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41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
25.-28.09.2025
Münster


Vortrag

Machbarkeit von Tele-Einzel- und -Kleingruppentherapie in der logopädischen Behandlung von Kindern mit Sprachentwicklungsstörungen

L. Klaar 1
C. Gietmann 1
P. Mathmann 1
S. Alfakiani 1
J. Tücke 2
M. Scharpenberg 3
W. Brannath 3
S. Kloep 3
L. Meyer 1,4
K. Neumann 1
1Universitätsklinikum Münster, Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Münster, Deutschland
2SPZ des Heilpädagogisch-Therapeutischen Zentrums gGmbH, Neuwied, Deutschland
3Universität Bremen, Abteilung Biometrie, Kompetenzzentrum f. Klinische Studien, Bremen, Deutschland
4Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig, Deutschland

Abstract

Hintergrund: Die Therapie von Sprachentwicklungsstörungen ist der häufigste Grund für eine Heilmitteltherapie im Kindesalter. Standard ist eine 45-minütige ambulante Einzel-Präsenztherapie, die meist einmal wöchentlich stattfindet. Durch Therapieausfälle findet eine solche Therapie durchschnittlich nur 0,5–0,7-mal pro Woche statt. Hier könnte die Tele-Sprachtherapie Abhilfe schaffen. Hinzu kommt, dass durch den zunehmenden Fachkräftemangel immer längere Wartezeiten bestehen und logopädische Praxen weit entfernt sein können. Hier kann die Tele-Therapie die logopädische Betreuung von Kindern in unterversorgten Gebieten sicherstellen und einer ungleichen Stadt-Land-Verteilung von Fachkräften entgegenwirken.

Ein positiver Nebeneffekt der Tele-Therapie ist die Anwesenheit der einem Elternteils im Hintergrund, ohne dass das behandelte Kind sich während der logopädischen Behandlung von ihm beobachtet fühlt. Die Eltern erleben live, wie Lernziele geübt werden und welche Probleme ihre Kinder dabei überwinden müssen. So können Eltern die Lerninhalte besser in den Alltag integrieren als durch die in der Praxis üblichen kurzen Gespräche am Ende einer Präsenztherapie.

Trotz vieler Vorteile findet die Tele-Therapie nur schwer den Weg in die tägliche logopädische Praxis. Deshalb werden hier die Machbarkeit, die Hürden und die praktische Umsetzung näher beleuchtet.

Material und Methoden: Die Machbarkeit der Tele-Sprachtherapie als Einzel- oder Kleingruppentherapie wurde an 150 Kindern im Alter von 3;0 bis 6;11 Jahren mit einer Sprachentwicklungsstörung erforscht. Auch wurden Hürden und die Umsetzung in die tägliche logopädische Praxis thematisiert.

Ergebnisse: Die Tele-Sprachtherapie zeigt eine hohe Machbarkeit; allerdings sind mehrere Hürden bei betroffenen Familien und bei Fachkräften zu überwinden. Sie erfordert eine Anpassung des logopädischen Vorgehens. Besonders eine Tele-Therapie in Kleingruppen bildet hier eine Herausforderung.

Schlussfolgerungen: Die Tele-Sprachtherapie hat sich trotz vieler Vorteile noch nicht in der logopädischen Therapielandschaft etabliert, besonders wenn als Gruppentherapie durchgeführt. Beide Therapiekomponenten waren in einer vorherigen Studie (Siemons-Lühring et al. 2024) effektiv. In dieser lieferte eine Einzel-Teletherapie ein signifikant besseres sprachliches Outcome als eine Standard-Präsenztherapie und eine Kleingruppentherapie verpasste knapp die Signifikanz für eine Überlegenheit gegenüber einer Einzeltherapie.

