59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
Hitzesensible Medikamente und Empfehlungen zur Medikationsanpassung – ein Scoping Review im Projekt ADAPT-HEAT
2Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Allgemeinmedizin und Palliativmedizin, Hannover, Deutschland
3Universität Heidelberg, Medizinische Fakultät und Uniklinikum, Institut für Global Health, Heidelberg, Deutschland
Text
Hintergrund: Der Klimawandel führt zu global steigenden Temperaturen und vermehrten und intensiveren Hitzewellen. Im Sommer 2022 wurden mehr als 60.000 hitzebezogene Todesfälle für Europa geschätzt. Die menschliche Temperaturregulation kann durch Medikamente beeinträchtigt werden, was das Risiko für hitzebedingte Erkrankungen (HRI) wie Hitzeerschöpfung oder Hitzeschlag erhöht.
Zielsetzung/Fragestellung: Welche Medikamente stellen eine potenziell unangemessene Medikation bei Hitze (heat-PIM) dar und was ist zu damit verbundenen Anpassungsmaßnahmen bekannt?
Material und Methoden: Ab Mai 2024 führten wir ein Scoping Review nach der Methode von Arksey und O’Malley durch. Nach Spezifizierung von Fragestellung, sowie Ein- und Ausschlusskriterien (P: human population; C: risks from medication during heat; C: help to identify adaptation measures) wurden die Datenbanken PubMed, Web of Science und Google Scholar von 2014–2024 durchsucht. Die Suche folgt den PRISMA Guidelines. Alle Ergebnisse wurden von mindestens zwei Reviewern in einem mehrstufigen Prozess, unterstützt durch die App Rayyan, begutachtet. Passende Textstellen und Publikationsdetails wurden extrahiert. Die Extrakte zu Medikamenten und Medikamentengruppen wurden anhand der Anatomisch-Therapeutisch-Chemischen (ATC) Klassifikation kartiert. Die extrahierten Textpassagen wurden thematisch nach Effekten, Mechanismen und Anpassungsmaßnahmen kodiert.
Ergebnisse: Initial wurden 20.023 Publikationen gescreent und letztlich 71 Volltexte eingeschlossen, davon 45 Originalarbeiten. Es liegt Evidenz zu fast allen ATC-Gruppen vor, mit besonderem Schwerpunkt auf C (Kardiovaskuläres System) und N (Nervensystem). Dabei beziehen sich die meisten Arbeiten auf Blutdrucksenker insgesamt oder ACEI/ARB, Betablocker, Calcium-Kanalblocker oder Diuretika im Speziellen; sowie auf Antipsychotika oder Antidepressiva. Für einige ATC-Gruppen gibt es keine oder unzureichende Evidenz zur Beurteilung möglicher Hitzesensibilität (z.B. Antibiotika (ATC Gruppe J)). Es besteht wenig Evidenz zu Anpassungsmaßnahmen, insbesondere aus Interventionsstudien.
Diskussion: Die Ergebnisse zeigen noch deutlichen Forschungsbedarf in der Identifizierung und Risikoabwägung von Medikamenten und Medikamentengruppen, sowie bezüglich Anpassungsmaßnahmen vor oder in Hitzeperioden auf. Mit dem vorliegenden Forschungsstand wurde eine Liste von Anpassungsempfehlungen erstellt, welche im Rahmen eines Delphi-Verfahrens konsentiert wird.
Take Home Message für die Praxis: Einige, insbesondere kardiovaskuläre und psychiatrische, Medikamente können bei Hitze das Risiko für HRI erhöhen.