Deutscher Rheumatologiekongress 2025
Deutscher Rheumatologiekongress 2025
Anfang Siebzig und plötzlich Muskelschwäche – Spurensuche bei einer spät erkannten neuromuskulären Erkrankung
Text
Vorgeschichte: Ein 71-jähriger männlicher Patient stellte sich mit initial massiver Schmerzempfindlichkeit und Schwellungen der Fingerspitzen sowie Papeln der dorsalen Handseite vor. Zusätzlich zeigten sich die Augenlieder geschwollen und es wurde ein Erythem im Gesicht mit Juckreiz bemerkt. Auf Nachfrage äußerte der Patient eine Schwäche der proximalen Muskulatur sowie eine Dysphagie mit auch krampfartigen Schmerzen beim Schlucken und es bestand eine B-Symptomatik mit einem ungewollten Gewichtsverlust von 5 kg in 6 Monaten.
Arthralgien, Dyspnoe und Fieber wurden verneint.
Die letzte Koloskopie sei 01/2024 unauffällig gewesen. Es erfolgte aufgrund der multiplen und komplexen Beschwerden mit V.a. das Vorliegen einer malignen Erkrankung eine stationäre Abklärung.
Leitsymptom bei Krankheitsmanifestation: Deutlich reduzierter Allgemeinzustand mit proximaler Muskelschwäche, Exanthem und B-Symptomatik.
Diagnostik:
Labor:
- Keine Hinweise auf humorale Entzündungsaktivität
- CK 840 U/l
- Immun- und Infektionsserologie: ANA 1:2560 AC-4 Muster, ENA negativ; MI-2, SRP-AK positiv Hepatitis B/C negativ, Keine eindeutigen Hinweise für eine Infektion
Bildgebende Verfahren:
- CT-Thorax und -Abdomen: Keine Hinweise auf pulmonale Beteiligung oder Paraneoplasie
- Kapillarmikroskopie: Befund vereinbar mit einer Kollagenose
- MRT-Oberarme: Ödemsignale betont rechts im Musculus Supra- und Infraspinatus sowie der autochthonen Rückenmuskulatur, passend zu einer Myositis
Histologie:
- - Muskelbiopsie: Deutliche nicht einzuordnende myopathische Veränderungen
- - Nachbestimmung Charite, Institut für Neuropathologie: Skelettmuskulatur mit Zeichen einer sehr seltenen Manifestation einer Myositis DD im Rahmen einer Tubular aggregate myopathy, Genetische Untersuchung empfohlen
Konsile:
- Augenheilkunde: Diabetische Retinopathie
- Neurologische Mitbeurteilung: Ausstehend
Therapie: Aufgrund fehlender diagnostischer Daten, jedoch bei ausgeprägtem Leidensdruck, wurde zunächst eine Therapie mit Prednisolon 10mg eingeleitet. Darunter zeigte sich eine deutliche Besserung der Beschwerden.
Weiterer Verlauf: Die klinischen Symptome mit progredienter proximaler Muskelschwäche, Dysphagie, Exanthem und B-Symptomatik führten initial zur Verdachtsdiagnose einer entzündlichen Myopathie mit möglichem paraneoplastischem Hintergrund. Die bildgebenden und laborchemischen Befunde stützten den Verdacht auf eine Myositis.
Die histopathologische Analyse der Muskelbiopsie zeigte unspezifische myopathische Veränderungen, welche durch eine neuropathologische Zweitbeurteilung in Richtung einer Tubular Aggregate Myopathy (TAM) eingeordnet wurden – einer sehr seltenen, meist genetisch bedingten Myopathie mit gestörter Kalziumhomöostase [1]. TAM kann autosomal-dominant oder -rezessiv vererbt sein [2], wobei Mutationen in STIM1, ORAI1 oder CASQ1 beschrieben sind [1]. Diese Gene spielen eine zentrale Rolle in der Calcium-Signalweiterleitung (SOCE, store-operated calcium entry), einem essenziellen Mechanismus für die Muskelzellfunktion.
Die typischen klinischen Manifestationen – Muskelschwäche, Schmerzen, krampfartige Beschwerden und rasche Ermüdung [3] – passen retrospektiv gut zum Bild dieser Erkrankung. Unklar bleibt, ob die zusätzlich beobachteten dermatologischen Symptome und laborchemischen Autoantikörper eine begleitende Myositis im engeren Sinn nahelegen oder Teil eines komplexeren Phänotyps sind.
Eine genetische Testung sowie die neurologische Mitbeurteilung sind aktuell noch ausstehend, erscheinen jedoch essenziell zur weiteren Einordnung.
References
[1] Morin G, Biancalana V, Echaniz-Laguna A, Noury JB, Lornage X, Moggio M, Ripolone M, Violano R, Marcorelles P, Maréchal D, Renaud F, Maurage CA, Tard C, Cuisset JM, Laporte J, Böhm J. Tubular aggregate myopathy and Stormorken syndrome: Mutation spectrum and genotype/phenotype correlation. Hum Mutat. 2020 Jan;41(1):17-37. DOI: 10.1002/humu.23899[2] Jain D, Sharma MC, Sarkar C, Suri V, Sharma SK, Singh S, Das TK. Tubular aggregate myopathy: a rare form of myopathy. J Clin Neurosci. 2008 Nov;15(11):1222-6. DOI: 10.1016/j.jocn.2007.11.010.
[3] Tubular aggregate myopathy. Verfügbar unter: https://rarediseases.info.nih.gov/diseases/3884/index