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41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
25.-28.09.2025
Münster


Vortrag

Retrospektive Evaluation des Hörens im Störschall bei Kindern und Jugendlichen mit Cochlea-Implantat

L. Prein 1
P. Mathmann 1
K. J. Neumann 1
1Universitätsklinikum Münster, Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Münster, Deutschland

Abstract

Hintergrund: Kinder entwickeln nach einer Versorgung mit Cochlea-Implantaten (CI) schnell ein gutes Sprachverstehen. Faktoren dieser Entwicklung sind unter anderem das Alter bei der Implantation, das Lebensalter sowie linguistische und neurpsychologische Voraussetzungen und einige mehr.

Für den Alltag der Kinder mit CI hat nicht nur das Hören in Ruhe eine Bedeutung, sondern umso mehr das Hören im Störschall. Ein erster Test im Störschall, der bei Kindern durchgeführt werden kann, ist der Oldenburger Kinder-Satztest (Olkisa).

Das Hören im Störschall kann wie in Ruhe vom Implantationsalter, von der Zeit seit der Versorgung aber auch vom Sprachprozessormodell abhängen. Diese ausgewählten Faktoren wurden in einer retrospektiven Studie untersucht.

Material und Methoden: Es wurden die Daten von 82 Kindern retrospektiv erfasst, bei denen ein Olkisa nach Anpasssitzungen durchgeführt wurde (Implantationsalter: 7 M bis 17 a 4 M, Median 2 a 5 M; Testzeitpunkt seit Implantation: 1 M bis 14 a 8 M, Median 5 a 4 M). Für jedes Kind gingen mehrere Messungen in die Auswertung ein (insgesamt 207). Die verwendeten CI-Systeme waren von der Firma Cochlear mit den Sprachprozessoren CP810 (43 Messungen), CP910 (84), CP1000 (70), CP1110 (10). Der Einfluss der Faktoren Sprachprozessor, Alter bei CI-Versorgung und Zeit seit der Versorgung wurde mit einer 3-Wege-ANOVA überprüft.

Ergebnisse: Die ANOVA ergab für den Faktor Sprachprozessor einen signifikanten Einfluss (F=4,89, p<0,003), das Alter bei CI-Versorgung und die Zeit seit CI-Versorgung waren nicht signifikant (F=0,11, p=0,63 bzw. F=0,24, p=0,74). Die Wechselwirkungen zwischen den Faktoren waren für den Sprachprozessor / Zeit seit CI-Versorgung signifikant (F=3,3, p=0,02) und hoch signifikant für Sprachprozessor / Alter bei CI-Versorgung (F=6,31, p=0,0004).

Schlussfolgerungen: Der signifikante Einfluss des Sprachprozessors in dieser retrospektiven Studie zeigt die Bedeutung von Algorithmen zur Störschallunterdrückung auf, die hier bei neueren Modellen Einfluss auf die Testergebnisse haben. Eine erwartete Besserung bei längerer Zeit mit Cochlea-Implantat wird bei der Probandengruppe sicherlich dadurch überlagert, dass Kinder, die gut im Störschall verstehen, zum schwierigeren Oldenburger Satztest gewechselt sind.

Die hohe Signifikanz der Wechselwirkung zwischen Sprachprozessor und Alter bei der CI-Versorgung, könnte so erklärt werden, dass früh versorgte Kinder ein besseres Sprachverstehen haben und damit länger bei einen älteren Sprachprozessor nutzen.

Text

Einleitung

Kinder mit einem Cochlea-Implantat (CI) erreichen häufig innerhalb kurzer Zeit ein Sprachverstehen, das mit dem von hörgesunden Gleichaltrigen vergleichbar ist. Mehrere Faktoren beeinflussen diese Entwicklung maßgeblich. Vor allem das Alter bei der Implantation erweist sich als ein entscheidender Faktor: Jüngere Kinder, die frühzeitig mit einem CI versorgt werden, erzielen meist ein besseres Sprachverstehen als später implantierte Kinder [1], [2], [3].

Im Alltag von Kindern mit CI ist das Sprachverstehen unter realistischen akustischen Bedingungen – insbesondere bei Hintergrundgeräuschen – von zentraler Bedeutung. In realen Kommunikationssituationen im schulischen oder sozialen Kontext stehen Kinder häufig vor der Herausforderung, Sprache auch bei Hintergrundgeräuschen zu verstehen. Dieses Sprachverstehen im Störschall hängt – ähnlich wie das Sprachverstehen in Ruhe – vom Alter bei der Implantation [4] als auch vom Lebensalter [5] und technischen Faktoren wie dem Modell des Sprachprozessors ab [6].

Für diese Studie wurden retrospektiv Datensätze von Kindern mit CI, bei denen in unserer Klinik ein Oldenburger Kinder-Satztest (Olkisa) [5] durchgeführt wurde, gesammelt und ausgewertet. Es wurden die genannten Einflussfaktoren, das Implantationsalter, die Zeit seit der Cochlea-Implantat-Versorgung und das verwendete Sprachprozessormodell ausgewählt und untersucht, um deren jeweilige Bedeutung für das Sprachverstehen im Störschall bei Kindern mit CI zu evaluieren.

