59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
Das trans-freundliche Beratungsgespräch im hausärztlichen Kontext – Ergebnisse einer qualitativen Interviewstudie
Text
Hintergrund: Trans Personen haben statistisch einen schlechteren allgemeinen Gesundheitszustand und sind multidimensionalen Barrieren in der Gesundheitsversorgung ausgesetzt. Es bestehen Defizite in den medizinischen Rahmenbedingungen und der Informiertheit des medizinischen Personals. Nach wie vor erleben Menschen Pathologisierungen auf Grund Ihrer Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung. Die Studienlage hierzu ist noch lückenhaft.
Zielsetzung/Fragestellung: Ziel der Studie ist, die Erfahrungen, Wünsche und Bedürfnisse von trans Personen in Bezug auf die hausärztliche Versorgung zu erheben, um die Versorgungsqualität zu verbessern.
Material und Methoden: Im Rahmen der Studie wurden 17 episodische Interviews mit erwachsenen trans Personen im Raum Berlin-Brandenburg geführt. Das episodische Interview ist ein leitfadengestütztes Interview, welches besonders die Narrative der Teilnehmer_innen erfragt. Die Teilnehmer_innen wurden über Social media Kanäle und Praxisaushänge rekrutiert und iterativ theoretisch gesamplet. Die Auswertung erfolgte in Anlehnung an das thematische Kodieren nach Flick.
Ergebnisse: Die befragten trans Personen berichteten, dass ein angemessener Umgang nicht für alle Ärzt:innen intuitiv sei. Daher sahen sie es als wichtig an, dass Ärzt:innen über ihre eigene Rolle als Expert:innen und über ihre Vorstellungen von Geschlechtsidentität reflektieren können. Ärzt:innen sollten sich außerdem den Barrieren für trans Personen im Gesundheitssystem für bewusst sein und die Rahmenbedingungen einer medizinischen Transition kennen, um trans Personen besser durch das medizinische Versorgungssystem manövrieren zu können. Ein Vertrauensverhältnis sollte mehrzeitig aufgebaut werden, statt bereits in der ersten Sitzung intime Nachfragen zu stellen.
Diskussion: Es gestaltete sich schwer ältere, einsame oder auf dem Land lebende trans Personen für Interviews zu gewinnen. Intersektionalität konnte nur begrenzt abgebildet werden.
Take Home Message für die Praxis: Hausärzt:innen müssen nicht per se Expert:innen für trans Medizin sein, jedoch ist es wichtig, die eigene Haltung zum normativen Geschlechterverständnis zu reflektieren und die Sensibilität des Praxispersonals im Umgang mit trans Personen zu schulen, um Hürden im Gesundheitssystem abzupuffern und beispielsweise der Vermeidung von Arztbesuchen entgegenzuwirken. Dabei kann es hilfreich sein regionale Vernetzungs- und Beratungsmöglichkeiten zu kennen.