Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung
Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung
Mit einem Bein im Knast? Rechtliche Ängste in der Medizin
Text
Fragestellung/Zielsetzung: Weder im Medizinstudium noch in der anschließenden Facharztausbildung werden die rechtlichen Grundlagen ärztlichen Handelns ausreichend thematisiert. Die daraus resultierenden Unsicherheiten begünstigen eine defensive Medizin, bei der das eigene rechtliche Risiko über das Patientenwohl gestellt wird [1]. Das interdisziplinäre Projekt ReAniMed (Rechtliche Ängste in der Medizin) am Institut für Medizindidaktik (UKB) in Kooperation mit der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bonn greift diese Problematik auf. Ziel ist die Sensibilisierung für medizinrechtliche Fragestellungen, die Förderung des interdisziplinären Austauschs sowie die Vermittlung rechtskonformer Entscheidungsstrategien.
Methoden: Im Wintersemester 2024/25 wurde erstmals ein dreitägiges Blockseminar (Rechtliche Ängste in der Medizin) als Wahlfach 1 (Vorklinik) im Studiengang Humanmedizin an der Universität Bonn angeboten. Medizinstudierende und Jurastudierende (im Modul Medizinstrafrecht) arbeiteten zunächst im Tandemformat an Vorträgen zu Themen wie Palliativmedizin, Organspende, Schwangerschaftsabbruch, Zwangsbehandlungen und ärztliche Schweigepflicht. Zwei Expertenvorträge ergänzten das Seminar. Ein zentraler Bestandteil war der Moot Court, basierend auf der Case-Based-Learning-Methode (CBL). Die Studierenden bearbeiteten zwei Fälle anhand fiktiver Patientenakten. Abschließend wurden die Fälle in einem Schauprozess simuliert [2]. Zur Vorbereitung standen Fachliteratur, ein juristisches Skript und Vorlesungsmaterialien zur Verfügung.
Ergebnisse: Die Auswertung der qualitativen Daten zeigte, dass insbesondere der Moot Court, die Expertenvorträge und die interdisziplinäre Zusammenarbeit als besonders förderlich für das Lernen gewertet wurden. Die enge Verzahnung medizinischer und juristischer Perspektiven trug maßgeblich zur Förderung eines interdisziplinären Verständnisses bei. Herausforderungen ergaben sich durch Verständnisschwierigkeiten aufgrund fachspezifischer Terminologie, einen Mangel an persönlichen klinischen Einblicken sowie ein als unausgewogen empfundenes Verhältnis zwischen den Studierendengruppen hinsichtlich Teilnehmendenzahl und Semesterstand.
Diskussion: Eine zentrale Limitation der Evaluation ist die geringe Teilnahme von Medizinstudierenden, die primär auf das angebotene Semester zurückzuführen ist. Während Studierende in frühen Studienphasen erste Berührungspunkte mit medizinrechtlichen Fragestellungen erhalten und für diese sensibilisiert werden, könnten Studierende mit klinischer Erfahrung stärker von einer praxisnahen, handlungsorientierten Auseinandersetzung mit rechtlichen Aspekten profitieren. Um den Lernerfolg zu optimieren, wäre eine Ausweitung des Angebots auf spätere Studienabschnitte sinnvoll [3]. Dies könnte die gezielte Vermittlung rechtskonformer Entscheidungsstrategien unterstützen und die Relevanz des Formats für die klinische Praxis weiter steigern.
References
[1] Rodriguez RM, Anglin D, Hankin A, Hayden SR, Phelps M, McCollough L, Hendey GW. A longitudinal study of emergency medicine residents’ malpractice fear and defensive medicine. Acad Emerg Med. 2007;14(6):569-573. DOI: 10.1197/j.aem.2007.01.020[2] Srinivasan M, Wilkes M, Stevenson F, Nguyen T, Slavin S. Comparing problem-based learning with case-based learning: effects of a major curricular shift at two institutions. Acad Med. 2007;82(1):74-82. DOI: 10.1097/01.ACM.0000249963.93776.aa
[3] Baungaard N, Skovvang PL, Hvidt EA, Gerbild H, Andersen MK, Lykkegaard J. How defensive medicine is defined in European medical literature: a systematic review. BMJ Open. 2022;12(1):e057169. DOI: 10.1136/bmjopen-2021-057169