41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
Verbale und nonverbale Interaktion bei Schwerhörigen und deren Angehörigen
2Universität Bern, Institut für Psychologie, Klinische Psychologie und Psychotherapie, Bern, Schweiz
Abstract
Hintergrund: Eine chronische Hörminderung kann durch die dadurch bedingte eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit zu Störungen in der verbalen und der nonverbalen Interaktion zwischen einer schwerhörigen Person (SH) und seinem nahestehenden Angehörigen (SO) führen. Eine gute Interaktion ist jedoch wichtig für das soziale Miteinander und die emotionale Verbundenheit. Ziel der Studie war es, die verbale und die nonverbale Interaktion zwischen SH und SO zu erfassen.
Material und Methoden: Bei 30 Dyaden bestehend aus SH im Alter von Ø 61,97 (9,18) und SO von Ø 56,37 (15,20) Jahren erfolgte eine Videoaufnahme eines 10-minütigen Gespräches, anhand dessen die nonverbale Synchronie (in Bezug auf synchrone Bewegungen, Führung durch SH oder SO) mit der Motion Energy Analysis (MEA) und die verbale Interaktion (in Bezug auf Sprechanteile, Wiederholungen und Fragen) mit der Software Interact (Mangold®) untersucht wurden. Desweiteren wurden die hörbezogene Lebensqualität (Nijmegen Questionnaire), die Belastung des Angehörigen (SOS-Hear) und die Nähe in der Beziehung (IOS) erfasst.
Ergebnisse: Die nonverbale Synchronie war signifikant höher als die Pseudosynchronie (p=0,017). Dabei war bei männlichen SH die Führung durch den Angehörigen signifikant höher als bei weiblichen SH (p=0,047). In der verbalen Interaktion zeigte sich ein knapp nicht signifikant höherer Sprechanteil des SH (p=0,057); der SH stellte jedoch signifikant mehr Rückfragen (p=0,001) und es gab mehr Wiederholungen des SO (p<0,001).
Verbale und nonverbale Interaktion korrelierten nicht signifikant (p>0,05) miteinander. Während die nonverbale Synchronie mit der empfundenen Nähe in der Beziehung korrelierte (p<0,05), fand sich ein Zusammenhang zwischen der verbalen Interaktion und der hörbezogenen Lebensqualität (p<0,001). Je häufiger Rückfragen gestellt wurden, desto höher war die Belastung des SO (p<0,001).
Schlussfolgerungen: Der in der CI-REHA routinemäßig eingesetzte Nijmegen Fragebögen korreliert allein mit der verbalen Interaktion. Eine Aussage zur Beziehungsqualität gibt dieser nicht. Diese ist jedoch für den Erfolg einer Hörrehabilitation von großer Bedeutung und sollte in Zukunft stärker in den Fokus gerückt werden.
Text
Einleitung
Eine chronische Hörminderung kann durch die dadurch bedingte eingeschränkte Kommunikationsfähigkeit zu Störungen in der verbalen und der nonverbalen Interaktion zwischen einer schwerhörigen Person (SH) und seinem nahestehenden Angehörigen (SO) führen. Dies kann eine Abnahme von Spontanität und Tiefe in der Kommunikation bedingen und einen Einfluss auf Qualität und Intimität in der Beziehung haben [1]. Im Rahmen der nonverbalen Interaktion kann es zu Angleichungsprozessen, der sogenannten nonverbalen Synchronie, kommen, die einen Effekt auf das gemeinsame soziale Erleben hat [2]. Eine gute Interaktion ist wichtig für das soziale Miteinander und die emotionale Verbundenheit. Die nonverbale Synchronie kann durch die „Motion Energy Analysis“ (MEA) objektiv erfasst werden (Ramseyer, 2020) und gibt, wie in Studien der Psychotherapie bereits gezeigt, Hinweise zur Patienten-Therapeuten-Beziehung [3], [4]. Ziel der vorliegenden Studie war es, die verbale und die nonverbale Interaktion in Form der nonverbalen Synchronie zwischen SH und SO zu erfassen.
Methode
Bei 30 Dyaden bestehend aus SH im Alter von Ø 61,97 (9,18) und SO von Ø 56,37 (15,20) Jahren erfolgte eine Videoaufnahme eines 10-minütigen Gespräches, anhand dessen die nonverbale Synchronie (in Bezug auf synchrone Bewegungen, Führung durch SH oder SO) mit der Motion Energy Analysis (MEA 4.10) [5]) und die verbale Interaktion (in Bezug auf Sprechanteile, Wiederholungen und Fragen) mit der Software Interact (Mangold®) untersucht wurden. Des Weiteren wurden die hörbezogene Lebensqualität (Nijmegen Questionnaire), die Belastung des Angehörigen (SOS-Hear) und die Nähe in der Beziehung (IOS) erfasst.
