59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
Assistenz bei der Selbsttötung in Deutschland: eine Umfrage zu Anfragen nach assistierter Selbsttötung und aktueller Praxis
2Universitätsklinikum der LMU, Abteilung für Palliativmedizin, Deutschland
3Klinikum Ingolstadt, Zentrum für Seelische Gesundheit, Ingolstadt, Deutschland
4Universitätsklinikum der LMU, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Deutschland
5Ludwig-Maximilians Universität München, Institut für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin, München, Deutschland
6Universitätsmedizin Göttingen, Akademie für Ethik in der Medizin/Institut für Ethik und Geschichte der Medizin, Göttingen, Deutschland
Text
Hintergrund: Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts 2020 entwickelt sich die Praxis der assistierten Selbsttötung in Deutschland. Herausforderungen sind unter anderem die Beurteilung der Freiverantwortlichkeit und praktische Aspekte der assistierten Selbsttötung.
Zielsetzung/Fragestellung: Ziel dieser Studie war es, Merkmale der aktuellen Praxis bei (Anfragen nach) Suizidassistenz in Deutschland zu erfassen.
Material und Methoden: Im April 2024 führten wir eine anonyme, offene Online-Umfrage unter 672 angemeldeten Teilnehmer:innen für eine Online-Fortbildung zur Assistenz bei der Selbsttötung durch. Es erfolgte eine deskriptive statistische Analyse sowie inhaltsanalytische Auswertung der Freitext-Antworten. Zudem wurde im November 2024 ein offenes Online-Register für Fallberichte zur Assistenz bei der Selbsttötung implementiert.
Ergebnisse: Von 234 Teilnehmenden, die auf die Umfrage zugegriffen haben, wurden 128 eingeschlossen. 78/128 (60,9%) berichteten von 1 bis 5 Anfragen nach Assistenz bei der Selbsttötung in den letzten 12 Monate. 10/128 (7,8%) gaben an, in den letzten 12 Monaten bei einer Selbsttötung assistiert zu haben. Die Beurteilung der Freiverantwortlichkeit sowie die Information und Beratung erfolgte unter Beteiligung unterschiedlicher Personen- und Berufsgruppen. Die Zeit zwischen der Selbstverabreichung einer tödlichen Substanz und dem Tod betrug zwischen fünf Minuten und sieben Stunden. Im Zeitraum vom 1. November bis 24 April 2025 haben entsprechend der vorläufigen Analyse 167 Personen fallbezogene Angaben zu (Anfragen nach) Suizidassistenz in einem Online-Register gemacht. Der am häufigsten genannte Grund für eine Anfrage nach Assistenz bei der Selbsttötung war die Sorge vor Verlust der Unabhängigkeit (33/167; 20%). Krebserkrankungen waren die häufigste Diagnose (38/167; 23%). In unserem Beitrag fokussieren wir uns auf den Vergleich der Daten zu berichteten Fällen von Suizidassistenz mit den Fällen, in denen keine Suizidassistenz durchgeführt wurde.
Diskussion: Im Lichte der berichteten Heterogenität sollte definiert werden, wie eine verantwortbare Praxis des Umgangs mit (Anfragen nach) assistierter Selbsttötung gestaltet werden kann. Interdisziplinäre Forschung ist notwendig, um eine verantwortbare Praxis zu unterstützen.
Take Home Message für die Praxis: Fallbezogene Unterschiede bei Anfragen nach Suizidassistenz erfordern individuelle Kompetenzen sowie eine Vernetzung zwischen Expert:innen.