Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung
Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung
Ärztliche Identität im Wandel? Ergebnisse einer Fragebogenstudie zur Wahrnehmung KI-gestützter Entscheidungen und zur zukünftigen professionellen Rolle aus Sicht von Medizinstudierenden und Mediziner*innen
2Universität Tübingen, Interfakultäres Institut für Biomedizinische Informatik (IBMI), Tübingen, Deutschland
3Universitätsklinikum Tübingen, Abteilung Innere Medizin VI/Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Tübingen, Deutschland
Text
Fragestellung/Zielsetzung: Die Integration Künstlicher Intelligenz (KI) gewinnt zunehmend an Bedeutung im medizinischen Bereich und eröffnet vielseitige Anwendungsmöglichkeiten in sämtlichen Aspekten der Gesundheitsversorgung [1]. Während KI-gestützte Systeme Potenzial zur Effizienzsteigerung bieten, werfen sie zugleich Fragen nach der zukünftigen ärztlichen Rolle, Entscheidungsautonomie und Verantwortungszuschreibung auf ([2], [3]. Diese Studie untersucht, wie Medizinstudierende und Ärzt*innen den Einfluss von KI auf ihre berufliche Identität wahrnehmen und welche Veränderungen sie für ihre Rolle in der medizinischen Entscheidungsfindung erwarten. Zudem wird analysiert, welche Faktoren sie in klinischen Situationen mit KI-Unterstützung priorisieren und wie sie Vertrauen, Erklärbarkeit und Verantwortung gewichten. Die Untersuchung erfolgt im Rahmen des BMBF-geförderten Projekts TüKITZMed (Tübinger KI – Trainingszentrum für die Medizin).
Methoden: Die Studie kombiniert einen quantitativen Fragebogen mit einer Fallvignettenuntersuchung. Der Fragebogen basiert auf einer umfassenden Literaturrecherche und enthält eine Vielzahl geschlossener Fragen (fünfstufige Likert-Skala) sowie offene Fragen. Er untersucht die ärztliche Identität, erwartete Veränderungen durch KI und die Wahrnehmung von Verantwortung, Vertrauen und Erklärbarkeit in KI-gestützten Entscheidungsprozessen.
Die Datenerhebung erfolgt digital über SoSci Survey [https://www.soscisurvey.de/], die Auswertung umfasst deskriptive und multivariate Analysen. Die ergänzenden Fallvignetten simulieren klinische Entscheidungssituationen mit KI-Unterstützung. Die Teilnehmenden bewerten, welche Faktoren sie in diesen Situationen priorisieren.
Ergebnisse: Die Befragung läuft von November 2024 bis voraussichtlich Februar 2025 und weiterführende Analysen stehen bei der Tagung zur Verfügung.
Diskussion: Die Integration von KI erfordert eine Reflexion darüber, wie sich die ärztliche Identität zwischen technologischer Unterstützung und professioneller Autonomie verändert. Während frühere Studien KI als Effizienzgewinn oder Bedrohung ärztlicher Expertise rahmen, bleibt unklar, wie sich die ärztliche Rolle wandelt und welche Aushandlungsprozesse um Vertrauen, Erklärbarkeit und Verantwortung in klinischen Entscheidungen stattfinden.
Diese Studie vertieft das Verständnis ärztlicher Perspektiven auf KI-gestützte Entscheidungen. Die Ergebnisse könnten Impulse für KI-Trainingsprogramme in der medizinischen Ausbildung und Strategien zur erfolgreichen Implementierung in klinische Prozesse liefern.
Take Home Message: KI verändert nicht nur diagnostische und therapeutische Prozesse, sondern auch die ärztliche Identität und Verantwortung. Besonders relevant sind Fragen zur Verantwortungszuschreibung, Erklärbarkeit und Vertrauen in KI-gestützte Systeme. Das Projekt wird vom BMBF gefördert.
Literatur
[1] Tretter M, Samhammer D, Dabrock P. Künstliche Intelligenz in der Medizin: Von Entlastungen und neuen Anforderungen im ärztlichen Handeln. Ethik Med. 2024;36(1):7-29. DOI: 10.1007/s00481-023-00789-z[2] Kundu S. How will artificial intelligence change medical training? Commun Med (Lond). 2021;1:8. DOI: 10.1038/s43856-021-00003-5
[3] Moldt JA, Festl-Wietek T, Fuhl W, Zabel S, Claassen M, Wagner S, Nieselt K, Herrmann-Werner A. Assessing Artificial Intelligence Awareness and Identifying Essential Competencies: Insights from Key Stakeholders in Integrating AI into Medical Education. JMIR Med Educ. 2024;10:e58355. DOI: 10.2196/58355