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41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
25.-28.09.2025
Münster


Vortrag

Speichelfisteln nach postradiogener Laryngektomie. Können polymere Implantatmaterialien die Lebensqualität verbessern?

U. Hay 1
H. Steinhart 1
T. Wassermann 2
A. Emara 2
1Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie, Marienhospital, Abteilung Phoniatrie und Pädaudiologie, Stuttgart, Deutschland
2PolyMedics Innovations GmbH, Kirchheim, Deutschland

Abstract

Hintergrund: Speichelfisteln nach Salvage-Laryngektomie sind häufige, schwerwiegende Komplikationen mit einer erhöhten Morbidität und nachhaltig eingeschränkter Lebensqualität. Aufgrund der ungünstigen Gewebeverhältnisse nach Radiatio sind solche Fisteln therapeutisch schwer zu versorgen und in einem hohen Prozentsatz mit einem deutlich verlängerten stationärem Krankenhausaufenthalt verbunden. Die Minimierung des Risikos für solche Fisteln durch die Anwendung von abbaubaren, polymeren Implantatmaterialien würde eine neuartige Therapieoption in der onkologischen Kopf-, Halschirurgie darstellen.

Material und Methoden: Bei 7 Patienten erfolgte nach primärer Radiochemotherapie und histopathologischer Sicherung eines Rezidivs eine Salvage-Laryngektomie mit Abdeckung der Pharynxnaht mit SUPRATHEL® 250 als Off-Label-Use. Von den 7 Patienten hatten 5 Patienten ein Larynxkarzinom (rpT4a) und 2 Patienten ein Hypopharynxkarzinom (rpT3). Das durchschnittliche Alter der Patienten lag bei 70 Jahren (57–78 Jahre). Die Geschlechterverteilung Männer : Frauen betrug 6:1.

SUPRATHEL® ist eine innovative biologisch abbaubare mikroporöse Membran, die für den alloplastischen Epithelersatz zur Behandlung von epidermalen und dermalen Wunden zugelassen ist.

Ergebnisse: Bei 5 Patienten zeigte sich histopathologisch eine R1-Resektion. Bei diesen Patienten kam es im Rahmen des Tumorprogresses ohne das Auftreten von Fisteln zu letalen Tumorblutungen. Bei 1 Patienten zeigte sich eine Fistel kranial der Provoxprothese, die mittels eines Radialislappens verschlossen wurde. Die einzige weibliche Patientin entwickelte eine Fistel am kranialen Trachearand mit letaler Tumorblutung im Verlauf.

Die hydrolytische Degradation des Materials zu Laktat scheint über die pH-Wert-Verschiebung das zelluläre Wundheilungsmilieu zu fördern und den Gewebeaufbau zu stimulieren.

Schlussfolgerungen: Die Verbesserung der Lebensqualität von Patienten mit einem Rezidiv von Malignomen im oberen Aerodigestivtrakt gewinnt zunehmend an Bedeutung in der onkologischen Therapie. Die Anwendung von SUPRATHEL® 250 nach tumorchirurgischer Resektion im oberen Aerodigestivtrakt scheint eine neuartige therapeutische Option in der onkologischen Kopf-Halschirurgie darzustellen. In Zeiten der Ressourcenknappheit ist die Senkung der operativen Morbidität mit verkürzten Liegezeiten ein wesentlicher Parameter. In einem nächsten Schritt ist die Anwendung von SUPRATHEL® 250 auch bei Laryngektomien ohne vorangegangene Bestrahlung geplant, um das Risiko von Speichelfisteln zu minimieren.

