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41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
25.-28.09.2025
Münster


Vortrag

Schlucken und Alter: Kann ein präventives Gruppentraining das Schlucken positiv beeinflussen?

S. Miller 1
K. Hager 2
I. Fesser 2
F. Lodziewski 1
Y. Ziert 3
M. Ptok 1
W. Walther 2
1Medizinische Hochschule Hannover, Experimentelle Phoniatrie der HNO-Klinik, Hannover, Deutschland
2Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Allgemeinmedizin und Palliativmedizin, Hannover, Deutschland
3Medizinische Hochschule Hannover, Biometrie, Hannover, Deutschland

Abstract

Hintergrund: Im Alter können anatomische und neurophysiologische Veränderungen sowie verschiedene Erkrankungen die Schluckfunktion beeinflussen und das Auftreten einer Dysphagie begünstigen. Die kontrollierte und clusterrandomisierte Interventionsstudie „OrkA“ evaluiert, ob ein präventives Gruppentraining (GT) zur orofaziopharyngealen Aktivierung einen positiven Effekt auf die Schluckfunktion im Alter hat.

Material und Methoden: Es wurden 103 Bewohner*innen aus Altenpflegeeinrichtungen (APE) der Region Hannover in die Studie eingeschlossen. Durch Randomisierung der APE wurden 8 Kontroll- (KG) und 8 Interventionsgruppen (IG) gebildet. Das GT erfolgte 2x wöchentlich, für 60 Minuten über 12 Wochen und beinhaltete u.a. eine orofaziopharyngeale Aktivierung. Testungen vor dem GT (t0), nach dem GT (t1) und 6 Monate später (t2) erfolgten mittels Timed Test of Swallowing Capacity (TTSC) und Eating Assessment Tool (EAT-10). Zur Analyse der Veränderungen über die Zeit im Gruppenvergleich wurde eine gemischte Varianzanalyse mit Messwiederholung in SPSS (Version 29.0) durchgeführt.

Ergebnisse: Die Bewohner*innen waren durchschnittlich 83 Jahre alt und zu 80,6% weiblich.

Schluckgeschwindigkeit (ml/s): Es zeigte sich ein signifikanter Haupteffekt der Gruppe (p=,008). In paarweisen Vergleichen unterschied sich die IG zu t1 (p=,006) (MW IG: 11,62; MW KG: 8,55) und t2 (p=,004) (MW IG: 10,72; MW KG: 7,86) signifikant von der KG.

Bolusvolumen (ml): Es zeigte sich weder ein signifikanter Interaktionseffekt zwischen Gruppe und Messzeitpunkt (p=,223), noch ein signifikanter Haupteffekt von Messzeitpunkt (p=,780) oder Gruppe (p=,101). Erst paarweise Vergleiche zeigten einen signifikanten Unterschied zwischen IG und KG zu t1 (p=,036) (MW IG: 17,89; MW KG: 15,30), nicht jedoch zu t2 (p=,071) (MW IG: 18,17; MW KG: 15,48).

EAT-10 Summenscore: Es zeigte sich ein signifikanter Haupteffekt des Messzeitpunktes (p<,001). Der EAT-10 Summenscore erhöhte sich in beiden Gruppen (MW IG t0: ,61; t1: 2,03; t2: 2,40; MW KG: t0: ,89; t1: 1,14; t2: 2,02). Paarweise Vergleiche ergaben eine signifikante Erhöhung ausschließlich für die IG von t0 zu t1 (p<,001) und von t0 zu t2 (p=,003).

Schlussfolgerung: Das präventive Gruppentraining OrkA wirkt sich positiv auf die Schluckgeschwindigkeit älterer Menschen aus. Darüber hinaus scheint es sie für ihre Schluckschwierigkeiten zu sensibilisieren.

