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41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
25.-28.09.2025
Münster


Vortrag

Das Large Vestibular Aqueduct Syndrome – eine retrospektive Analyse assoziierter Hörstörungen

C. Männel 1,2
D. Mürbe 1
A. Hirschfelder 1
1Charité – Universitätsmedizin Berlin, Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Berlin, Deutschland
2Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften Leipzig, Leipzig, Deutschland

Abstract

Hintergrund: Das Large Vestibular Aqueduct Syndrom (LVAS) ist eine Innenohrfehlbildung, bei der Druckeinwirkungen oder Traumata zu fortschreitender Hörminderung bis zur Ertaubung führen können. Systematische Verlaufsdaten sind rar, jedoch zentral für die Prognose und sportbezogene Handlungsempfehlungen. Diese retrospektive Studie erfasst Alter bei Diagnosestellung, Hörverlauf und Versorgungsform und untersucht den Einfluss verschiedener Kopftraumata auf die Hörverschlechterung.

Material und Methoden: In einer retrospektiven Analyse wurden die demographischen und diagnostischen Daten aller Patient*innen unserer Klinik mit der Diagnose „Q16.5“ (Innenohrfehlbildung, WHO) in den Jahren 2018 bis 2025 erfasst und deskriptiv statistisch ausgewertet. Eingeschlossen wurden Fälle, bei denen ein audiometrisch gesicherter Hörverlust sowie radiologisch ein LVAS mit Erweiterung des vestibulären Aquädukts >1,5 mm vorlag, jedoch keine weiteren Mittel- oder Innenohrfehlbildungen festgestellt werden konnten.

Ergebnisse: Es konnten n=13 Patient*innen (9 weiblich) mit einem LVAS eingeschlossen werden, wobei bei n=7 das LVAS beidseitig vorlag (n=20 Ohren). Das mittlere Diagnosealter der Hörstörung lag bei 3,9 Jahren (SD=2,4). Hinsichtlich der Versorgung waren n=15 Ohren mit einem Hörgerät versorgt und n=5 mit einem Cochlea-Implantat (CI). Der Schweregrad der Hörstörung bei den mit Hörgeräten versorgten Ohren reichte von leicht (n=5) über mäßig (n=4), schwer (n=5) bis sehr schwer (n=1). In der Anamnese gaben n=2 Patient*innen Lärmtraumata an, die auf die Gabe von Prednisolon ansprachen. Bei n=2 Patient*innen gab es anamnestisch ein Anpralltrauma des Kopfes durch einen Ball, jedoch ohne folgende Hörverschlechterungen. Ein Patient berichtete über rezidivierende Stürze durch Skating ohne Helm mit Hörverschlechterungen bis zum vollständigen Hörverlust und anschließender Erholung, letztlich jedoch beidseitiger zeitversetzter CI-Implantation.

Schlussfolgerungen: Das Hörvermögen bei LVAS reicht von leichter Schwerhörigkeit bis zur Taubheit mit CI-Indikation. Lärm und Kopftraumata können eine deutliche Hörverschlechterung auslösen. Da der Verlauf individuell schwer vorhersehbar ist, sind bei vorliegendem LVAS Vorsichtsmaßnahmen hinsichtlich potenzieller Traumata und Lärmbelastung ratsam; Teilhabeeinschränkungen sollten individuell abgewogen werden.

Text

Hintergrund

Das Large Vestibular Aquaeduct Syndrome (LVAS) (ICD 10: Q16.5) ist eine Innenohrfehlbildung. Diese wird diagnostiziert, wenn der Aquaeductus vestibuli in einer Bildgebung des Kopfes (CT oder MRT) >1,5 mm (bzw. ≥2 mm am Operculum und/oder ≥1 mm am Mittelpunkt) gemessen wird [1], [2]. Klinisch geht dies mit fluktuierendem, progredientem Hörverlust einher, der teilweise mit Kopftraumata assoziiert ist [1], [3]. Valvassori und Clemis beschrieben 1978 erstmals Hörminderungen in Zusammenhang mit radiologischen Befunden des erweiterten Aquaeductus vestibuli [1].

Die klinische Prognose hinsichtlich des Hörvermögens bei vorliegendem LVAS ist häufig schwer einzuschätzen. Besonders problematisch ist das Risiko plötzlicher Hörverschlechterungen nach Bagatelltraumata; die resultierenden Hörstörungen können erhebliche Auswirkungen auf die Sprachentwicklung, schulische Teilhabe und Lebensqualität der betroffenen Kinder haben [4].

Ziel der aktuellen Studie ist die Erfassung der klinischen und audiologischen Charakteristika unserer Patient*innen mit der Diagnose LVAS, um eine mögliche Prognose der Hörkurvenverläufe und eine entsprechend fundiertere Beratung bzgl. des Sportverhaltens geben zu können.

Material und Methoden

Die vorliegende retrospektive Analyse basiert auf der systematischen Auswertung von Patient*innendaten aus der elektronischen Patientendatenbank der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Eingeschlossen wurden alle Patient*innen, die seit dem Jahr 2018 in der Klinik für Audiologie und Phoniatrie mit der ICD-10-Diagnose Q16.5 („Innenohrfehlbildung“) und einem audiometrisch dokumentierten Hörverlust behandelt wurden. Insgesamt wurden 25 Patient*innen identifiziert, von denen 12 aufgrund zusätzlicher Mittel- oder Innenohrfehlbildungen ausgeschlossen wurden. Die verbleibenden 13 Patient*innen wiesen ein radiologisch gesichertes LVAS auf.

