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59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) e.V.
01.-03.10.2025
Hannover


Meeting Abstract

Pilotierung eines forschenden Qualitätszirkels zur Reflexion von Variabilität in der hausärztlichen Entscheidungsfindung

Anja Demisch 1
Christina Sommerauer 1
Elisabeth Gummersbach 2
Jürgen in der Schmitten 3
Achim Mortsiefer 1
1Universität Witten/Herdecke, Institut für Allgemeinmedizin und Ambulante Gesundheitsversorgung (iamag), Witten, Deutschland
2Heinrich Heine Universität Düsseldorf, Institut für Allgemeinmedizin (ifam), Düsseldorf, Deutschland
3Universitätsklinikum Essen, Institut für Allgemeinmedizin (ifam), Essen, Deutschland

Text

Hintergrund: Mit Hilfe von Leitlinien ist die Medizin darum bemüht, den Korridor der Behandlungsvariabilität für definierte klinische Fragestellungen zu begrenzen. Für die Qualität der Primärversorgung ist u.a. die ärztliche „Performance“ zentral, neben Erfahrung und Wissen auch von unbewussten oder selbst formulierten eigenen Handlungsmaximen oder Heuristiken beeinflusst, über deren Inhalte wie eigene Krankheitskonzepte, ethische Haltungen, Risikoaffinität/-aversität u.a. wenig bekannt ist.

Zielsetzung/Fragestellung: Das Ziel ist die Erprobung eines Formats zur Erforschung individueller ärztlicher Handlungsmaximen und Heuristiken – verstanden als Handlungsstrategien, die sich nicht unmittelbar aus existierenden medizinischen Leitlinien ableiten lassen und auf eigener Erfahrung oder Priorisierung beruhen.

Material und Methoden: Im Rahmen einer moderierten Fokusgruppe wurde eine Fallvignette stufenweise über diagnostische Entscheidungspunkte bearbeitet. Dies umfasste Einzel-/Stillarbeit, mündliche Stellungnahmen der Handlungsoptionen sowie Sammlung der individuell herangezogenen Regeln und Herangehensweisen. Die Diskussion diente der Identifikation von Faktoren, welche die Entscheidungsfindung auf ärztlicher Seite mehr oder weniger bewusst beeinflussen. Es erfolgte eine Tonaufzeichnung mit anschließender Transkription zur Vorbereitung einer inhaltsanalytischen Auswertung nach Kuchartz mit MAXQDA.

Ergebnisse: Das im Workshop angewandte methodische Vorgehen erwies sich als machbar und fand hohe Akzeptanz bei den Teilnehmenden. In über der Hälfte der Entscheidungspunkte offenbarten sich divergierende Strategien zur diagnostischen Entscheidungsfindung. Als Ursache dafür wurden fehlende Leitlinienempfehlungen für die konkrete Situation und unterschiedliche Risikoeinschätzungen der Teilnehmenden identifiziert. Die inhaltsanalytische Auswertung der Fokusgruppe wird bis zum Kongress vorliegen.

Diskussion: Die vorläufige Auswertung bestätigt die Hypothese, dass diagnostische Entscheidungen nicht nur von Wissen der handelnden Ärzt:innen sondern auch von individuellen Handlungsmaximen, Heuristiken und mentalen Modellen beeinflusst werden. Die Methode des "Forschenden Qualitätszirkels" könnte ein geeigneter Baustein für die allgemeinmedizinische Forschung dazu sein.

Take Home Message für die Praxis: Es lohnt sich, die arztseitigen Gründe für die Variabilität in der diagnostischen Entscheidungsfindung genauer zu untersuchen. Damit könnten Ärzt:innen in die Lage versetzt werden, ihre persönlichen Strategien besser zu reflektieren und mit Kolleg:innen und Patient:innen darüber zu kommunizieren.