59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
Opioidgebrauchsstörung: eine qualitative explorative Analyse möglicher Missverständnisse bei Patient:innen mit chronischen Nicht-Tumor-Schmerzen
2Universität Witten/Herdecke, Department für Psychologie und Psychotherapie, Witten, Deutschland
3Universität Essen-Duisburg, Department für Psychiatrie und Psychotherapie, Essen, Deutschland
Text
Hintergrund: Substanzgebrauchsstörungen sind eine herausfordernde Komorbidität bei Patient:innen mit chronischen nicht-tumor Schmerzen (CNTS), insbesondere wenn Opioide Teil der Langzeittherapie (LTOT) sind. Die Diagnose einer Opioidgebrauchsstörung (OUD) bei diesen Patient:innen ist entscheidend für eine gezielte Therapie, jedoch schwierig, da einige OUD-Kriterien auch auf eine unzureichende Schmerztherapie hindeuten können. Bspw. kann der Wunsch nach einer Dosissteigerung sowohl auf eine OUD als auch auf unzureichende Schmerzlinderung zurückzuführen sein. In vielen Studien und schmerztherapeutischen Praxen werden standardisierte Fragen genutzt, die potenzielle Missverständnisse nicht aufklären können.
Zielsetzung/Fragestellung: Es wurde untersucht, welche DSM-5-basierten diagnostischen Fragen Überschneidungen aufweisen. Dazu wurde geprüft, ob ein Kriterium aufgrund einer OUD oder wegen unzureichender Schmerzbehandlung bejaht wurde.
Material und Methoden: Es wurden 14 qualitative Leitfadeninterviews durchgeführt. So wurde geprüft, ob die Antworten auf standardisierte DSM-5-Fragen mit den Ergebnissen einer eingehenderen Befragung übereinstimmen.
Ergebnisse: Die Ergebnisse zeigen, dass die DSM-5-Kriterien für eine Substanzgebrauchsstörung bei dieser Patient:innengruppe zu Fehlinterpretationen führen können. Missverständnisse bestanden z. B., wenn Patient:innen Fragen bejahten, weil sie eine Schmerzlinderung wünschten. Einige Fragen wurden zudem eher im Kontext des Lebens mit chronischen Schmerzen interpretiert, als im Hinblick auf eine OUD.
Diskussion: Es erscheint notwendig, durch gezielte Nachfragen zu klären, ob die Fragen richtig verstanden wurden. Einige Fragen basierend auf den DSM-5-Kriterien spiegeln eher den Umgang mit chronischen Schmerzen als den Medikamentengebrauch wider. Eine schriftliche Anwendung der DSM-5-Kriterien scheint in dieser Gruppe daher nicht ratsam. Behandler:innen sollten darin geschult werden, standardisierte Folgefragen zu stellen und Antworten im diagnostischen Kontext zu bewerten. So können Fehldiagnosen sowie Unterbehandlungen vermeiden.
Take Home Message für die Praxis:
- DSM-5-Fragen können bei CNTS-Patient:innen unter LTOT zu Missverständnissen führen.
- Behandler:innen sollten geschult werden, um Antworten kontextgerecht zu interpretieren.
- Eine Verbesserung der diagnostischen Methoden könnte Fehldiagnosen und eine unzureichende Behandlung chronischer Schmerzen verhindern.