41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
Subjektive Einschätzung des Sprachverstehens im Störgeräusch bei Kindern mit AVWS verglichen mit sprachaudiometrischen Testergebnissen
Abstract
Hintergrund: In dieser Untersuchung wurde die subjektive Einschätzung des Hörvermögens in verschiedenen Hörsituationen durch Kinder mit einer diagnostizierten (AVWS) und deren Familien per C.H.I.L.D. Fragebogen erhoben und mit klinischen Testwerten verglichen.
Material und Methoden: Der C.H.I.L.D. dient der subjektiven Einschätzung des Hörvermögens eines Kindes in leisen, geräuschvollen, distanzierten und sozialen Situationen sowie bei der Mediennutzung. Kind und Familie bewerteten getrennt voneinander das Hörvermögen des Kindes in jeweils 15 Hörsituationen auf 8 Stufen. Das Sprachverstehen im Störschall wurde bis zum Alter von 10 Jahren mit dem OlKiSa, ab 11 Jahren mit dem OlSa ermittelt.
Es wurden 31 Kinder (15 Mädchen, 16 Jungen) von 6 bis 12 Jahren mit einer erstmalig diagnostizierten AVWS eingeschlossen. 13 Kinder (41,9%) hatten objektiv Schwierigkeiten beim Verstehen im Störschall, 18 Kinder (58,1%) nicht. 10 Kinder (32,3%) erhielten logopädische Therapie, 21 Kinder (67,7%) testeten für 12 Wochen eine drahtlose Signalübertragungsanlage (DAÜ). Von 18 bzw. 12 Kindern lagen auch Ergebnisse 3 bzw. 9 Monate nach der ersten Erhebung und dem Therapiebeginn vor, von 8 Kindern gab es zu allen 3 Zeitpunkten komplette Datensätze. Statistisch wurden die Angaben von Kindern/Familien, zu T0/T1 und mit (un)auffälligem OlKiSa/OlSa per T-Test auf signifikante Unterschiede (p<0,05) überprüft.
Ergebnisse: Die Eigeneinschätzung des Kindes und die Fremdeinschätzung durch die Familie stimmten größtenteils überein. Generell wurde das Hörvermögen in leisen Situationen als besser und in geräuschvollen als schlechter eingeschätzt. Im Vergleich zu Kindern mit unauffälligem OlKiSa/OlSa schätzen die Familien das Hörvermögen ihrer Kinder mit auffälligem OlKiSa/OlSa in geräuschvollen und sozialen Situationen auch subjektiv als schlechter ein. Ein auch statistisch signifikanter Unterschied bestand zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung beim Sprachverständnis bei der Mediennutzung, welches die Kinder mit unauffälligem OlKiSa/OlSa als besser einschätzten als ihre Familien. Longitudinale Auswirkungen von logopädischer Therapie versus einer DAÜ-Versorgung wurden noch nicht deutlich.
Schlussfolgerungen: Für eine longitudinale Auswertung bezüglich der Therapien könnte die Fallzahl noch nicht ausreichend sein. Der C.H.I.L.D Fragebogen scheint bei Kindern mit AVWS geeignet, um in bestimmten Hörsituationen tendenziell zwischen solchen mit und ohne Schwierigkeiten beim Sprachverstehen im Störschall zu differenzieren.
Text
Hintergrund
Um Hörverarbeitungs- und Wahrnehmungsleistungen, insbesondere das Sprachverstehen von Kindern mit Hinweisen für auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS) oder -probleme einzuschätzen, werden psychometrische Testverfahren und Fragebögen eingesetzt. Ein Mangel an validierten Fragebögen in deutscher Sprache als Screeninginstrumente wird seit Längerem kritisiert ([1]bzw. [2], [3], [4]). Der Children’s Home Inventory for Listening Difficulties (C.H.I.L.D.)-Fragebogen [5], bislang nicht auf Deutsch validiert, erhebt subjektive Einschätzungen des Sprachverstehens in typischen Alltagssituationen. Ziel dieses Teils einer Studie zum Nutzen einer Versorgung von Kindern mit auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS) oder -problemen mit drahtlosen akustischen Signalübertragungsanlagen (DAÜ) war es, zu prüfen, inwiefern der C.H.I.L.D.-Fragebogen geeignet ist, das Sprachverstehen im Störgeräusch einzuschätzen und zur Identifikation auffälliger Kinder im Rahmen einer AVWS-Diagnostik beitragen kann.
