59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
Die Versorgung von Familienmitgliedern in Hausarztpraxen – Zugangswege zur Erhebung von Versorgungsdaten
Text
Hintergrund: Die Behandlung mehrerer Familienmitglieder in einer Hausarztpraxis (HA-Praxis) ist ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen medizinischen Fachdisziplinen. Sie lässt interfamiliäre Zusammenhänge in Bezug auf Krankheitsvulnerabilitäten und Gesundheitsverhalten erkennen. Bisher gibt es keine Studien aus Deutschland, wie viele Patient:innen mit mehreren Familienmitgliedern in einer HA-Praxis versorgt werden und mit welchen Methoden sich diese Daten gewinnen lassen.
Zielsetzung/Fragestellung: Machbarkeitsstudie: Wie viele Mitglieder einer Familie werden gemeinsam in einer HA-Praxis versorgt? Über welche Zugangswege können diese Daten erhoben werden?
Material und Methoden: Drei Personengruppen wurden zur Mitbehandlung von Familienangehörigen hausärztlicher Patient:innen befragt: Patient:innen, Ärzt:innen und MFA. In 6 Praxen (städtisch/ländlich) wurden 2023–2024 an je einem Halbtag konsekutiv alle Patient:innen (>18 Jahre, ohne kognitive Einschränkungen) im Wartezimmer mit vier Multiple-Choice-Fragebogen-Items zur Mitbehandlung von Familienmitgliedern befragt. Alle Ärzt:innen und eine MFA der gleichen Praxis gaben per Fragebogen über ihre Kenntnis zur Mitbehandlung Angehöriger der gleichen Patient:innen Auskunft. Die Daten wurden quantitativ mit deskriptiver Statistik ausgewertet.
Ergebnisse: Etwa 2/3 der Patient:innen (102 von 138) gaben an, dass Familienmitglieder in derselben HA-Praxis mitbehandelt werden. 49 Patient:innen berichteten, dass ein weiteres Familienmitglied mitbehandelt wurde, bei 17 Patient:innen waren es zwei, bei 36 Patient:innen mehr als zwei Familienmitglieder. Am häufigsten wurden Partner:innen, Kinder und Elternteile mitbehandelt. Die Angaben der Ärzt:innen und MFA differierten von den Patientenangaben bezogen auf die vermutete Anzahl von Patient:innen mit mitbehandelten Familienmitgliedern; die MFA lagen näher an den Angaben der Patient:innen.
Diskussion: Die Mitbehandlung von Familienmitgliedern in HA-Praxen ist so häufig, dass eine repräsentative Studie zu diesem Phänomen sinnvoll ist, um zu Daten auch in Bezug auf regionale und z.B. sozio-ökonomische Einflussfaktoren zu kommen.
Take Home Message für die Praxis: Die von vielen Patient:innen praktizierte familiäre Mitbehandlung in HA-Praxen kann als Auftrag verstanden werden, die familienmedizinische Versorgung zu konkretisieren und zu verbessern. Das Potenzial, familiäre Kontextfaktoren und bio-psycho-soziale Zusammenhänge dadurch besser verstehen zu können, sollte nicht ungenutzt bleiben.