41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
Psychosoziale Befunde von Kindern mit auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS)
2Kompetenzzentrum für Klinische Studien Bremen, Universität Bremen, Bremen, Deutschland
Abstract
Hintergrund: Es wird berichtet, dass Kinder mit auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen häufig mit emotionalen und sozialen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, wie einem geringen Selbstwertgefühl, dem Gefühl der Unzulänglichkeit und dem Erleben von Frustration und Angst. Eltern und/oder Kinder berichten über eine Verbesserung des Selbstbewusstseins, einen Rückgang von Müdigkeit und eine geringere Gefährdung für Depressionen, Ängste und zwischenmenschliche Probleme nach Nutzung von drahtlosen akustischen Übertragungsanlagen (DAÜ). Vor Einschluss in eine Studie zum Nutzen von DAÜ wurde hier der psychosoziale Status von Kindern mit AVWS mithilfe von psychologischen Eltern und Lehrer-Fragebögen erfasst.
Material und Methoden: Bei 28 Schulkindern mit der Diagnose einer AVWS wurden verhaltensbezogene, emotionale, somatische und soziale Kompetenzen aus Lehrersicht mithilfe des Teachers Report Form (TRF/6-18R) und aus Elternsicht mit der Child Behavior Checklist (CBCL/6-18R) erfasst. Die Problemskalen ängstlich/depressiv, rückzüglich/depressiv, körperliche Beschwerden, Soziale Probleme, Aufmerksamkeitsprobleme, Aggressives Verhalten wurden analysiert. Alle Kinder durchliefen eine Differentialdiagnostik gemäß aktueller Leitlinien. Sie sind Teilnehmer*innen einer durch die Fa. Sonova AG, Schweiz geförderten Studie.
Ergebnisse: Alle Mittelwerte der Problemskalen lagen in Eltern- und Lehrerfragebögen im Normbereich und nur bei vereinzelten Teilnehmer*innen im auffälligen Bereich. Da für die CBCL Normtabellen vorliegen, aber für den TRF nur Orientierungswerte für Grundschulkinder einer Stichprobe, ist kein direkter Vergleich möglich. Sowohl Eltern als auch Lehrer*innen sahen am häufigsten Aufmerksamkeitsprobleme (CBCL: T=62,6, SD 7,3; TRF: MW 12,2 Punkte, SD 10,2), im TRF wurde hier mehr Unaufmerksamkeit (MW 7,8, SD 6,0), weniger Hyperaktivität (MW 4,4, SD 5,6) angegeben. Im Vergleich zwischen Eltern- und Lehrereinschätzung beurteilten die Eltern mehr Kinder in der Aufmerksamkeit als auffällig, die Lehrer schätzten nur vereinzelte Kinder als auffällig ein. Am zweithäufigsten wurde von Lehrerseite aggressives Verhalten genannt, von Eltern soziale Probleme und körperliche Beschwerden. Ängstlich- oder rückzüglich-depressive Symptome wurden kaum genannt.
Schlussfolgerungen: Mit den Fragebögen konnten bei den Kindern mit AVWS keine gehäuften auffälligen psychosozialen Befunde erhoben werden. Aufmerksamkeitsprobleme, die häufige Komorbidität und Differentialdiagnose der AVWS darstellen, lagen zum Großteil im unauffälligen Bereich.
Text
Fragestellung
Es wird berichtet, dass Kinder mit auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS), bedingt durch eingeschränkte kommunikative Fähigkeiten, häufig mit emotionalen und sozialen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, wie einem geringen Selbstwertgefühl, dem Gefühl der Unzulänglichkeit und dem Erleben von Frustration, Angst sowie depressiven Symptomen [1]. Eltern und/oder Kinder berichten über eine Verbesserung des Selbstbewusstseins, einen Rückgang von Müdigkeit und geringere Anzeichen für Depressionen, Ängste und zwischenmenschliche Probleme nach Nutzung von drahtlosen akustischen Übertragungsanlagen (DAÜ) [1]. Vor Einschluss in eine Studie zum Nutzen von DAÜ bei Kindern mit auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen und -problemen wurde hier der psychosoziale Status von Kindern mit AVWS mithilfe von gängigen psychometrischen Eltern- und Lehrer-Fragebögen erfasst, um die in der Literatur postulierte Ausgangslage zu überprüfen.
Methodik
Bei 28 Schulkindern mit der Diagnose einer AVWS wurden verhaltensbezogene, emotionale, somatische und soziale Kompetenzen aus Lehrersicht mithilfe des Teachers Report Form (TRF/6-18R) und aus Elternsicht mit der Child Behavior Checklist (CBCL/6-18R) erfasst. Die Problemskalen ängstlich/depressiv, rückzüglich/depressiv, körperliche Beschwerden, soziale Probleme, Aufmerksamkeitsprobleme und aggressives Verhalten wurden analysiert. Alle Kinder durchliefen eine audiologisch-psychoakustische AVWS-Differentialdiagnostik gemäß aktueller Leitlinien.
Ergebnisse
Alle Mittelwerte der Problemskalen lagen in Eltern- und Lehrerfragebögen im Normbereich und nur bei einzelnen Teilnehmer*innen im auffälligen Bereich. In den Lehrerfragebögen TRF/den Elternfragebögen CBCL lagen für die folgenden Problemskalen jeweils n Kinder im auffälligen Bereich (Grenzbereich): ängstlich-depressiv 3(1)/0(3), rückzüglich-depressiv 0(5)/0(2), soziale Probleme 3(4)/0(1), Aufmerksamkeitsprobleme 1(1)/1(1), aggressives Verhalten 0(0)/1(1). Sowohl im Eltern- als auch Lehrerfragebogen lagen die Werte für Aufmerksamkeitsprobleme zwar im Normbereich, insgesamt aber höher als für alle anderen Skalen. Im Elternfragebogen CBCL lag der mittlere T-Wert bei 62,6 (Standardabweichung [SD] 7,3). Im Lehrer-Fragebogen TRF, für den keine Normierung und T-Werte, sondern nur Orientierungswerte und Normtabellen anhand einer Großstadtstichprobe für Grundschulkinder vorliegen, lag der mittlere Punktwert bei 12,2 Punkten (SD 10,2), was im unauffälligen Bereich liegt (0-29 Punkte). Im TRF-Lehrerfragebogen, der (anders als der CBCL) zwischen Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität unterscheidet, wurde häufiger Unaufmerksamkeit (Mittelwert 7,8, SD 6,0; unauffällig = 0-17 Punkte) und weniger Hyperaktivität (Mittelwert 4,4, SD 5,6; unauffällig = 0-14 Punkte) angegeben. Am zweithäufigsten wurde von Lehrerseite aggressives Verhalten genannt, von Eltern soziale Probleme und körperliche Beschwerden. ängstlich- oder rückzüglich-depressive Symptome wurden kaum genannt.
Schlussfolgerung
Mittels gängiger psychometrischer Fragebögen konnten bei unserem Kollektiv von Kindern mit AVWS keine gehäuften auffälligen psychosozialen Befunde erhoben werden. Aufmerksamkeitsprobleme, die eine häufige Komorbidität und Differentialdiagnose der AVWS darstellen, lagen in unserer Stichprobe bis auf wenige Einzelfälle im unauffälligen Bereich. Johnston et al. [1] sahen Aufmerksamkeitsprobleme als eine der am häufigsten auffälligen Skalen, und zwar sowohl vor als auch nach Anpassung einer DAÜ. Dies können wir in unseren Daten nicht bestätigen.
Funding
Förderung durch die Firma Sonova AG, Schweiz.