Text

Hintergrund

Im Alter können anatomische und neurophysiologische Veränderungen sowie verschiedene Erkrankungen die Schluckfunktion beeinflussen und das Auftreten einer Dysphagie begünstigen [1], [2]. Gleichzeitig werden Schluckstörungen im Alter nicht oder erst spät erkannt bzw. von den Betroffenen als normale Degenerationsprozesse im Alter angesehen [1]. Etwa die Hälfte von Bewohner*innen stationärer Altenpflegeeinrichtungen ist von einer Dysphagie betroffen [3], [4]. Aufgrund des demographischen Wandels und des medizinischen Fortschrittes steigt der Bedarf an fachärztlicher sowie therapeutischer Behandlung bei derzeit gleichbleibenden personellen Ressourcen [5]. Die kontrollierte und clusterrandomisierte Interventionsstudie „Orofaziopharyngeale und sprachlich-kommunikative Aktivierung im Alter (OrkA)“ evaluiert unter anderem, ob ein präventives Gruppentraining (GT) zur orofaziopharyngealen Aktivierung einen positiven Effekt auf die Schluckfunktion im Alter hat [6].

Material und Methoden

Es wurden 103 Bewohner*innen aus Altenpflegeeinrichtungen (APE) der Region Hannover, bei denen bis dahin keine Dysphagiediagnose und kein Dysphagie-Risiko vorlag, in die Studie eingeschlossen. Test- und Interventionsphasen erstreckten sich über den Zeitraum Juni 2023 bis Februar 2025. Durch Randomisierung der APE wurden 8 Kontroll- (KG) und 8 Interventionsgruppen (IG) gebildet. Das GT erfolgte 2x wöchentlich, für 60 Minuten über 12 Wochen und beinhaltete u.a. Übungen zur Aktivierung schluckrelevanter Strukturen. Testungen vor dem GT (t0), nach dem GT (t1) und 6 Monate später (t2) erfolgten mittels Timed Test of Swallowing Capacity (TTSC) [7] und Eating Assessment Tool (EAT-10) [8]. Untersucht wurden die mittlere Schluckgeschwindigkeit, das mittlere Bolusvolumen und das Dysphagie-Risiko. Zur Analyse der Veränderungen über die Zeit im Gruppenvergleich wurde eine gemischte Varianzanalyse mit Messwiederholung in SPSS (Version 29.0) durchgeführt. Fehlende Werte in Folge frühzeitigen Ausscheidens von Bewohner*innen wurden durch eine Mittelwertimputation (Mittelwert der jeweiligen Variable für die jeweilige Gruppe zum entsprechenden Testzeitpunkt) konservativ ersetzt.

Ergebnisse

Die Bewohner*innen waren zu Studienbeginn durchschnittlich 83 Jahre alt und zu 80,6% weiblich.

Schluckgeschwindigkeit (ml/s): Es zeigte sich ein signifikanter Haupteffekt der Gruppe (p=,008). In paarweisen Vergleichen unterschied sich die IG zu t1 (p=,006) (MW (SD) IG: 11,62 (5,63); MW (SD) KG: 8,55 (5,06)) und t2 (p=,004) (MW (SD) IG: 10,72 (5,37); MW (SD) KG: 7,86 (4,34)) signifikant von der KG.

Bolusvolumen (ml): Es zeigte sich weder ein signifikanter Interaktionseffekt zwischen Gruppe und Messzeitpunkt (p=,223), noch ein signifikanter Haupteffekt von Messzeitpunkt (p=,780) oder Gruppe (p=,101). Erst paarweise Vergleiche zeigten einen signifikanten Unterschied zwischen IG und KG zu t1 (p=,036) (MW (SD) IG: 17,89 (6,62); MW (SD) KG: 15,30 (5,37)), nicht jedoch zu t2 (p=,071) (MW (SD) IG: 18,17 (7,35); MW (SD) KG: 15,48 (7,54)).

EAT-10 Summenscore: Es zeigte sich ein signifikanter Haupteffekt des Messzeitpunktes (p<,001). Paarweise Vergleiche der Testzeitpunkte ergaben in Hinblick auf den Vergleich t0 zu t1 (p<,001) und t0 zu t2 (p=,001) ein signifikantes Ergebnis. Der EAT-10 Summenscore erhöhte sich in beiden Gruppen (MW (SD) IG t0: ,61 (,81); t1: 2,03 (2,52); t2: 2,40 (4,35); MW KG: t0: ,89 (,86); t1: 1,14 (1,39); t2: 2,02 (4,01)). Paarweise Vergleiche ergaben eine signifikante Erhöhung ausschließlich für die IG von t0 zu t1 (p<,001) und von t0 zu t2 (p=,003).

