59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
Im Namen der Schweigepflicht – Verteidigung der ärztlichen Schweigepflicht gegen Einflussnahme von außen
2RWTH Aachen University, Institut für Technik und Gesellschaft – Department of Society, Technology and Human Factors, Aachen, Deutschland
Text
Hintergrund: Die Schweigepflicht nimmt eine zentrale Position in der Berufsethik des Arztberufes ein. Sie findet sich schon im Hippokratischen Eid.
Gerade im Kontext der Digitalisierung wird sie häufig verwendet, um das besondere Vertrauen zwischen Patient:innen und Ärzt:innen hervorzuheben. Eine digitale Einflussnahme wird teilweise als Bedrohung wahrgenommen.
Zielsetzung/Fragestellung: Wie wird der Begriff der Schweigepflicht im Zusammenhang der Digitalisierung von der Ärzteschaft verwendet? Lässt sich ein professionssoziologischer Verteidigungsmechanismus nach Abbott erkennen? Und vor allem: wie reagiert die Ärzteschaft auf eine tatsächliche Aufweichung der Schweigepflicht?
Material und Methoden: Das Material stützt sich auf zwei Quellen: allen Ärzteblattbeiträge, die die Worte „Digitalisierung“ und „Schweigepflicht“ enthalten sowie die Kommentarspalte und die Forumsbeiträge des Ärztenachrichtendienstes von einem Jahr mit denselben Begriffen.
Das gesamte Material wurde dann mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring kodiert und analysert.
Ergebnisse: In der professionsinternen Kommunikation wurde die Schweigepflicht in vier Oberkategorien verwendet: in Bezug auf Patient:innenschutz, mit juristischem Bezug, als Rückbezug auf die Ethik oder den Ethos und mit direktem Bezug auf Technologie. In letzterer dient er hauptsächlich als Verteidigungsargument gegen Eingriffe in das selbst wahrgenommene Hoheitsgebiet. Auch eine Nennung als Bedingung an Funktionalität und Architektur von Technologie wurde genannt.
Im juristischen Kontext ging es überwiegend um Strafen und ungeklärte Haftung. Interessant wurde es, als die Schweigepflicht 2019 aber tatsächlich aufgeweicht wurde, um die Einbindung von Dienstleistern rechtssicher zu gestalten. Dies wurde begrüßt.
Diskussion: Die verwendeten Medien bieten nur einen kleinen Ausschnitt und eine Ergänzung durch z.B. Expert:innen-Interviews wäre sicherlich ein Erkenntniszugewinn, gleichzeitig lässt sich aus dieser Analyse viel ableiten. Der Begriff der Schweigepflicht kann als professionssoziologischer Verteidigungsmechanismus gegen Eindringlinge von außen in das eigene Hoheitsgebiet betrachtet werden.
Im Alltag darf z.B. für eine Honorarforderung die Schweigepflicht schon gebrochen werden.
Take Home Message für die Praxis:
- Der Begriff der Schweigepflicht hat eine zentrale Stellung im Berufsbild.
- Wenn Ärzt:innen ihn im schriftlichen Diskurs verwenden, dann meistens gegen Einflussnahme von anderen Stakeholdern.
- In unserer eigenen Kommunikation können wir den Begriff als Anzeiger für eine Verteidigungshaltung betrachten.