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41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
25.-28.09.2025
Münster


Vortrag

Zusammenhang zwischen Zahnbogenbreite und Frequenzparametern der Sprech- und Singstimme bei Kindern und Jugendlichen – Erkenntnisse aus der LIFE Child Studie

C. Hirsch 2
A. Schrock 2
A. Körner 3
T. Köhne 4
A. von Laffert 4
M. Fuchs 1
1Universitätsklinikum Leipzig, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, plastische Operationen, Sektion Phoniatrie und Audiologie, Leipzig, Deutschland
2Universitätsklinikum Leipzig, Poliklinik für Kinderzahnheilkunde und Primärprophylaxe, Leipzig, Deutschland
3Universitätsklinikum Leipzig, Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Leipzig, Deutschland
4Universitätsklinikum Leipzig, Poliklinik für Kieferorthopädie, Leipzig, Deutschland

Abstract

Hintergrund: Diese Querschnittsstudie untersucht den Zusammenhang zwischen der Entwicklung dentofazialer und stimmlicher Merkmale bei Kindern und Jugendlichen. Im Fokus stehen die Zahnbogendimensionen als Parameter des Vokaltraktes, die mittlere Sprechstimmlage und die minimale Frequenz im Singstimmprofil.

Material und Methoden: Analysiert wurden Daten von 444 Kindern und Jugendlichen (56,1% weiblich, Alter: 6–17 Jahre) aus der Leipziger LIFE Child Kohorte. Erfasst und ausgewertet wurden Parameter des Sing- und Sprechstimmprofils sowie die Breite des oberen und unteren Zahnbogens. Zusätzlich wurden Alter, Geschlecht, Körpergröße, Körpergewicht, BMI und der Stand der pubertären Entwicklung anhand der Tanner-Stadien systematisch berücksichtigt.

Ergebnisse: Es zeigten sich signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede bei den Zahnbogendimensionen: Die Breite des Oberkiefer- und Unterkieferbogens stand bei Jungen in Zusammenhang mit der minimalen Singfrequenz, bei Mädchen hingegen mit dem minimalen Schalldruckpegel der Singstimme. In der multivariaten Regressionsanalyse zeigte sich bei Jungen ein Zusammenhang zwischen der Breite des Unterkieferbogens und der minimalen Frequenz beim Singen: Sie sank pro gemessenem mm Breite unabhängig von den anderen Variablen um -2,53 Hz (95% KI: -5,06 -0,01; p=0,05). Erwartungsgemäß unterschieden sich auch die Frequenzparameter ab der Pubertät zwischen den Geschlechtern signifikant. Alter, Körpergröße, BMI und Pubertätsstatus korrelierten negativ sowohl mit der Sprechstimmlage als auch mit der tiefsten Singstimm-Frequenz. In den Pubertätsstadien II bis V verändert sich die Frequenz deutlich stärker als die Zahnbogendimensionen, die in diesem Zeitraum nur zwischen 41,5 und 43,5 mm bei den Jungen, bzw. 39,5 und 41,0 mm bei den Mädchen variieren.

Schlussfolgerungen: Die Studie untersuchte nach unserer Kenntnis weltweit erstmals systematisch den Zusammenhang zwischen Zahnbogendimensionen und Frequenzparametern der Kinder- und Jugendstimme. Insbesondere zeigt sich, dass die Kieferbreite als ein Indikator für die Deskription wachstumsbedingter Veränderungen des Vokaltrakts herangezogen werden können, die während der Pubertät anders verlaufen als die Entwicklung der Stimmparameter. Auf dieser Grundlage sollen weitere Studien den Zusammenhang zwischen Zahnbogendimensionen und spektralen Parametern des Stimmklangs und den Einfluss einer kieferorthopädischen Therapie untersuchen.

Text

Hintergrund

Die vorliegende Studie untersucht erstmals in einer großen, populationsbasierten Kohorte den Zusammenhang zwischen dentofazialen Merkmalen und stimmlichen Parametern bei Kindern und Jugendlichen. Ein gesunder Stimmgebrauch ist in der Kindheit und Jugend entscheidend für soziale Teilhabe und schulische Entwicklung. Gleichzeitig beeinflussen Zahngesundheit und Kieferentwicklung nicht nur das äußere Erscheinungsbild, sondern sind auch mit Stimme, Artikulation und Kommunikationsfähigkeit eng verknüpft [1], [2], [3]. Angesichts eines zunehmenden Auftretens von Stimm- und Sprachstörungen bei Kindern, insbesondere in urbanen Gebieten, gewinnt die Erforschung physiologischer Wechselwirkungen zwischen Kieferwachstum und Stimmfunktion an Bedeutung [4], [5].

Ziel der Studie war es, zu klären, ob dentofaziale Merkmale – insbesondere Zahnbogenbreite, Overjet (horizontaler Überbiss) und Overbite (vertikaler Überbiss) – mit der Frequenz und Intensität der Stimme bei Heranwachsenden assoziiert sind. Zudem sollte geprüft werden, ob sich daraus modifizierbare kieferorthopädische Ansatzpunkte für die interdisziplinäre Förderung der Stimmgesundheit ableiten lassen.

