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Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung


08.-10.09.2025
Düsseldorf


Meeting Abstract

Klinisches Argumentieren von Medizinstudierenden in der Rolle der „Herausgeforderten“

Julia Gärtner 1
Sigrid Harendza 1
1Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Zentrum für Innere Medizin, III. Medizinische Klinik und Poliklinik, Ausbildungsforschung, Hamburg, Deutschland

Text

Zielsetzung: Klinisches Argumentieren ist entscheidend für die fachliche Entwicklung von Medizinstudierenden. Es ist wenig darüber bekannt, welche Herausforderungen Studierende beim klinischen Denken und Argumentieren erleben. Ziel unserer Studie war es, Aspekte des klinischen Argumentierens und die in studentischen Falldiskussionen geäußerten Herausforderungen zu explorieren.

Methoden: Es wurden 46 Transkripte von Fallpräsentationen fortgeschrittener Medizinstudierender (Semester 8 bis Praktisches Jahr) aus Peer-Falldiskussionen, die im Rahmen der Simulation eines ersten Arbeitstages im Krankenhaus geführt wurden, inhaltanalytisch nach Kuckartz mit MAXQDA ausgewertet. Das klinische Argumentieren der Studierenden wurde deduktiv codiert nach „confirming evidence“ (C) und „disconfirming evidence“ (D). In Anlehnung an Goffmans Rollentheorie [1] wurden die Studierenden in ihrer Rolle als „Herausgeforderte“ auf der „Bühne der Fallpräsentation“ analysiert. Dazu wurden Selbstaussagen, in denen sie ihr „Herausgefordertsein“ ihrem „Peer-Publikum“ darboten, induktiv und in-vivo kodiert, kategorisiert und mittels Code-Relations-Browser im Hinblick auf gemeinsames Vorkommen in den Fallpräsentationen betrachtet.

Ergebnisse: Es wurde überwiegend mit „confirming evidence“ (C) allein oder mit „disconfirming evidence“ kombiniert (C&D) argumentiert, wobei „confirming evidence“ diskussionsübergreifend häufiger vorkam als „disconfirming evidence“ (D). Folgende Herausforderungen wurden in Selbstaussagen dargeboten: „Befinden“ (bspw. „ich war richtig lost“), „Offenbarung“ (bspw. „ich muss ehrlich sagen“), „Voraussetzungen“ (bspw. „soweit ich das befunden kann“) und „Bewältigung“ (bspw. „was ich damit irgendwie gar nicht erklären kann“). In 9 Transkripten fanden sich keine Selbstaussagen. In C-Argumentationen fanden sich ausschließlich Herausforderungen bei „Voraussetzungen“ oder keine Selbstaussagen. In C&D-Argumentationen dominierten die Kategorien „Voraussetzungen“ und „Bewältigung“.

Diskussion: Im Vergleich zur Argumentation mit ausschließlich „confirming evidence“, in der das Abwägen auszubleiben scheint, wird im kombinierten Argumentationsstil („C&D“) ein Prozess des intensiven Abwägens deutlich, der sich auch in der starken Präsenz von Herausforderungen der Kategorie „Bewältigung“ wiederfindet. Das hierarchielose „Peer-Publikum“ könnte zudem das Auftreten der Kategorie „Offenbarung“, also das „Fallenlassen einer Maske“, begünstigt haben, was auf sonst gegenüber Lehrpersonen wirksame Tabus in der Offenlegung von Unsicherheit verweist. Die geringe Repräsentation von „disconfirming evidence“ lässt vermuten, dass Medizinstudierende dieses weniger in ihre Argumentation einbeziehen.

Take Home Message: Die Kenntnis über erlebte Herausforderungen im Bewältigen klinischen Denkens und die geringe Nutzung von „disconfirming evidence“ beim Argumentieren, könnte beim Lehren klinischen Denkens kritisch reflektiert und berücksichtig werden.


References

[1] Goffman E. Wir alle spielen Theater. 2. Aufl. München: Piper; 2003.