und ÄrztInnen vereinbaren?
Material und Methoden: Im Rahmen nutzerzentrierter Entwicklung evidenzbasierter Gesundheitsinformationen wurden qualitative, leitfadengestützte Interviews mit ÄrztInnen (n=60) sowie PatientInnen (n=36) zu Themen Ernährung, Bewegung, Alkoholkonsum, Rauchentwöhnung sowie Hypertonie und Koronarer Herzkrankheit durchgeführt. Die Interviews wurden inhaltsanalytisch ausgewertet. Daraus wurden themenübergreifend Ansätze für die Wissensvermittlung in der Praxis abgeleitet.
Ergebnisse: Obwohl Lebensstilberatung aus ärztlicher Sicht unumstritten relevant ist, sind die praktischen Möglichkeiten eingeschränkt:
- Präventionsthemen werden als „gesellschaftliches Problem“ mit geringem Wirkungsgrad des ärztlichen Gesprächs betrachtet;
- Lebensstilberatung wird durch ablehnende Haltung der PatientInnen gehemmt;
- Komplexität der Themen erhöht den Beratungsaufwand, der vorhandene Gesprächszeit übersteigt.
Auch PatientInnen nehmen den Zeitmangel wahr und vermeiden Nachfragen, sodass ihre Erwartungen unzureichend adressiert werden.
Nutzung von Anschauungsmaterial im Gespräch ist ein Ansatz zur Überbrückung von Zeitmangel. Eine Kurzberatung (brief intervention) kann eine Alternative zur aufwendigen motivierenden Gesprächsführung darstellen, unterstützt durch Materialien zum Mitgeben mit konkreten Tipps zur Umsetzung von Maßnahmen und Verweisen auf vertiefende Inhalte. Entsprechende PatientInnen-Tools, die in Vorbereitung auf Folgetermine ausgegeben werden, können die gemeinsamen Zielvereinbarungen unterstützen und so zur Steigerung der Adhärenz beitragen.
Diskussion: Der Zeitmangel im Gespräch macht es schwer, PatientInnen mit ausreichendem Wissen zu Lebensstilmaßnahmen zu versorgen. Niedrigschwellige Formate, die die Anforderungen des Praxisalltags erfüllen und die Erwartungen der PatientInnen adressieren, können die Wissensvermittlung unterstützen.
Take Home Message für die Praxis: Eine leitliniengerechte Versorgung unter gegebenen Bedingungen erfordert neue Wege und Mittel der Patientenkommunikation.