Methodik

Die Datenerhebung erfolgte im Rahmen der LIFE Child-Studie in Leipzig [6], einer großen, laufenden Kohortenstudie. Eingeschlossen wurden 444 Kinder und Jugendliche (195 männlich, 249 weiblich) im Alter von 6 bis 17 Jahren mit vollständigen Daten zu Stimmprofilen und kieferorthopädischen Messungen. Die Stimmparameter (Grundfrequenz, Schalldruckpegel) wurden standardisiert in Sprech- und Singstimmprofilen erhoben. Die zahnärztliche Untersuchung umfasste Messungen von Overjet, Overbite und Zahnbogenbreite an Gipsmodellen nach RDC/TMD-Standard [7], [8]. Ergänzend wurden BMI und Pubertätsstatus und anamnestische Angaben zur Stimmgesundheit erfasst. Die statistische Auswertung erfolgte mittels t-Tests, Korrelationsanalysen und multivariaten Regressionsmodellen.

Ergebnisse

Jungen waren im Schnitt jünger (11,35 Jahre vs. 12,63 Jahre, p<0,001) und körperlich weniger weit entwickelt (Tanner-Stadium: 2,03 vs. 3,22, p<0,001) als Mädchen, wiesen jedoch größere Zahnbogenbreiten auf (maxillär: 42,15 mm vs. 40,61 mm; mandibulär 42,14 mm vs. 40,67 mm, p<0,001). In Bezug auf die Stimme zeigten Jungen niedrigere Grundfrequenzen (195,39 Hz vs. 212,85 Hz, p<0,001), aber höhere maximale Schalldruckpegel (SPL) als Mädchen (85,42 dB vs. 53,52 dB, p=0,032). Alter, Pubertätsstatus und Körpermaße korrelierten bei beiden Geschlechtern negativ mit der Frequenz – dieser Effekt war erwartungsgemäß bei Jungen besonders ausgeprägt. Einen Überblick geben die Heatmaps der Abbildungen 1 [Abb. 1] und Abbildung 2 [Abb. 2].

Abbildung 1: Männliche Stimmmerkmale vs. physische/demografische Faktoren (Rot: negativ, Blau: positiv. Farbintensität: Korrelationsstärke. * p<0,05, ** p<0,01, *** p<0,001)

Abbildung 2: Weibliche Stimmmerkmale vs. physische/demografische Faktoren (Rot: negativ, Blau: positiv. Farbintensität: Korrelationsstärke. * p<0,05, ** p<0,01, *** p<0,001)

Die Zahnbogenbreite zeigte bei Jungen eine signifikante negative Korrelation mit der minimalen Frequenz im Singstimmprofil: Breitere Kiefer waren mit tieferen Stimmen assoziiert (maxillär: r=-0,27, p<0,001; mandibulär: r=-0,22, p<0,005). Bei Mädchen war die Zahnbogenbreite hingegen mit einem Anstieg des minimalen SPL im Singstimmprofil verbunden (maxillär: r=0,18, p<0,01; mandibulär: r=0,21, p<0,01), nicht jedoch mit der Frequenz (maxillär: r=0,006, ns; mandibulär: r=-0,02, ns). Overjet und Overbite hatten keinen relevanten Einfluss auf die Stimmparameter (s. Abbildung 1 [Abb. 1] und Abbildung 2 [Abb. 2]).

Schlussfolgerungen

Die Studie untersuchte nach unserer Kenntnis weltweit erstmals systematisch den Zusammenhang zwischen Zahnbogendimensionen und Frequenzparametern der Kinder- und Jugendstimme. Insbesondere zeigt sich, dass die Kieferbreite als ein Indikator für die Deskription wachstumsbedingter Veränderungen des Vokaltrakts herangezogen werden können, die während der Pubertät anders verlaufen als die Entwicklung der Stimmparameter. Auf dieser Grundlage sollen weitere Studien den Zusammenhang zwischen Zahnbogendimensionen und spektralen Parametern des Stimmklangs und den Einfluss einer kieferorthopädischen Therapie untersuchen.


References

[1] McAllister A, Sederholm E, Sundberg J, Gramming P. Relations between voice range profiles and physiological and perceptual voice characteristics in ten-year-old children. J Voice. 1994;8(3):230-9. DOI: 10.1016/s0892-1997(05)80294-2
[2] O’Brien K, Wright JL, Conboy F, Macfarlane T, Mandall N. The child perception questionnaire is valid for malocclusions in the United Kingdom. Am J Orthod Dentofacial Orthop. 2006;129:536-40. DOI: 10.1016/j.ajodo.2004.10.014
[3] Sardenberg F, Martins MT, Bendo CB, Pordeus IA, Paiva SM, Auad SM, Vale MP. Malocclusion and oral health-related quality of life in Brazilian school children. Angle Orthod. 2013;83:83-89. DOI: 10.2319/010912-20.1
[4] Cheng L. Children of yesterday, today and tomorrow: global implications for child language. Folia Phoniatr Logop. 2000;52:39-47. DOI: 10.1159/000021511
[5] Powell M, Filter MD, Williams B. A longitudinal study of the prevalence of voice disorders in children from a rural school division. J Commun Disord. 1989;22:375-82. DOI: 10.1016/0021-9924(89)90012-9
[6] Poulain T, Baber R, Vogel M, Pietzner D, Kirsten T, Jurkutat A, Hiemisch A, Hilbert A, Kratzsch J, Thiery J, et al. The LIFE Child study: a population-based perinatal and pediatric cohort in Germany. Eur J Epidemiol. 2017;32:145-58. DOI: 10.1007/s10654-016-0216-9
[7] John MT, Hirsch C, Reiber T, Dworkin SF. Translating the research diagnostic criteria for temporomandibular disorders into German: evaluation of content and process. J Orofac Pain. 2006;20:43-52.
[8] John MT, Patrick DL, Slade GD. The German version of the Oral Health Impact Profile--translation and psychometric properties. Eur J Oral Sci. 2002;110:425-33. DOI: 10.1034/j.1600-0722.2002.21363.x