Methoden

In die retrospektive Analyse wurden die Daten von 82 Kindern einbezogen, bei denen nach der audiologischen Anpassung und Kontrolle des CI-Systems ein Olkisa durchgeführt wurde. Das Implantationsalter lag zwischen 0;7 und 17;4 Jahren (Median 2;5 Jahre). Das Alter bei den Messungen reichte von 4;6 bis 17;10 Jahren (Median 8;10 Jahre). Die Differenz zwischen Testzeitpunkt, an dem der Olkisa durchgeführt wurde, und der Implantation betrug 0;1 bis 14;8 (Median 5;4 Jahre). Für jedes Kind gingen mehrere Messungen in die Auswertung ein (insgesamt 207). Ausgewertet wurden Messungen mit CI-Systemen der Firma Cochlear bei denen die Sprachprozessoren CP810 (43 Messungen), CP910 (84), CP1000 (70) und CP1110 (10) verwendet wurden. Der Einfluss der Faktoren Sprachprozessor, Alter bei CI-Versorgung und Zeit seit CI-Versorgung wurde mit einer 3-Wege-ANOVA überprüft.

Ergebnisse

Die ANOVA ergab für den Faktor Sprachprozessor einen signifikanten Einfluss (F=4,89, p<0,003), die Faktoren Alter bei CI-Versorgung und Zeit seit der CI-Versorgung waren nicht signifikant (F=0,11, p=0,63 bzw. F=0,24, p=0,74). Die Wechselwirkungen waren zwischen den Faktoren Sprachprozessor/Zeit seit CI-Versorgung signifikant (F=3,3, p=0,02) und hoch signifikant zwischen den Faktoren Sprachprozessor/Alter bei CI-Versorgung (F=6,31, p=0,0004). Die weitere Analyse zeigte, dass sich die Ergebnisse mit dem Sprachprozessor CP810 von denen mit CP910 und CP1000 unterschieden (p=0,005 bzw. p=0,007). Die beobachteten Interaktionseffekte lassen sich derzeit nicht eindeutig interpretieren und bedürfen weiterer Analyse. Während sich die Ergebnisse mit dem CP810 bei höherem Implantationsalter verschlechtern, finden sich bei den anderen Prozessoren keine Trends.

Abbildung 1 [Abb. 1]

Abbildung 1: Links: Die Sprachverständlichkeitsschwelle liegt bei neueren Sprachprozessoren bei besseren Werten. Der CP810 unterscheidet sich hochsignifikant (**) vom CP910 und CP1000. Rechts: Der Einfluss des Alters bei der CI-Versorgung variiert bei den verschiedenen Prozessoren.

Diskussion

Der in vielen anderen Studien gezeigte Einfluss des Implantationsalters auf das Sprachverstehen wie sie von Letizia et al. [4] kürzlich auch für das Hören im Störschall gezeigt werden konnte, konnte in dieser Studie mit retrospektiv analysierten Daten nicht nachvollzogen werden. Die Ergebnisse belegen einen signifikanten Einfluss des Sprachprozessormodells auf das Sprachverstehen im Störschall und unterstreichen die Bedeutung technologischer Weiterentwicklungen für die langfristige partizipative Teilhabe von CI-versorgten Kindern. Kinder erzielten mit moderneren Sprachprozessoren (CP910, CP1000) signifikant bessere Ergebnisse als solche mit dem älteren CP810. Dies unterstreicht die klinische Bedeutung technischer Weiterentwicklungen [6]. Insbesondere ist eine mögliche Selektionsverzerrung zu berücksichtigen, da Kinder mit guten Ergebnissen im Störschalltest häufiger auf schwierigere Testformate umgestellt wurden. Eine erwartete Verbesserung bei längerer Zeit mit Cochlea-Implantat wird bei der Probandengruppe sicherlich dadurch überlagert, dass Kinder, die gut im Störschall verstehen, zum schwierigeren Oldenburger Satztest gewechselt sind. Andere Kinder wurden wiederum auf neuere Sprachprozessormodelle umversorgt.

Die Interaktion zwischen Sprachprozessormodell und Implantationsalter deutet auf einen moderierenden Effekt hin: Früh versorgte Kinder profitieren möglicherweise länger von älteren Prozessormodellen, was differenzierte Längsschnittanalysen erforderlich macht.

Die sequentielle bilaterale CI-Versorgung stellt einen relevanten Störfaktor dar, der das scheinbar höhere Implantationsalter bei einzelnen Probanden erklären könnte und in zukünftigen Analysen kontrolliert werden sollte. In diesen Fällen ergibt sich ein höheres Implantationsalter bei anfangs schlechterem Sprachverstehen.


References

[1] Dettman SJ, Pinder D, Briggs RJ, Dowell RC, Leigh JR. Communication development in children who receive the cochlear implant younger than 12 months: risks versus benefits. Ear Hear. 2007 Apr;28(2 Suppl):11S-18S. DOI: 10.1097/AUD.0b013e31803153f8
[2] Nicholas JG, Geers AE. Effects of early auditory experience on the spoken language of deaf children at 3 years of age. Ear Hear. 2006 Jun;27(3):286-98. DOI: 10.1097/01.aud.0000215973.76912.c6
[3] Nicholas JG, Geers AE. Will they catch up? The role of age at cochlear implantation in the spoken language development of children with severe to profound hearing loss. J Speech Lang Hear Res. 2007 Aug;50(4):1048-62. DOI: 10.1044/1092-4388(2007/073)
[4] Letizia G, Chiara F, Sara G, Maria N, Patrizia M, Enrico F, Cuda D. Speech perception in noise in adolescents with cochlear implant. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2025 Jun;193:112317. DOI: 10.1016/j.ijporl.2025.112317
[5] Wagener KC, Kollmeier B. Evaluation des Oldenburger Satztests mit Kindern und Oldenburger Kinder-Satztest. Z Audiol. 2005;44:134-43.
[6] Dixon PR, Shipp D, Smilsky K, Lin VY, Le T, Chen JM. Association of Speech Processor Technology and Speech Recognition Outcomes in Adult Cochlear Implant Users. Otol Neurotol. 2019 Jun;40(5):595-601. DOI: 10.1097/MAO.0000000000002172