Text

Hintergrund

Die Therapie von Sprachentwicklungsstörungen ist der häufigste Grund für eine Heilmitteltherapie im Kindesalter [1]. Die Standardtherapie ist eine 45-minütige ambulante Einzel-Präsenztherapie, die meist einmal wöchentlich terminiert ist. Aus verschiedenen Gründen (Krankheit, Urlaub, Mobilität, andere Termine und Aktivitäten) findet eine solche Therapie jedoch durchschnittlich nur 0,5–0,7 Mal pro Woche statt [2]. Dies bedeutet eine erhebliche Verschwendung von zeitlichen und personellen Ressourcen bei gleichzeitig stark zunehmendem Fachkräftemangel. Darüber hinaus wird die Gesamttherapiephase durch die häufigen Therapieausfälle verlängert und die Effektivität leidet, da Therapieinhalte nach 14 Tagen oft erneut aufgegriffen werden müssen. Eine regelmäßige Therapie, vielleicht sogar hochfrequent (3x wöchentlich), wäre wünschenswert, ist allerdings als Präsenztherapie im Familienalltag schwer umsetzbar. Die Tele-Sprachtherapie könnte in diesen Fällen Abhilfe schaffen, weil mehrere Gründe für eine Therapieabsage (z.B. krankes Geschwisterkind, Ausfall von Transportmöglichkeiten) wegfallen, wenn die Therapie online zu Hause stattfinden kann. Zudem ermöglicht der deutlich geringere Zeitaufwand eher Alternativ- bzw. Ausweichtermine. Auch die Durchführung einer hochfrequenten Therapie wäre als Tele-Therapie durch den deutlich geringeren zeitlichen und logistischen Aufwand für die Eltern möglich (An- und Abfahrt, Geschwisterunterbringung, wegfallende Wartezeiten). Darüber hinaus kann die Tele-Therapie der ungleichen Stadt-Land-Verteilung von Fachkräften entgegenwirken, da eine örtliche Gebundenheit der behandelnden Logopäd*innen nicht erforderlich ist und Fachkräfte aus besser versorgten Gebieten Kinder in unversorgten Gebieten remote therapieren können. Davon können auch betroffene Kinder profitieren, die sich für längere Zeit mit ihren Familien im Ausland aufhalten.

Ein positiver Nebeneffekt der Tele-Therapie ist die Anwesenheit eines Elternteils im Hintergrund, ohne dass das behandelte Kind sich während der logopädischen Therapie von ihm beobachtet fühlt. Die Eltern erleben live, wie Lernziele geübt werden und welche Probleme ihre Kinder dabei überwinden müssen. So können Eltern die Lerninhalte besser in den Alltag integrieren als durch die in der Praxis üblichen kurzen Gespräche am Ende einer Präsenztherapie. Obwohl die langen Wartelisten für einen Präsenz-Therapieplatz betroffene Familien und Logopäd*innen stark belasten [3], findet die Tele-Therapie nur schwer den Weg in die tägliche Praxis. Deshalb werden hier ihre Machbarkeit, mögliche Hürden und die praktische Umsetzung näher beleuchtet.

Material und Methoden

Die Machbarkeit von Tele-Sprachtherapie als Einzel- oder Kleingruppentherapie wurde an 150 Kindern im Alter von 3;0 bis 6;11 Jahren mit einer mittelschweren bis schweren Sprachentwicklungsstörung erforscht. Zu den Einschlusskriterien gehörten eine Normakusis, deutsche Muttersprache oder mindestens 10 Monate regelmäßiger Deutschkontakt sowie ein nonverbaler IQ von mindestens 85. Um Hürden und Hemmnisse der Tele-Einzel- und -Kleingruppentherapie zu erfassen, wurden halbstrukturierte Leitfadeninterviews mit Stakeholdern und Eltern betroffener Kinder durchgeführt. Die Fortschritte in der Sprachtherapie wurden anhand eines aggregierten Testwerts gemessen, der Sprachverständnis, semantisches Lexikon, Syntax-Morphologie, phonologisches Arbeitsgedächtnis und Aussprache umfasste.

