59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
Nicht-intendierte Effekte von Gesundheitskommunikation am Beispiel der bundesweiten Cannabis-Präventionskampagne
Text
Hintergrund: Der Konsum von nicht-medizinischem Cannabis ist häufig, besonders unter Heranwachsenden. Im Zuge der Teillegalisierung von nicht-medizinischem Cannabis in Deutschland startete das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) im Sommer 2023 die bundesweite Aufklärungskampagne „Legal aber“, um Heranwachsende über Gesundheitsrisiken des Cannabiskonsums aufmerksam zu machen. Gesundheitskommunikationskampagnen (GKK) wie diese sollen über Gesundheitsrisiken aufklären, Einstellungen verändern und Gesundheitsverhalten fördern, doch nicht immer bewirken sie die gewünschten Effekte. Auch nicht-intendierte, gegenläufige Effekte wie z.B. Reaktanz oder Stigmatisierung können auftreten und sich negativ auf das eigentliche Kampagnenziel auswirken.
Zielsetzung/Fragestellung: Untersuchung der Cannabis-Aufklärungsplakate des BMG auf nicht-intendierte Effekte von GKK
Material und Methoden: Cho und Salmon (2007) haben auf Basis vorhandener Studien eine Typologie nicht-intendierter Effekte von GKK erstellt. Anhand dieser wurden die Plakate auf nicht-intendierte Effekte deduktiv qualitativ durch JR und AS untersucht.
Ergebnisse: Es konnten häufige nicht-intendierte Effekte identifiziert werden. Die Plakate bieten durch einseitige und vereinfachte Darstellung der Fakten und ungünstiger Verwendung von Jugendsprache Potenzial für Missverständnisse. Sie vermitteln ablehnende Einstellungen und reproduzieren gesellschaftliche Stigmata über Konsumierende. Zudem wird durch einseitige Ursachenzuschreibung von gesundheitlichen Risiken des Konsums die Schuldhaftigkeit für negative Konsequenzen verzerrt und allein auf den Konsumierenden attribuiert. Die Formulierungsweise der Plakatbotschaften und die Verwendung von Furchtappellen erhöhen die Wahrscheinlichkeit von Reaktanz in Rezipierenden, was zu Bumerang-Effekten führen kann.
Diskussion: Die Plakate weisen Risiken für nicht-intendierte Effekte auf und gehen mit der Gefahr einher, das Kampagnenziel zu verfehlen. Sie können aus hausärztlicher Sicht nicht empfohlen werden. Wichtige Regeln der Gesundheitskommunikation, z. B. positive Formulierungen oder das Einbeziehen von Testimonials wurden nicht genutzt.
Take Home Message für die Praxis: Deutschland benötigt dringend eine effektive Cannabisprävention für Heranwachsende. Dabei ist ein evidenzbasiertes Vorgehen von hoher Relevanz. Qualitativ hochwertige Präventionsmaterialien wären auch in hausärztlichen Kontext gut nutzbar.