Ergebnisse
Die nonverbale Synchronie war signifikant höher als die Pseudosynchronie (d=0.566; p=0.017). Dabei war bei männlichen SH die Führung durch den Angehörigen signifikant höher als bei weiblichen SH (p=0.047). In der verbalen Interaktion zeigte sich ein knapp nicht signifikant höherer Sprechanteil des SH (39.63% (10.96) vs. 33.38% (11.14); p=0.057); der SH stellte jedoch signifikant mehr Rückfragen (2.23 (2.91) vs. 0.37 (0.67); p=0.001) und es gab mehr Wiederholungen des SO (3.30 (4.01) vs. 0.33 (0.66); p<0.001). Verbale und nonverbale Interaktion korrelierten nicht signifikant (r=0.008–0.129; p>0.05) miteinander. Während die nonverbale Synchronie mit dem SO in der führenden Position mit der empfundenen Nähe in der Beziehung durch den SH (r=-0.6; p=<0.001) und dem SO (r=-0.427; p=0.019) korrelierte, fand sich ein Zusammenhang zwischen der verbalen Interaktion und der hörbezogenen Lebensqualität (p<0.001). Je häufiger Rückfragen durch den SH gestellt wurden (r=-0.593; p<0.001) und Wiederholungen durch den SO erfolgten (r=-0.639; p<0.001), desto höher war die Belastung des SO.
Diskussion/Schlussfolgerung
Der in der CI-REHA routinemäßig eingesetzte Nijmegen Fragebögen zur Erfassung der hörbezogenen Lebensqualität korreliert allein mit der verbalen Interaktion. Eine Aussage zur Beziehungsqualität gibt dieser jedoch nicht. Bisher wurde die Beziehung zwischen SO und SH meist durch Interviews und Fragebögen erfasst [6], [7]. Eine gute Beziehungsqualität zwischen SO und SH ist jedoch für den Erfolg einer Hörrehabilitation von großer Bedeutung und sollte in Zukunft stärker in den Fokus gerückt werden. Die Bestimmung der nonverbalen Synchronie könnte dabei als objektiver Marker zur Erfassung der Beziehungsqualität von Menschen mit Schwerhörigkeit und deren Angehörigen dienen und als Basis für therapeutische Maßnahmen im Rahmen der Hörrehabilitation in Zukunft genutzt werden.
References
[1] Govender NG, Maistry N, Soomar N, Paken J. Hearing loss within a marriage: perceptions of the spouse with normal hearing. S Afr Fam Pract. 2014;56(1):50-6. DOI: 10.1080/20786204.2014.10844583[2] Rennung M, Göritz AS. Prosocial Consequences of Interpersonal Synchrony: A Meta-Analysis. Z Psychol. 2016;224(3):168-89. DOI: 10.1027/2151-2604/a000252
[3] Altmann U, Schoenherr D, Paulick J, Deisenhofer AK, Schwartz B, Rubel JA, Stangier U, Lutz W, Strauss B. Associations between movement synchrony and outcome in patients with social anxiety disorder: Evidence for treatment specific effects. Psychother Res. 2020 Jun;30(5):574-90. DOI: 10.1080/10503307.2019.1630779
[4] Ramseyer F, Tschacher W. Nonverbal synchrony in psychotherapy: coordinated body movement reflects relationship quality and outcome. J Consult Clin Psychol. 2011 Jun;79(3):284-95. DOI: 10.1037/a0023419
[5] Ramseyer FT. Motion energy analysis (MEA): A primer on the assessment of motion from video. J Couns Psychol. 2020 Jul;67(4):536-49. DOI: 10.1037/cou0000407
[6] Anderson DL, Noble W. Couples’ attributions about behaviours modulated by hearing impairment: links with relationship satisfaction. Int J Audiol. 2005 Apr;44(4):197-205. DOI: 10.1080/14992020500057699
[7] Barker AB, Leighton P, Ferguson MA. Coping together with hearing loss: a qualitative meta-synthesis of the psychosocial experiences of people with hearing loss and their communication partners. Int J Audiol. 2017 May;56(5):297-305. DOI: 10.1080/14992027.2017.1286695