Text

Hintergrund

Die Regenerative Medizin spielt eine vielversprechende Rolle bei der Entwicklung und Etablierung neuer Therapieoptionen mit dem Ziel, die Lebensqualität der Patienten nachhaltig zu verbessern. Die Anwendung von polymeren, abbaubaren Implantatmaterialien steht in der onkologischen Kopf-Hals-Chirurgie noch ganz am Anfang. Insbesondere die Phoniatrie, mit ihrem Fokus auf funktionelle Therapieergebnisse, kann dabei wertvolle Impulse zur Etablierung innovativer Behandlungskonzepte liefern. In einer monozentrischen Studie wurde eine postoperative Komplikationsrate von bis zu 92% nach Salvage-Laryngektomie (SL) berichtet [1]. Aktuelle systematische Übersichtsarbeiten zeigen hingegen eine durchschnittliche Komplikationsrate von etwa 67,5%, wobei pharyngokutane Fisteln mit einer Inzidenz von 28,9% (95%-KI: 25,5–32,5%) die häufigste schwerwiegende Komplikation darstellen [2]. Die im Vergleich zur Primäroperation erhöhte Komplikationsrate ergibt sich aus der reduzierten Wundheilung bedingt durch fibrotischen Umbau nach Operation und konsekutiver Radiochemotherapie [3]. Speichelfisteln sind dabei die häufigste schwerwiegende Komplikation in der initialen postoperativen Phase nach SL und führen häufig zu funktionellen, sozialen und ökonomischen Belastungen. Speichelfisteln sind therapeutisch schwer zu versorgen und in einem hohen Prozentsatz mit einem deutlich verlängerten stationären Krankenhausaufenthalt verbunden. In Zeiten der Ressourcenknappheit in der stationären Patientenversorgung könnte die Anwendung von abbaubaren, polymeren Implantatmaterialien in der onkologischen Kopf-Halschirurgie zur Senkung der operativen Morbidität, zur Verkürzung der Liegezeit und zur Verbesserung der Lebensqualität beitragen – insbesondere durch eine Reduktion des Risikos für Speichelfisteln. Ziel dieser Fallserie war es, die Anwendbarkeit und potenzielle Wirkung von Suprathel® 250 zur Fistelprävention nach SL zu evaluieren.

Material und Methoden

Bei sieben Patienten mit fortgeschrittenem Tumorrezidiv im Bereich des oberen Aerodigestivtrakts erfolgte nach primärer Radiochemotherapie eine SL mit pharyngealer Nahtabdeckung durch Suprathel® 250 im Off-Label-Use. Die Patienten waren im Durchschnitt 70 Jahre alt (Spanne 57–78 Jahre); das Geschlechterverhältnis betrug 6:1 (m:w).

Fünf Patienten litten initial an einem Larynxkarzinom (4× T3, 1× T4), davon wiesen zwei zervikale Lymphknotenmetastasen (cN1) auf; bei drei bestand kein Hinweis auf Lymphknotenbefall (cN0). Zwei Patienten hatten ein Hypopharynxkarzinom (beide T3) mit Lymphknotenmetastasen im Stadium cN1 bzw. cN2b. Alle Rezidive waren fortgeschritten: Bei den Larynxkarzinompatienten lagen jeweils T4a-Rezidive (rpT4a), bei den Hypopharynxkarzinompatienten T3-Rezidive (rpT3) vor.

Die Pharynxnaht erfolgte mehrschichtig mittels fortlaufender PDS 4-0 Naht und Einzelknopfnähten mit Vicryl 3-0. Anschließend erfolgte die Abdeckung mit Suprathel® 250. Bei Suprathel® handelt es sich um eine biologisch abbaubare Membran, die seit 2004 in der EU für den alloplastischen Hautersatz bei epidermalen und dermalen Wunden zugelassen ist. Suprathel® 250 ist chemisch und strukturell analog zum bekannten Suprathel®, unterscheidet sich jedoch durch die größere Querschnittsdicke (180–320 µm vs. 50–100 µm).

Die Membran weist eine interkonnektierende Porenstruktur ähnlich der menschlichen Haut auf. Sie besteht aus einem biologisch abbaubaren Terpolymer aus Laktid, Caprolacton und Trimethylencarbonat und weist eine hohe Elastizität und Flexibilität auf. Das Material wird vollständig hydrolytisch z.B. zu Laktat bzw. Milchsäure abgebaut und im Zitronensäurezyklus zu Kohlendioxid und Wasser metabolisiert.