Folgende Parameter wurden bei der Analyse erhoben: Geschlecht, aktuelles Alter, Alter bei Erstdiagnose, initiale Hörkurve, Verlauf der Hörkurven über den Beobachtungszeitraum, Vorhandensein anamnestisch dokumentierter Kopftraumata (z.B. Sturz, Ballanprall, Lärmereignisse) sowie mögliche damit assoziierte akute oder schleichende Hörverschlechterungen. Zusätzlich wurde die Art der Hörsystemversorgung und mögliche Änderungen im Verlauf (Hörgeräte, Cochlea-Implantate) erfasst. Die Daten wurden deskriptiv-statistisch analysiert.

Ergebnisse

Es konnten n=13 Patient*innen (9 weiblich) mit einem LVAS eingeschlossen werden, wobei bei n=7 das LVAS beidseitig vorlag (n=20 Ohren). Das mittlere Alter betrug 11,9 Jahre (SD=4,25), das mittlere Diagnosealter der Hörstörung lag bei 3,9 Jahren (SD=2,4). Hinsichtlich der Versorgung waren n=15 Ohren mit einem Hörgerät versorgt und n=5 mit einem Cochlea-Implantat (CI). Der Schweregrad der Hörstörung bei den mit Hörgeräten versorgten Ohren reichte von leicht (n=5) über mäßig (n=4), schwer (n=5) bis sehr schwer (n=1). Bei n=11 Ohren lag eine Schallleitungskomponente im Tieftonbereich vor.

In n=11 Ohren zeigte sich im Verlauf ein schwankender bzw. progredienter Hörverlust, der in n=6 Ohren mit Kopf- oder Lärmtraumata assoziiert war.

In der Anamnese gaben n=2 Patient*innen Lärmtraumata an, die auf die Gabe von Prednisolon ansprachen. Bei n=2 Patient*innen gab es anamnestisch ein Anpralltrauma des Kopfes durch einen Ball, jedoch ohne folgende Hörverschlechterungen. Ein Patient berichtete über rezidivierende Stürze durch Skating ohne Helm mit Hörverschlechterungen bis zum vollständigen Hörverlust und anschließender Erholung, letztlich jedoch beidseitiger zeitversetzter CI-Versorgung.

Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

In der aktuellen Studie reicht das Hörvermögen bei LVAS von leichter Schwerhörigkeit bis zur Taubheit mit CI-Indikation. Bei der Mehrzahl der Fälle lag eine Schallleitungskomponente im Tieftonbereich vor (siehe auch [5]).

Eine Progredienz der Hörstörung wurde in über 50% der Fälle beobachtet und ist nur in wenigen Fällen mit dokumentierten Lärm- oder Kopftraumata assoziiert. Vergleichbar zeigt sich in einer älteren Metaanalyse in 39,6% der Fälle eine Progredienz der Hörstörung bei LVAS, jedoch ohne eine bestätigte Assoziation zwischen Kopf- und Lärmtraumata [6].

Obwohl die aktuelle Studie keine klare Assoziation von Hörverschlechterungen bei LVAS mit Kopftraumata zeigt, kann in Einzelfällen eine Progredienz der Hörminderung bei LVAS ausgelöst durch einen Kopfanprall oder Lärm nicht ausgeschlossen werden. Da der individuelle Verlauf schwer vorhersehbar ist, sind Vorsichtsmaßnahmen hinsichtlich potenzieller Traumata und Lärmbelastung ratsam; Teilhabeeinschränkungen sollten abgewogen und mit den Betroffenen individuell abgestimmt werden.


References

[1] Valvassori GE, Clemis JD. The large vestibular aqueduct syndrome. Laryngoscope. 1978 May;88(5):723-8. DOI: 10.1002/lary.1978.88.5.723
[2] Boston M, Halsted M, Meinzen-Derr J, Bean J, Vijayasekaran S, Arjmand E, Choo D, Benton C, Greinwald J. The large vestibular aqueduct: a new definition based on audiologic and computed tomography correlation. Otolaryngol Head Neck Surg. 2007 Jun;136(6):972-7. DOI: 10.1016/j.otohns.2006.12.011
[3] Madden C, Halsted M, Benton C, Greinwald J, Choo D. Enlarged vestibular aqueduct syndrome in the pediatric population. Otol Neurotol. 2003 Jul;24(4):625-32. DOI: 10.1097/00129492-200307000-00016
[4] Liu X, Huang W, Wang Y, Xu J, Xie L, Liu L, Chen J. Timing of cochlear implantation in large vestibular aqueduct syndrome-a retrospective cohort analysis. Front Neurol. 2025 Mar 21;16:1562198. DOI: 10.3389/fneur.2025.1562198
[5] Pang J, Wang Y, Cheng Y, Chi F, Li Y, Ni G, Ren D. Conductive hearing loss in large vestibular aqueduct syndrome -clinical observations and proof-of-concept predictive modeling by a biomechanical approach. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2021 Jul;146:110752. DOI: 10.1016/j.ijporl.2021.110752
[6] Alemi AS, Chan DK. Progressive Hearing Loss and Head Trauma in Enlarged Vestibular Aqueduct: A Systematic Review and Meta-analysis. Otolaryngol Head Neck Surg. 2015 Oct;153(4):512-7. DOI: 10.1177/0194599815596343