41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
Online-Umfrage zur Praxis bei Auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) im deutschsprachigen Raum
2BBW-Leipzig-Gruppe, Abteilung Forschung und Entwicklung, Leipzig, Deutschland
Abstract
Hintergrund: Bis dato gibt es keine Erhebung zur aktuell angewandten Praxis (Screening, Diagnostik und Therapieempfehlungen) bei Auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) im deutschsprachigen Raum.
Material und Methoden: Ein Link zu einer Online-Umfrage, bestehend aus 20 Fragen, wurde über die deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) und die schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie (SGP) verschickt. Der Mailverteiler der DGPP umfasste 285 aktiv tätige Mitglieder, der der SGP 49. Es erfolgte 4 Wochen später eine einmalige Erinnerung an die Umfrage.
Ergebnisse: 154 Teilnehmer beantworteten den Fragebogen, davon arbeiteten 87% in Deutschland, 48% in einer Praxis sowie 41% an einem Haus der Maximalversorgung.
Das Hauptklientel für eine AVWS-Diagnostik sind Kinder bis 12 Jahre; jedoch werden auch an vielen Einrichtungen Jugendliche und Erwachsene untersucht. 58% nutzen kein Screening vor einer ausführlichen AVWS-Diagnostik. Nach den Ausschlusskriterien für eine AVWS-Diagnostik des europäischen Konsensuspapiers gefragt, führen 14% der Befragten eine ausführliche AVWS-Diagnostik bei Patienten mit einer peripheren Schwerhörigkeit durch, 22% bei einem Gesamt-Intelligenzquotienten <80 und 49% bei Kindern <7 Jahre. Die Untersuchung des Richtungshörens ist der häufigste sprachfreie, zentrale Hörtest (50%). Bei den sprachgebundenen Tests werden häufig der dichotische Test (89%), Mottier-Test (80%) und der Heidelberger-Lautdifferenzierungstest (H-LAD) (75%) angewandt. Therapieempfehlungen umfassen vor allem eine Verbesserung der Raumakustik, eine drahtlose Übertragungsanlage, direktes Hörtraining sowie Hörgeräte. Eine absolute Mehrheit der Befragten (75%) sprach sich dafür aus, dass die AVWS-Diagnostik bei Erwachsenen federführend durch das Fachgebiet Phoniatrie/Pädaudiologie erfolgen sollte.
Schlussfolgerungen: Im Rahmen einer Aktualisierung der entsprechenden Leitlinie sollte unseres Erachtens angestrebt werden, klarere Empfehlungen für die Diagnostik und Therapie der AVWS im deutschsprachigen Raum vorzuschlagen. Des Weiteren sollte die Leitlinie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gelten.
Text
Hintergrund
Eine aktuelle Untersuchung zeigt den gegenwärtigen Stand der Diagnostik und Therapieempfehlungen bei auditiver Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) in Großbritannien auf [1]. Bis dato gibt es keine Erhebung zur angewandten Praxis (Screening, Diagnostik und Therapieempfehlungen) bei AVWS im deutschsprachigen Raum.
Material und Methoden
Ein Link zu einer Online-Umfrage, bestehend aus 20 Fragen, wurde über die deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP) und die schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie (SGP) verschickt. Der Mailverteiler der DGPP umfasste 285 aktiv tätige Mitglieder, der der SGP 49. Es erfolgte 4 Wochen später eine einmalige Erinnerung an die Umfrage.
Ergebnisse
154 Teilnehmer beantworteten den Fragebogen, davon arbeiteten 87% in Deutschland, 48% in einer Praxis sowie 41% an einem Haus der Maximalversorgung. Das Hauptklientel für eine AVWS-Diagnostik sind Kinder bis 12 Jahre; jedoch werden auch an vielen Einrichtungen Jugendliche und Erwachsene untersucht.
58% nutzen kein Screening vor einer ausführlichen AVWS-Diagnostik. Nach den Ausschlusskriterien für eine AVWS-Diagnostik des europäischen Konsensuspapiers [2] gefragt, führen 14% der Befragten eine ausführliche AVWS-Diagnostik bei Patienten mit einer peripheren Schwerhörigkeit durch, 22% bei einem Gesamt-Intelligenzquotienten (IQ) <80 und 49% bei Kindern <7 Jahre. Andererseits waren die Ausschlusskriterien des europäischen Konsensuspapiers wiederum die häufigste Begründung dafür, dass bei Patienten keine ausführliche AVWS-Diagnostik durchgeführt wurde (Abbildung 1 [Abb. 1]).
Abbildung 1: Gründe keine ausführliche AVWS-Diagnostik durchzuführen
Für die Diagnostik einer AVWS liegen zahlreiche unterschiedliche Testmöglichkeiten vor. Die Untersuchung des Richtungshörens ist der häufigste sprachfreie, zentrale Hörtest (50%). Bei den sprachgebundenen Tests werden vielfach der dichotische Test (89%), Mottier-Test (80%) und der Heidelberger-Lautdifferenzierungstest (H-LAD) (75%) angewandt. Zur Testung des Sprachverstehens in Ruhe und im Störschall werden vor allem der Freiburger Test und der Oldenburger Satztest für Kinder (OLIKSA) genutzt (Abbildung 2 [Abb. 2]).
Abbildung 2: Testung des Sprachverstehens in Ruhe und im Störschall
Im Vergleich der AVWS-Testung zwischen einer Klinik der Maximalversorgung und einer Praxis, werden bei Maximalversorger häufiger IQ-Testungen eingefordert (p>0,001) und der OLKISA in Ruhe und im Störschall benutzt (p>0,001). Therapieempfehlungen umfassen viele unterschiedliche Aspekte: Die Verbesserung der Raumakustik, eine drahtlose Übertragungsanlage, direktes Hörtraining sowie die Verordnung von Hörgeräten sind die häufigsten Antworten.
In einer abschließenden Frage wurden die Teilnehmer danach gefragt, wer federführend die AVWS-Diagnostik bei Erwachsenen durchführen sollte: Eine absolute Mehrheit (75%) der Befragten postuliert, dass dies durch das Fachgebiet Phoniatrie und Pädaudiologie erfolgen sollte.
Schlussfolgerungen
Im Rahmen der Aktualisierung der abgelaufenen S1 Leitlinie sollte unseres Erachtens angestrebt werden, klarere Empfehlungen für die Diagnostik und Therapie der AVWS im deutschsprachigen Raum vorzuschlagen. Des Weiteren sollte die Leitlinie für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gelten.
Literatur
[1] Bernard MW, Koohi N, Bamiou DE. Auditory processing disorder: an online survey of hearing healthcare professionals' knowledge and practices. Int J Audiol. 2025 Feb;64(2):121-30. DOI: 10.1080/14992027.2024.2321155[2] Iliadou VV, Ptok M, Grech H, Pedersen ER, Brechmann A, Deggouj N, Kiese-Himmel C, Sliwinska-Kowalska M, Nickisch A, Demanez L, Veuillet E, Thai-Van H, Sirimanna T, Callimachou M, Santarelli R, Kuske S, Barajas J, Hedjever M, Konukseven O, Veraguth D, Stokkereit Mattsson T, Martins JH, Bamiou DE. A European Perspective on Auditory Processing Disorder-Current Knowledge and Future Research Focus. Front Neurol. 2017 Nov 21;8:622. DOI: 10.3389/fneur.2017.00622