59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
59. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin
Stigmatisierung neuer Krankheitsbilder: soziale Distanz gegenüber Post-COVID, Post-Vakzin-Syndrom, Depression und Schizophrenie im Vergleich
Text
Hintergrund: Stigmatisierung psychischer Erkrankungen wie Schizophrenie und Depression ist nach wie vor weit verbreitet und beeinträchtigt Lebensqualität und Versorgungsqualität. Neuere Krankheitsbilder wie das Post-COVID- und Post-Vakzin-Syndrom könnten ebenfalls betroffen sein, bislang fehlen jedoch direkte Vergleichsstudien.
Zielsetzung/Fragestellung: Untersucht wurden (1) Unterschiede im Ausmaß der Stigmatisierung zwischen Schizophrenie, Depression, Post-COVID und Post-Vakzin-Syndrom, (2) der Einfluss privaten Kontakts auf soziale Distanz, (3) Unterschiede zwischen Fachpersonal und Allgemeinbevölkerung sowie (4) der Einfluss des Krankheitslabels („Post-COVID“ vs. „Post-Vakzin“).
Material und Methoden: Im Rahmen einer vignettenbasierten Online-Befragung (n=193) bewerteten Teilnehmende die soziale Distanz gegenüber vier Krankheitsbildern mittels der Social Distance Scale (SDS). Fachpersonal bearbeitete zusätzlich die Medical Condition Regard Scale (MCRS). Die Datenauswertung erfolgte mit ANOVA mit Messwiederholung, Mann-Whitney-U-Tests und Wilcoxon-Tests für verbundene Stichproben.
Ergebnisse: Die soziale Distanz unterschied sich signifikant zwischen den Krankheitsbildern (p<,001, η²p =,621). Die Rangfolge der Stigmatisierung zeigte sich klar: am stärksten Schizophrenie (M=2,79), gefolgt von Depression (M=2,04), Post-Vakzin-Syndrom (M=1,88) und am geringsten Post-COVID-Syndrom (M=1,82). Privater Kontakt reduzierte die soziale Distanz signifikant bei Depression, Post-COVID und Post-Vakzin. Zwischen Fachpersonal und Allgemeinbevölkerung zeigten sich keine signifikanten Unterschiede. Ein Wilcoxon-Test ergab: Das Label „Post-Vakzin“ führte zu höherer sozialer Distanz als „Post-COVID“ (p=,005).
Diskussion: Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Schizophrenie weiterhin am stärksten stigmatisiert wird, gefolgt von Depression, Post-Vakzin- und Post-COVID-Syndrom. Auch neue Syndrome sind stigmatisierungsanfällig. Krankheitsbezeichnungen beeinflussen die gesellschaftliche Wahrnehmung erheblich. Persönlicher Kontakt wirkt – mit Ausnahme von Schizophrenie – stigmareduzierend.
Take Home Message für die Praxis: Auch im Gesundheitswesen bestehen stigmatisierende Haltungen – oft unbewusst, aber mit spürbaren Folgen für Betroffene. Fachpersonal trägt eine besondere Verantwortung, eigene Vorurteile zu reflektieren, Stigmatisierung offen zu thematisieren und eine respektvolle, empathische Versorgung aktiv mitzugestalten.