Ergebnisse

Suprathel® 250 zeigte während der Anwendung im pharyngealen Milieu eine ausreichende chemische, enzymatische und bakterielle Stabilität. Histopathologisch zeigte sich bei 5 der 7 Patienten eine R1-Resektion. Bei diesen Patienten kam es im Rahmen des weiteren Tumorprogresses ohne das Auftreten von Fisteln zu letalen Tumorblutungen. Sie verstarben innerhalb von 4 bis 9 Monaten nach der Operation, blieben jedoch während dieser Zeit vollständig oralisiert. Dies stellt einen bemerkenswerten funktionellen Behandlungserfolg dar, da eine erhaltene orale Ernährung nach SL trotz ausgedehnter Tumorresektion und R1-Situation wesentlich zur Lebensqualität, Autonomie und palliativen Versorgung beiträgt. Zwei Patienten entwickelten postoperativ eine Fistel. Beide Patienten mussten vor der SL notfallmäßig aufgrund von Dyspnoe bei ausgedehntem Tumorrezidiv tracheotomiert werden. Bei einem der beiden Patienten zeigte sich eine Fistel kranial der Provoxprothese, die mittels eines Radialislappens verschlossen wurde. Der andere Patient (w) entwickelte eine Fistel am kranialen Trachearand, die im Verlauf zu einer letalen Tumorblutung führte.

Diskussion

Speichelfisteln stellen nach radiogener Laryngektomie oder Pharyngolaryngektomie eine schwerwiegende Komplikation dar. Durch die enzymatisch hochaktive Speichelsekretion können ausgedehnte Gewebedestruktionen bis hin zu Carotisarrosionen auftreten. Insbesondere nach Radiochemotherapie ist das Risiko aufgrund gestörter Wundheilung deutlich erhöht. Ein möglicher Therapieansatz zur Risikoreduktion scheint die Akzeleration der Wundheilung zu sein. Im Vergleich zu aufwendigeren rekonstruktiven Verfahren wie Radialis- oder Pectoralis-Major-Lappen bietet Suprathel® 250 eine einfach anzuwendende, minimalinvasive Option zur Fistelprophylaxe. Erste klinische Erfahrungen deuten auf ein Potenzial zur Senkung der Komplikationsrate und zur Erhaltung funktioneller Ergebnisse hin, möglicherweise begünstigt durch eine beschleunigte Wundheilung infolge lokaler pH-Verschiebung. Trotz begrenzter Fallzahl und fehlender Vergleichsgruppe liefern die bisherigen Ergebnisse wertvolle Hinweise auf die Anwendbarkeit und möglichen Vorteile des Materials.

Fazit

Die Verbesserung der Lebensqualität von Patienten mit fortgeschrittenen Tumorrezidiven im oberen Aerodigestivtrakt gewinnt in der onkologischen Therapie zunehmend an Bedeutung. In der vorliegenden Fallserie blieben 5 von 7 Patienten nach Salvage-Laryngektomie und Abdeckung der Pharynxnaht mit Suprathel® 250 ohne Fistelbildung und konnten vollständig oral ernährt werden. Die Anwendung von Suprathel® 250 nach tumorchirurgischer Resektion stellt damit eine vielversprechende therapeutische Option in der onkologischen Kopf-Halschirurgie dar. Angesichts steigender Anforderungen an die stationäre Versorgung ist die Senkung der operativen Morbidität mit verkürzten Liegezeiten bei Verbesserung der Lebensqualität ein wesentlicher Parameter. Eine Folgestudie zur Anwendung bei nicht vorbehandelten Laryngektomiepatienten ist in Vorbereitung.


References

[1] Sewnaik A, Keereweer S, Al-Mamgani A, Baatenburg de Jong RJ, Wieringa MH, Meeuwis CA, Kerrebijn JD. High complication risk of salvage surgery after chemoradiation failures. Acta Otolaryngol. 2012 Jan;132(1):96-100. DOI: 10.3109/00016489.2011.617779
[2] Hasan Z, Dwivedi RC, Gunaratne DA, Virk SA, Palme CE, Riffat F. Systematic review and meta-analysis of the complications of salvage total laryngectomy. Eur J Surg Oncol. 2017 Jan;43(1):42-51. DOI: 10.1016/j.ejso.2016.05.017
[3] Moreno MA, Wax MK, Gardner JR, Cannady SB, Graboyes EM, Bewley AF, Dziegielewski PT, Khaja SF, Bayon R, Ryan J, Al-Khudari S, El-Deiry MW, Ghanem TA, Huang A, Patel R, Higgins KM, Jackson RS, Patel UA. Reconstruction for Salvage Laryngectomy With Limited Pharyngectomy. JAMA Otolaryngol Head Neck Surg. 2024 Jun 1;150(6):492-9. DOI: 10.1001/jamaoto.2024.0103