Diskussion

Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass Schluckgeschwindigkeit und Bolusvolumen in der IG durch ein präventives GT über den Interventionszeitraum erhalten bzw. leicht gesteigert werden konnten, während beide Parameter in der KG tendenziell abnahmen. Diese Ergebnisse sprechen für die Implementierung eines präventiven GT in Altenpflegeeinrichtungen, auch um zu klären, ob sich das Auftreten von Dysphagien im Alter durch ein präventives GT verhindern bzw. hinauszögern ließe.

Der signifikante Anstieg des mittleren EAT-10 Summenscores der Bewohner*innen der IG im Anschluss an die Interventionsphase bei gleichbleibender oder leicht verbesserter Schluckfunktion gemessen mit dem TTSC, könnte darauf hindeuten, dass diese durch das GT für Schluckschwierigkeiten sensibilisiert wurden.

Schlussfolgerung

Das präventive Gruppentraining OrkA wirkt sich positiv auf die Schluckfunktion älterer Menschen aus. Darüber hinaus scheint es sie für auftretende Schluckschwierigkeiten zu sensibilisieren. Es bleibt zu klären, ob ein GT zur orofaziophayngealen Aktivierung durch Verbesserung von Schluckfunktion und Selbstwahrnehmung einen Beitrag zur Prävention von Dysphagien leistet.


References

[1] Jungheim M, Schwemmle C, Miller S, Kühn D, Ptok M. Schlucken und Schluckstörungen im Alter [Swallowing and dysphagia in the elderly]. HNO. 2014 Sep;62(9):644-51. DOI: 10.1007/s00106-014-2864-y
[2] Muhle P, Suntrup-Krueger S, Wirth R, Warnecke T, Dziewas R. Schlucken im Alter: Physiologische Veränderungen, Schluckstörungen, Diagnostik und Therapie [Swallowing in the elderly: Physiological changes, dysphagia, diagnostics and treatment]. Z Gerontol Geriatr. 2019 May;52(3):279-89. DOI: 10.1007/s00391-019-01540-4
[3] Sarabia-Cobo CM, Pérez V, de Lorena P, Domínguez E, Hermosilla C, Nuñez MJ, Vigueiro M, Rodríguez L. The incidence and prognostic implications of dysphagia in elderly patients institutionalized: A multicenter study in Spain. Appl Nurs Res. 2016 May;30:e6-9. DOI: 10.1016/j.apnr.2015.07.001
[4] Doan TN, Ho WC, Wang LH, Chang FC, Nhu NT, Chou LW. Prevalence and Methods for Assessment of Oropharyngeal Dysphagia in Older Adults: A Systematic Review and Meta-Analysis. J Clin Med. 2022 May 6;11(9):2605. DOI: 10.3390/jcm11092605
[5] Pflug C, Flügel T, Nienstedt JC. Entwicklungen in der Dysphagiediagnostik: Vorstellung eines interdisziplinären Konzepts [Developments in dysphagia diagnostics: Presentation of an interdisciplinary concept]. HNO. 2018 Jul;66(7):506-14. German. DOI: 10.1007/s00106-017-0433-x
[6] Walther W, Ptok M, Hager K, Miller S. Study protocol of the OrkA project: orofacial and communicative activation in old age- a cluster randomized prevention study in long-term care facilities in Lower Saxony, Germany. BMC Geriatr. 2024 Feb 22;24(1):179. DOI: 10.1186/s12877-024-04809-5
[7] Nathadwarawala KM, Nicklin J, Wiles CM. A timed test of swallowing capacity for neurological patients. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 1992 Sep;55(9):822-5. DOI: 10.1136/jnnp.55.9.822
[8] Belafsky PC, Mouadeb DA, Rees CJ, Pryor JC, Postma GN, Allen J, Leonard RJ. Validity and reliability of the Eating Assessment Tool (EAT-10). Ann Otol Rhinol Laryngol. 2008 Dec;117(12):919-24. DOI: 10.1177/000348940811701210