Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie 2025 (DKOU 2025)
Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie 2025 (DKOU 2025)
Zwischen Vorurteilen und Hierarchien: Warum Medizinstudierende die Orthopädie und Unfallchirurgie meiden
2TUM Universitätsklinikum, Sektion Sportorthopädie, Klinik und Poliklinik für Orthopädie und Sportorthopädie, München, Deutschland
Text
Zielsetzung und Fragestellung: Angesichts einer alternden Ärzteschaft, Abwanderung in die freie Marktwirtschaft und steigender Teilzeitarbeit, steht auch die Fachrichtung Orthopädie und Unfallchirurgie (O&U) vor einem Nachwuchsmangel. Zudem ist die O&U bei Frauen ein historisch unbeliebtes Fach, jedoch sind fast drei Viertel der Medizinstudierenden weiblich.
Ziel dieser Studie ist es, die Entscheidungsgründe von Medizinstudierenden bei der Facharztwahl zu analysieren und zu eruieren, warum sich Studierende gegen die Fachrichtung O&U entscheiden. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Ergründung geschlechtsspezifischer Faktoren.
Material und Methoden: In dieser umfragebasierten, deskriptiven Querschnittsstudie wurden Medizinstudierende aller Semester an deutschsprachigen Universitäten zwischen August 2024 – Januar 2025 befragt. Die Daten wurden mit SPSS ausgewertet.
Ergebnisse: Von den 564 Teilnehmenden waren 72,8% weiblich, das Durchschnittsalter betrug 24,6 Jahre. Die Befragten zeigten ein hohes Interesse am Fachgebiet O&U, wobei 21,3% der Medizinstudierenden ein starkes oder sehr starkes Interesse an einer Tätigkeit in diesem Bereich angaben. 12% der Befragten streben eine Facharztweiterbildung in O&U an.
Unter den Medizinstudierenden wurde die Wahl des Fachgebiets durch das persönliche Interesse (MW: 4,8, Skala von 1 = völlig unwichtig bis 5 = sehr wichtig) sowie durch das Arbeitsumfeld und die -kultur (MW: 4,4) beeinflusst. Eine ausgewogene Arbeitsbelastung (MW: 4,0), Vereinbarkeit von Beruf und Familie (MW: 4,2) sowie persönliche Erfahrungen während Praktika (MW: 4,4) spielten ebenfalls eine entscheidende Rolle. Im Hinblick auf die Fachrichtung O&U wurden hierarchische Strukturen (51,4%), hohe Arbeitsbelastung (36,8%) und die Vereinbarkeit von Karriere und Familie (47,3%) als wesentliche Hemmnisse genannt. Verbesserungsvorschläge umfassten flexiblere Arbeitszeiten (MW: 4,0), eine kollegialere Arbeitskultur (MW: 4,3) und flachere Hierarchien (MW: 4,1).
Mehr als der Hälfte der Studierenden (52,9%) wurde bereits von der Facharztausbildung O&U abgeraten. Ein Drittel dieser „Warnungen“ wurde von Ärzten aus der O&U (33,7%) ausgesprochen. 32,9% der Befragten gaben an, dass sie O&U für kein gutes Fach für eine Frau hielten. Zudem berichteten 18,7% der Medizinstudierenden, dass sie aufgrund ihres Geschlechts bereits negative Erfahrungen in der O&U gemacht haben, wobei 97,1% dieser Fälle Frauen betrafen. Sexuelle Belästigungen im Klinikalltag erlebten 32% der Befragten, davon waren 81,7% Frauen.
Diskussion und Schlussfolgerung: Die Ergebnisse verdeutlichen, dass die Attraktivität der O&U für Nachwuchs hoch ist, durch strukturelle und kulturelle Veränderungen jedoch gesteigert werden könnte. Eine aktivere Arbeit an der Reduktion von Hierarchien, die Förderung einer kollegialeren Arbeitskultur sowie die gezielte Förderung der Gleichberechtigung könnten beitragen, das Fachgebiet insbesondere für Frauen attraktiver zu machen.



