70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.
70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.
Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung bei Überlebenden nach einer Krebserkrankung im Kindes- oder Jugendalter – Ergebnisse der VersKiK-Studie
2Universitätsmedizin der Johannes Gutemberg-Universität, Mainz, Germany
3OFFIS - Institut für Informatik, Oldenburg, Germany
4Universitätsklinikum zu Köln, Köln, Germany
5Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Zentrum für Kinderheilkunde, Abteilung für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie, Bonn, Germany
6Klinik für Kinder- und Jugendmedizin, Universitätsklinikium Schleswig Holstein, Campus Lübeck, Lübeck, Germany
7Techniker Krankenkasse, Hamburg, Germany
8Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), AOK Bundesverband, Berlin, Germany
9Abteilung Epidemiologie von Krebs im Kindesalter/Deutsches Kinderkrebsregister, Institut für Medizinische Biometrie, Epidemiologie und Informatik (IMBEI), Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität, Mainz, Germany
Text
Einleitung: Jährlich erkranken in Deutschland ca. 2.250 Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren an Krebs. Die 5-Jahres-Überlebensraten dieser Patienten haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verbessert und liegen heutzutage in Europa bei über 80% [1]. Die wachsende Zahl von Überlebenden und die spezifischen Nachsorgebedürfnisse dieser Personen stellen eine besondere Herausforderung für das Gesundheitssystem dar. Das vom Innovationsfond des G-BA geförderte Projekt VersKiK (FKZ: VSF1_2019-095) untersucht die Spätfolgen nach Krebs im Kindes- oder Jugendalter, die Inanspruchnahme medizinischer Leistungen, die Leitlinienadhärenz sowie Versorgungsbedürfnisse betroffener Personen [2]. Nachfolgend werden Ergebnisse zur Untersuchung der Inanspruchnahme der Gesundheitsversorgung bei der Studienkohorte und einer Vergleichsgruppe dargestellt.
Methoden: Grundgesamtheit der Studie waren die im Deutschen Kinderkrebsregister (DKKR) dokumentierten Personen mit einer in den Jahren 1991-2021 diagnostizierten Neuerkrankung Tumor (Überleben bis zum 1.1.2017). Diese Grundgesamtheit wurde mit Routinedaten (2017-2021) von 13 beteiligten gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) über ein stochastisches Rekord-Linkage pseudonymisiert verknüpft. Zusätzlich zu den im Record Linkage identifizierten Treffern wurde aus den Daten der Krankenkassen eine nach Geburtsjahr, Geschlecht und GKV gematchte Vergleichsgruppe gezogen. Zur Untersuchung von Häufigkeiten der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen wurden Raten (pro Jahr Versichertenzeit) für die folgenden Leistungen berechnet: Aufsuchen einer ambulanten Versorgung, ambulante und stationäre Krankenhausaufenthalte, Verschreibungen von Medikamenten und Episoden von Arbeitsunfähigkeit (bei berufstätigen Personen). Unterschiede zwischen Patienten- und Vergleichsgruppe wurden mit loglinearen Regressionsmodellen ermittelt. Als potentielle Determinanten der Inanspruchnahme wurden aktuelles Alter, Geschlecht, Tumorart und Zeit seit Krebsdiagnose untersucht.
Ergebnisse: In dieser Studie wurden N=11.863 durchgehend versicherte ehemalige Kinderkrebspatient:innen eingeschlossen, bei denen die Zeit seit Tumordiagnosedatum mehr als fünf Jahre betrug sowie N=35.589 Vergleichspersonen (1:3 Matching aus dem Versichertenbestand der GKVen). Die Langzeitüberlebenden waren zum Diagnosedatum im Durchschnitt 6 Jahre und zu Beginn des Beobachtungszeitraums im Durchschnitt 21 Jahre alt. Die Rate der stationären Krankenhausaufenthalte unter den Überlebenden war mehr als fünfmal so hoch wie die der Personen der Vergleichsgruppe (Rate-Ratio (RR)=5,10, 95%-Konfidenzintervall (95%KI):4,92-5,28) die Rate der ambulanten Krankenhausaufenthalte mehr als doppelt so hoch (RR=2,32, 95%KI:2,22-2,41). Die Rate von Medikamentenverschreibungen war ebenfalls mehr als doppelt so hoch verglichen mit der Referenzgruppe (RR=2,18, 95%KI:2,16-2,21). Bei den Männern war sowohl die RR der Krankenhausaufenthalte als auch die RR der ambulanten Kontakte und die RR der verordneten Arzneimittel höher als bei Frauen. Die Raten der ambulanten und der stationären Krankenhausaufenthalte nahmen mit zunehmendem aktuellem Alter der Langzeitüberlebenden monoton ab. Patienten mit Tumoren des zentralen Nervensystems und intrakraniellen Keimzelltumoren hatten höhere Kontaktraten und Verschreibungsraten als Patienten mit anderen Tumorarten. Die Häufigkeiten von Krankenhausaufenthalten nahmen mit zunehmendem Zeitabstand zwischen Diagnosedatum und Beobachtungszeitraum ab. Detailliertere Studienergebnisse werden im Rahmen der Tagung präsentiert.
Schlussfolgerung: Die Ergebnisse der Studie deuten darauf hin, dass Patienten nach einer Krebserkrankung im Kindes- oder Jugendalter im Vergleich zur alters-und geschlechts-spezifischen Allgemeinbevölkerung eine höhere Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen verzeichnen, die bei Männern und Personen in jüngeren Altersgruppen besonders ausgeprägt ist. Die sehr hohen Raten von Inanspruchnahmen, die bei Patienten mit bestimmten Tumorarten beobachtet wurden, geben Anlass dazu, gezielte Interventionen im Gesundheitsdienst zu planen, die die risikobasierte Nachsorge dieser besonders gefährdeten Gruppen von Überlebenden optimieren können.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.
References
[1] Botta L, Gatta G, Capocaccia R, Stiller C, Canete A, Dal Maso L et al. Long-term survival and cure fraction estimates for childhood cancer in Europe (EUROCARE-6): results from a population-based study. The Lancet Oncology. 2022;23(12):1525-36.[2] Aleshchenko E, Apfelbacher C, Baust K, Calaminus G, Droege P, Glogner J et al. VersKiK: Study protocol of an observational registry-based study on the current state of follow-up care and adherence to follow-up guidelines after cancer in childhood or adolescence. Cancer Epidemiology. 2023;87:102469. DOI: 10.1016/j.canep.2023.102469.