Ergebnisse

Die Tele-Sprachtherapie zeigt eine hohe Machbarkeit; allerdings sind mehrere Widerstände bei betroffenen Familien und Logoppäd*innen zu überwinden. Viele Eltern lehnen eine Tele-Therapie zunächst ab, weil sie glauben, dass ihre Kinder sich vor dem Bildschirm nicht lange konzentrieren können. Auch die Extra-Bildschirmzeit sehen Eltern als Problem. Eine Probe-Teletherapie-Stunde ist hier sehr hilfreich, um den Eltern das Vorgehen zu zeigen und zu sehen, wie die betroffenen Kinder reagieren. Viele Eltern sind überrascht, dass ihre Kinder sich in der Tele-Therapie sehr gut konzentrieren können und sie sehr positiv annehmen. Für viele, besonders schüchterne Kinder ist die vertraute häusliche Umgebung in der Tele-Therapie vorteilhaft. Auch kann in der Probestunde die Technik überprüft und notfalls angepasst werden. So können Tablets verliehen werden, um die gewünschte Qualität in der Übertragung zu erreichen. Allerdings reicht in einigen Gegenden die Internetversorgung nicht aus, um die Tele-Therapie sicherzustellen. Die Logopäd*innen müssen die Vorgehensweise ihrer üblichen Präsenztherapie in ein online Format übersetzen, was eine Anpassung des logopädischen Vorgehens erfordert. Zu diesem Zweck müssen geeignete Therapiematerialien erstellt und neue Ideen entwickelt werden, da diese weitgehend fehlen. Besonders eine Tele-Therapie in Kleingruppen bildet hier eine Herausforderung.

Fazit

Die Tele-Sprachtherapie hat sich trotz vieler Vorteile noch nicht in der logopädischen Therapielandschaft etabliert, besonders wenn als Gruppentherapie durchgeführt. Die Therapiekomponenten Einzel-, Tele- und Kleingruppen-Intensivtherapie waren in einer vorherigen Studie effektiv [4]. In dieser lieferte eine Einzel- Teletherapie ein signifikant besseres sprachliches Outcome als eine Standard-Einzel-Präsenztherapie und eine Kleingruppen-Intensivtherapie verpasste knapp die Signifikanz für eine Überlegenheit gegenüber einer Standard-Einzel-Präsenztherapie. Die Tele-Therapie erfordert ein gut ausgebautes Internet und ein zuverlässiges, von den Krankenkassen zugelassenes, Softwareprogramm. Die digitale Umsetzung von evidenzbasierten Therapieansätzen ist möglich, allerdings sollte das Angebot an tele-therapeutisch geeigneten Therapiematerialien erweitert werden. Letzteres würde auch den Vorbereitungsaufwand erheblich reduzieren. Für die flächendeckende Einführung der Tele-Therapie in der Sprachtherapie, besonders als Kleingruppentherapie, werden entsprechende Fortbildungsangebote benötigt.


References

[1] Neumann K, Kauschke C, Fox-Boyer A, Lüke C, Sallat S, Kiese-Himmel C. Clinical practice guideline: Interventions for Developmental Language Delay and Disorders. Dtsch Arztebl Int. 2024 Mar 8;121(5):155-62. DOI: 10.3238/arztebl.m2024.0004
[2] Siemons-Lühring DI, Euler HA, Mathmann P, Suchan B, Neumann K. The Effectiveness of an Integrated Treatment for Functional Speech Sound Disorders-A Randomized Controlled Trial. Children (Basel). 2021 Dec 16;8(12):1190. DOI: 10.3390/children8121190
[3] Leder S. Die Versorgungssituation in der ambulanten Logopädie – Der Umgang mit Therapieplatzvergabe und Wartezeiten in der logopädischen Praxis. In: 53. dbl-Kongresses; 23.-24. Mai 2025; Bremen.
[4] Siemons-Lühring D, et al. Wirksamkeit von Therapie für Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen in verschiedenen Settings – Ergebnisse der randomisiert-kontrollierten Studie THESES. In: Interdisziplinäre Tagung über Sprachentwicklungsstörungen (ISES) 13; 15.-16. Nov 2024; Halle.