Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung
Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung
Reflexionen von Medizinstudierenden in Bezug auf Unsicherheitsfaktoren in der klinischen Forschung
2Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Institut für Medizinische Epidemiologie, Biometrie und Informatik, Halle (Saale), Deutschland
3Universität des Saarlandes, Fachrichtung Bildungswissenschaften, Saarbrücken, Deutschland
Text
Fragestellung/Zielsetzung: Absolvent*innen eines Medizinstudiums in Deutschland sollen gemäß Nationalem Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin [https://nklm.de/zend/menu] als kritische Anwender*innen in der Lage sein, die interne und externe Validität klinischer Studien zu bewerten. Die Effektivität von Interventionen zur Förderung dieser Kompetenz wurde umfassend untersucht [1], [2]. Die Frage, wie die Studierenden auf die ihnen dabei begegnenden Unsicherheitsfaktoren wie z. B. die Komplexität und Ambiguität klinischer Forschung reagieren, fand jedoch bislang wenig Beachtung. In unserer Studie untersuchten wir mittels einer Reflexionsaufgabe die Reaktionen von Medizinstudierenden auf die Konfrontation mit Unsicherheitsfaktoren in klinischen Studien. Wir wollten insbesondere herausfinden, ob aus den Reflexionen negative Reaktionen in Bezug auf medizinisch-wissenschaftliche Evidenz hervorgehen, die mit deren wahrgenommener Ambiguität und Komplexität in Zusammenhang stehen.
Methoden: 165 Medizinstudierende aus dem vorklinischen und klinischen Studienabschnitt und dem PJ lasen in einer Online-Studie einen Text über externe Evidenz, der die Ambiguität und Komplexität klinischer Studien zum Gegenstand hatte. Anschließend reflektierten sie in einer Freitextfrage die Bedeutung der im Text beschriebenen Sachverhalte für ihre ärztliche Tätigkeit. Die Freitexte wurden mittels Framework-Analyse, der das Modell von Hillen et al. [3] zugrunde gelegt wurde, hinsichtlich der benannten Unsicherheitsfaktoren sowie der beschriebenen kognitiven, affektiven und behavioralen Reaktionen auf diese Unsicherheitsfaktoren ausgewertet.
Ergebnisse: Aus den studentischen Reflexionen ließen sich kaum negative Reaktionen auf die wahrgenommenen Unsicherheitsfaktoren in klinischen Studien ableiten. Viele Teilnehmende tendierten aber dazu, Unsicherheit im Zusammenhang mit klinischen Studien durch bestimmte Verhaltensweisen kontrollieren zu wollen, wie z. B. durch das kritische Hinterfragen der Studien hinter einer Leitlinie. Gleichzeitig antizipierten einige Teilnehmende dass ihnen im späteren Beruf die Zeit dafür fehlen würde. Hier wird ein Spannungsfeld zwischen den Ansprüchen an Ärzt*innen als Kritische Anwender*innen und der aufgrund knapper Ressourcen notwendigen Effizienz im klinischen Alltag erkennbar. Nur wenige Teilnehmende erkannten die generelle Unsicherheit von medizinischem Wissen an und akzeptierten diese.
Diskussion: Unsere Studie liefert keine Evidenz dafür, dass die Einstellungen von Medizinstudierenden gegenüber medizinisch-wissenschaftlicher Evidenz durch eine Konfrontation mit Unsicherheitsfaktoren in klinischen Studien negativ beeinflusst werden. Allerdings werfen die Studienergebnisse die Frage auf, welche Erwartungen an unsere zukünftigen Ärzt*innen in ihrer Rolle als Kritische Anwender*innen formuliert werden sollen und wie ein gesunder Umgang mit Unsicherheitsfaktoren in klinischen Studien im Studium gefördert werden kann.
Literatur
[1] Albarqouni L, Hoffmann T, Glasziou P. Evidence-based practice educational intervention studies: A systematic review of what is taught and how it is measured. BMC Med Educ. 2018;18(1):177. DOI: 10.1186/s12909-018-1284-1[2] Thomas A, Chin-Yee B, Mercuri M. Thirty years of teaching evidence-based medicine: Have we been getting it all wrong? Adv Health Sci Educ Theory Pract. 2022;27(1):263-276. DOI: 10.1007/s10459-021-10077-4
[3] Hillen MA, Gutheil CM, Strout TD, Smets EMA, Han PKJ. Tolerance of uncertainty: conceptual analysis, integrative model, and implications for healthcare. Soc Sci Med. 2017;180:62-75. DOI: 10.1016/j.socscimed.2017.03.024