Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung
Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung
Problemorientiertes Lernen im Bielefelder Modellstudiengang Medizin: Besondere Umsetzung – besondere Maßnahmen?
2Universität Bielefeld, Medizinische Fakultät OWL, AG Allgemein- und Familienmedizin, Bielefeld, Deutschland
Text
Fragestellung/Zielsetzung: Problemorientiertes Lernen (POL) wird in Medizinstudiengängen als tutoriell geleitetes Kleingruppenformat eingesetzt, um professionelle, soziale und Problemlösekompetenzen zu fördern. Im Modellstudiengang Medizin der Universität Bielefeld findet POL longitudinal in jedem Semester statt. Studierende bearbeiten in Kleingruppen zu jedem der organsystem- und themenzentrierten Module einen POL-Fall in zwei Sitzungen (2 UE + 1 UE). Eine Besonderheit der Bielefelder Umsetzung ist der Verzicht auf Anwesenheitspflicht, wobei die Studienleistung in Form eines schriftlichen Protokolls erbracht wird. Dieser Beitrag untersucht, ob diese spezifische Umsetzung von POL als effektiv und interessenförderlich wahrgenommen und mit welchem lernstrategischen Ansatzes POL umgesetzt wird. Sekundär werden Entwicklungspotenziale für die POL-Gestaltung identifiziert.
Methoden: Im SoSe 2024 wurden Studierende des 2., 4. und 6. Semesters (N = 180) digital zu Lerneffektivität, Lernfreiheit und sozialer Interaktion (6-stufig, 1-kein bis 6-hoher Wert) sowie Interesse (6-stufig, sehr niedrig bis 6-sehr hoch) befragt. Ein 15-Item-Instrument von Dolmans et al. [1] erfasste Lernstrategien, sog. deep (8 Items) und surface (7 Items) learning approaches (5-stufig, 1-nie bis 5-(fast) immer). Als Elemente der Curriculums-Gestaltung wurden Items zur Art der Ergebnisbesprechung; zu Präsenz- vs. digitale Lehre und zum Informationsgehalt der Fälle erfasst (6-stufig, 1-stimmt gar nicht bis 6-stimmt voll). Daten wurden deskriptiv und mit multivariaten Analysen (ANOVA, MANOVA) ausgewertet.
Ergebnisse: Der Rücklauf betrug n=44 (24,4%). Die POL-Lerneffektivität wurde am geringsten (M=2,07±1,39), die soziale Interaktion noch am positivsten (M=2,77±1,84) bewertet. Einen Unterschied nach Semestern bestand nicht. In allen Semestern zeigte sich zudem, dass das Interesse retrospektiv vor Studienbeginn signifikant höher war als zur Befragung (λ(1,41)=25,31; p<.001; η2p =.382). Beide Lernansätze (deep, α=.86; surface learning; α=.83) waren moderat ausgeprägt (n=42; deep: M=2,87±0,84; surface: M=3,14±0,81) mit nur in der Tendenz abnehmendem deep learning über die Semester (λ(4,78)=0.95; p=.443). Studierende sahen Verbesserungspotenziale für das Lernformat in einer spannenderen Fallaufbereitung, in einer Begleitung durch Fach-Expert*innen und in der besseren zeitlichen Einbindung in Lehrkontexte.
Diskussion: Die Ergebnisse deuten an, dass das aktuelle Konzept potenzielles Interesse nicht erhält bzw. deep learning eher nicht fördert, obwohl dies u.a. als Stärke von POL gilt [2]. Folgende Maßnahmen sollen ab WiSe 2025/26 unter evaluativer Begleitung umgesetzt werden, um die Wirkung zu erhöhen:
- Überarbeitung der didaktischen Gestaltung der Fallinhalte.
- Restrukturierung der POL-Schulungen, um Diversität der Bielefelder Tutor*innen und die POL-Abläufe einzubinden [3].
- Einführung von Anwesenheitspflicht.
- Ergebnispräsentation als mündliche Studienleistung.
References
[1] Dolmans DH, Wolfhagen IH, Ginns P. Measuring approaches to learning in a problem based learning context. Int J Med Educ. 2010;1:55-60. DOI: 10.5116/ijme.4c50.b666[2] Rotgans JI, Schmidt HG. Situational interest and learning: Thirst for knowledge. Learn Instruct. 2014;32:37-50. DOI: 10.1016/j.learninstruc.2014.01.002
[3] Vogt K, Pelz J, Stroux A. Refinement of a training concept for tutors in problem-based learning. GMS J Med Educ. 2017;34(4):Doc38. DOI: 10.3205/zma001115