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59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) e.V.
01.-03.10.2025
Hannover


Meeting Abstract

Effekte von Handlungsempfehlungen zur Einbindung von Arztpraxis, ärztlichem Bereitschaftsdienst oder Rettungsdienst bei Notfällen in Pflegeheimen – Ergebnisse aus dem Innovationsfondprojekt NOVELLE

Andreas Günther 1
Thorben Breitkreuz 2
Sybille Schmid 3
Uta Weidlich-Wichmann 4
1Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Allgemeinmedizin und Palliativmedizin, Hannover, Deutschland
2aQua-Institut GmbH, Gesundheitsberichterstattung und Biometrie, Deutschland
3Stadt Braunschweig, Verwaltung und Trägeraufgaben Rettungsdienst, Braunschweig, Deutschland
4aQua-Institut GmbH, Evaluation und Implementierungsforschung, Deutschland

Text

Hintergrund: Ziel des Innovationsfondprojektes NOVELLE ist es, potenziell vermeidbare Notfalleinsätze und Krankenhauszuweisungen aus Pflegeeinrichtungen (PE) zu reduzieren. Adressiert werden Pflegefachpersonen (PFP) mit Handlungsempfehlungen (HE) ob bei Notfällen Hausarztpraxis, ärztlicher Bereitschaftsdienst oder Rettungsdienst eingebunden werden soll. Die HE wurden von 2019 bis 2023 in der Projektregion Stadt Braunschweig entwickelt und implementiert. Nun liegen die Evaluationsergebnisse vor.

Zielsetzung/Fragestellung: Welche Implikationen ergeben sich aus den Evaluationsergebnissen und der Begleitforschung für Hausarztpraxen?

Material und Methoden: Verschiedene PE bildeten eine Interventionsgruppe (IG) und eine Kontrollgruppe (KG). Sekundär ausgewertet wurden kommunale Daten des Rettungsdienstes und des Sterberegisters. Zusätzlich erfolgten quantitative und qualitative Primärdatenerhebungen.

Für das primäre Outcome wurde die Anzahl der Notfallrettungseinsätze je Pflegeplatz und Jahr (NFR) in IG und KG sowie vor und nach Intervention mit Hilfe eines Difference-in-Difference-Ansatzes (DiD) verglichen. Ebenso wurden der Anteil des Sterbeortes Krankenhaus (SterbKH), die Handlungssicherheit der PFP, die Implementierungsvoraussetzungen und Kosteneffekte evaluiert.

Ergebnisse: Die IG umfasste 8 PE mit insgesamt 804 Plätzen, die KG 7 PE mit 644 Plätzen; für Anwendungen der HE wurden 108 Erhebungsbögen ausgewertet; Pre-post-Befragungen von PFP hatten Rücklaufquoten von 44% und 20% in der IG, in der KG 20% und 23%.

NFR sank in der IG von 1,20 auf 0,99; 17,4% (95%-Konfidenzintervall 10,3–24,3%), in der KG von 1,34 auf 1,28; 4,5% (3,9–13,0%); DiD-Ratio 0,87 (0,73–1,03; p=0,095).

SterbKH sank in der IG von 37,4% auf 32,3%, in der KG von 36,4% auf 31,8%; DiD-Ratio 0,94 (0,48–1,84; p=0,852).

Die subjektive Handlungssicherheit war in IG und KG hoch, erhöhte sich in der IG und blieb in der KG konstant. Die Rettungsdienstkosten reduzierten sich in der IG signifikant. Dies konnte nicht der Intervention zugeschrieben werden.

Diskussion: Die Evaluation konnte die Wirksamkeit der HE nicht nachweisen. Starken Einfluss hatte die Covid-19-Pandemie. Die Begleitforschung zum Projekt offenbarte verschiedene Kontextfaktoren, die Entscheidungen bei Notfällen in PE erheblich beeinflussen, z.B. durch priorisierte Kommunikationsmöglichkeiten für PE mit Hausarztpraxen.

Take Home Message für die Praxis: Kontextbedingungen bei Notfällen in Pflegeheimen können medizinisch fragwürdige Krankenhauszuweisungen provozieren. Diese Bedingungen können teilweise hausärztlich beeinflusst werden.