Material und Methoden
Es wurden 31 Kinder (15 Mädchen, 16 Jungen) im Alter von 6 bis 12 Jahren mit einer AVWS eingeschlossen. Das objektive Sprachverstehen im Störgeräusch wurde mit dem Oldenburger Kindersatztest (OlKiSa) bzw. dem Oldenburger Satztest (OlSa; ab 11 Jahren) bestimmt. 13 Kinder (41,9%) zeigten Auffälligkeiten, 18 Kinder (58,1%) nicht. Die subjektive Einschätzung des Sprachverstehens erfolgte über den C.H.I.L.D.-Fragebogen durch Kind und Eltern. In den Fragebögen wird dabei das Hörverstehen des Kindes für 15 Hörsituationen auf einer Skala von 1 (sehr schlecht) bis 8 (großartig) bewertet. Es erfolgte eine Pearson-Korrelationsanalyse zwischen Eltern- und Kindfragebogen, sowie zwischen den OlSa/OlKiSa-Ergebnissen (dichotomisierten auffällig / unauffällig) und dem C.H.I.L.D.-Fragebogen-Gesamtscore und den Subkategorien „Geräuschvoll“, „Sozial“, „Distanziert“, „Leise“ und „Medien“.
Ergebnisse
Die Übereinstimmung zwischen Eltern- und Kindfragebogen war signifikant für den Gesamtscore (r=0.79; p<0.001), sowie die Subkategorien „Geräuschvoll“ (r=0.83, p<0.001), „Sozial“ (r=0.66, p<0.001), „Distanziert“ (r=0.79, p<0.001) und „Leise“ (r=0.62, p<0.001). In der Kategorie „Medien“ stimmten die Einschätzungen nicht signifikant überein (r=0.35, p=0.06). In der Korrelationsanalyse fanden sich jedoch keine signifikanten Zusammenhänge zwischen OlKiSa/OlSa-Ergebnissen und subjektiver Einschätzung, weder in Gesamtwerten (Eltern: r=-0,08; Kinder: r=-0,02) noch in Subkategorien.
Diskussion
Obwohl Eltern und Kinder das Sprachverstehen in Alltagssituationen ähnlich einschätzen, bestehen keine signifikanten Korrelationen zu objektiven sprachaudiometrischen Testergebnissen. Die Wahrnehmung von Einschränkungen im Störgeräusch scheint subjektiv vorhanden, wird jedoch nicht durch die Testverfahren abgebildet. Möglicherweise erfassen diese Tests nicht hinreichend das komplexe Hörerleben im Alltag.
Fazit/Schlussfolgerungen
Der Einsatz des C.H.I.L.D.-Fragebogens als alleinstehendes Screening-Instrument zur Vorhersage objektiver Hörleistungen im Störgeräusch erscheint auf Grundlage der vorliegenden Ergebnisse nicht ausreichend belegt. Die subjektiven Einschätzungen könnten dennoch ergänzende Informationen im diagnostischen Prozess liefern. Weitere Untersuchungen mit größerer Fallzahl und validierten deutschen Instrumenten sind notwendig, um die Aussagekraft und den potenziellen Nutzen des Fragebogens besser einschätzen zu können.
Literatur
[1] Massinger C, Nickisch A, Kiese-Himmel C, Schönweiler R, Radü HJ, Gross M. Bestehen Zusammenhänge zwischen den Angaben im AVWS-Anamnesebogen der DGPP und den Ergebnissen des Heidelberger Lautdifferenzierungstest? In: Gross M, Kruse E, Hrsg. Aktuelle phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte 2004/2005. Niebüll: Videel-Verlag; 2004.[2] Massinger C, Nickisch A, Kiese-Himmel C, Schönweiler R, Radü HJ, Gross M. Bestehen Zusammenhänge zwischen den Angaben im AVWS-Anamnesebogen der DGPP und den Ergebnissen des Heidelberger Lautdifferenzierungstest? In: Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie, Hrsg. 21. Wissenschaftliche Jahrestagung der DGPP. Freiburg/Breisgau, 10.-12.09.2004. Düsseldorf, Köln: German Medical Science; 2004. Doc04dgppV31. Verfügbar unter: https://www.egms.de/de/meetings/dgpp2004/04dgpp57.shtml
[3] Nickisch A, Oberle D. Analyse von Testprofilen bei auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen. In: Kruse E, Gross M, Hrsg. Aktuelle phoniatrisch-pädaudiogische Aspekte 2002/2003. Heidelberg: Median-Verlag; 2002. S. 327-331.
[4] Schow RL, Seikel JA, Chermak GD, Behrent M. Central Auditory Processes an Test Measures: ASHA 1996, Revisited. Am J Audiol. 2000;9:63-8.
[5] Anderson K, Smaldino J. Children’s home inventory for listening difficulties (CHILD). Educational Audiol Rev. 2000;17(3).