Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung
Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung
Schamerleben im Medizinstudium: Status quo der Forschung
Text
Fragestellung/Zielsetzung: Medizinstudierende sind während ihrer Ausbildung oft mit Situationen konfrontiert, die Scham hervorrufen können. Dies betrifft sowohl die Begegnung mit Patient*innen, die Scham empfinden, als auch persönliche Erfahrungen mit Scham, beispielsweise durch Fehler, Misserfolge oder Wissenslücken (1). Obwohl Scham das Lernen sowohl positiv als auch negativ beeinflussen kann, ist das Thema in der Forschung bisher wenig beleuchtet worden [1], [2]. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage: Welche Rolle spielt Scham im Medizinstudium und wie beeinflusst sie die Lernprozesse?
Methoden: Ein Rapid Review [3] wurde durchgeführt, um diese Fragestellung zu untersuchen. Die Datenbanken PubMed, LIVIVO, PsycINFO, ERIC und Web of Science wurden mit den Schlagwörtern „shame“ und „medical education“ durchsucht. Insgesamt wurden 374 Studien identifiziert. Für die weiterführende Analyse wurden ausschließlich Studien berücksichtigt, die explizit das Schamerleben im Medizinstudium untersuchen. Exkludiert wurden Arbeiten über Scham in anderen Gesundheitsberufen, nach sexualisierten Übergriffen im Studium oder in anderen pädagogischen Kontexten. Nach dem ersten Auswahlprozess blieben 29 Studien übrig. Zwei unabhängige Reviewer*innen prüften diese auf Eignung, woraufhin 16 Studien zur inhaltlichen Analyse verblieben. Diese Studien wurden einer detaillierten qualitativen Analyse unterzogen, um zentrale Themen und Erkenntnisse im Kontext des Rapid Reviews zu extrahieren und zu bewerten.
Ergebnisse: Von den 16 in die Analyse eingeschlossen Studien nutzten 9 Studien qualitative und 5 Studien quantitative Studiendesigns. Es fanden sich keine Studien mit einem mixed-methods-Ansatz. Zwei Artikel waren narrative Reviews.
- Scham beeinflusst das Wohlbefinden und die Identitätsbildung von Medizinstudierenden tiefgreifend.
- Sie ist ein wesentlicher, jedoch selten thematisierter Bestandteil der professionellen Sozialisierung [1].
- Eine stärkere Integration von Reflexions- und Unterstützungsangeboten in die Ausbildung wird empfohlen, um negative Auswirkungen von Scham zu minimieren und positive zu fördern [1], [2].
Diskussion: Die Forschung zu Scham im Medizinstudium steht noch am Anfang. Die analysierten Studien legen nahe, dass Scham eine bedeutende Rolle im Studium spielt. Dabei sind die meisten Studien aufgrund ihrer Studiendesigns jedoch kaum übertragbar. Curriculare Maßnahmen zur Bewältigung dieses Themas sind bisher kaum entwickelt. Zukünftige Forschung sollte sich darauf konzentrieren, welche Anpassungen oder Schulungen für Lehrende nötig sind, um die Ausbildung zu verbessern und evidenzbasierte didaktische Konzepte zu entwickeln.
Take-Home Messages:
- Scham ist im Medizinstudium eine häufige, aber oft übersehene Emotion.
- Curriculare Anpassungen und Sensibilisierung der Lehrenden könnten helfen, negative Effekte zu reduzieren.
Literatur
[1] Bynum WE, Teunissen PW, Varpio L. In the “shadow of shame”: A phenomenological exploration of the nature of shame experiences in medical students. Acad Med. 2021;96(11 S):S23-S30. DOI: 10.1097/ACM.0000000000004261[2] Hautz WE, Schröder T, Dannenberg KA, März M, Hölzer H, Ahlers O, Thomas A. Shame in medical education: A randomized study of the acquisition of intimate examination skills and its effect on subsequent performance. Teach Learn Med. 2017;29(2):196-206. DOI: 10.1080/10401334.2016.1254636
[3] Khangura S, Konnyu K, Cushman R, Grimshaw J, Moher D. Evidence summaries: the evolution of a rapid review approach. Syst Rev. 2012;1:10. DOI: 10.1186/2046-4053-1-10