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41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
25.-28.09.2025
Münster


Vortrag

Volumetrische Analyse des transglottischen Raums bei unterschiedlichen Stimmproduktionsmechanismen mittels 3D-MRT der Stimmlippenoszillation

J. Fischer 2,3
P. Jordan 2,3
S. Rummel 4
B. Richter 1,2
M. Bock 2,3
L. Traser 1,2
1Freiburger Institut für Musikermedizin, Hochschule für Musik Freiburg, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburger Forschungs- und Lehrzentrum Musik, Freiburg, Deutschland
2Medizinische Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Freiburg, Deutschland
3Klinik für Radiologie, Institut für Medizinphysik, Universitätsklinikum Freiburg, Freiburg, Deutschland
4Institut Rummel, Frankfurt, Deutschland

Abstract

Hintergrund: Während der Stimmproduktion konnte die Form des transglottischen Raumes (TR) bisher nicht in vivo betrachtet werden. Die Aufsicht der traditionellen Stimmdiagnostik mittels endoskopischer Verfahren erlaubt zwar eine Analyse der Form der Taschenfalten und eine visuelle Näherung des Abstandes der Stimmlippen zu den Taschenfalten, der nach kranial reichende höhlenartige Sacculus laryngis ist allerdings nicht einsehbar. Auch mit der bisherigen dreidimensionalen Magnetresonanztomographie (MRT) von Vokaltrakten ist eine Analyse durch Bewegungsartefakte nur eingeschränkt möglich. Somit ist eine klare Assoziation zwischen verschiedenen Stimmlippenvibrationsmechanismen und der Cavitas laryngis intermedia bisher nicht möglich.

Material und Methoden: Mittels dreidimensionaler Zero-Echo-Time (ZTE) MRT gelang unserer Arbeitsgruppe kürzlich erstmals eine in-vivo-Darstellungen einer Stimmlippenschwingung in 10 Bewegungsphasen. Bei der Untersuchung verschiedener, nach Estill Voice Training® klassifizierter, Stimmgebungsmechanismen einer professionell trainierten Sängerin konnten neben der Stimmlippenschwingung auch die Räume direkt ober- und unterhalb der Stimmlippen in bisher nicht realisierbarer Auflösung und ohne Bewegungsartefakte der Stimmlippen dargestellt werden. Für die volumetrische Analyse des TR wurde eine Segmentation mittels ITK-Snap durchgeführt.

Ergebnisse: Obwohl bei „thick“ (ähnlich lautem Sprechen), „thin“ (ähnlich leisem Sprechen) und „stiff“ (behauchte Phonation) nur unterschiedliche Stimmlippendicken und -adduktionsgrade intendiert waren, zeigt sich in den Ergebnissen der volumetrischen Analyse eine deutliche Differenz im Volumen des TR.

Unterschiedliche Adduktionsgrade der Taschenfalten (constrict und retract) wirken sich ebenfalls in einer deutlichen Volumenänderung aus. Eine Taschenfaltenadduktion (constrict) reduzierte das Volumen um rund 70%.

Eine intendierte Engstellung der Plica aryepiglottica führt zu einer Verminderung des supraglottalen Volumens allerdings bleibt der TR durch die kraniale Engstellung weniger stark beeinflusst und ähnelt der Konfiguration bei „thick“. Dies könnte durch eine simultan entgegenwirkende Abduktion der Taschenfalten bedingt sein.

Schlussfolgerungen: Insgesamt scheint also die transglottale Konfiguration für die Einstellung verschiedener Stimmlippenvibrationsmechanismen relevant. Es kann zusätzlich vermutet werden, dass die Taschenfaltenkonfiguration und der davon abhängige TR unabhängig des Adduktionsgrads kranial sowie kaudal liegender Strukturen steuerbar ist.

Text

Hintergrund

Bislang konnte die Form des transglottischen Raumes (Sinus Morgagni, SM) während der Stimmproduktion nicht in vivo erfasst werden. Der SM erstreckt sich von der Umschlagsfalte der Taschenfalten (VenF) bis zur Glottis (vgl. Abbildung 1 [Abb. 1]). Er umfasst somit den Raum zwischen Stimmlippen und Taschenfalten, mit einer höhlenartigen kranialen Erweiterung (Sacculus laryngis) [1].

Abbildung 1: Teilvolumina: Subglottaler Raum (SGR) in blau, Sinus Morgagni (SM) in grün, Supraglottaler Raum in rot. Beispielhaft für „thick“. A: midsagittal, B: midcoronar, C: 3D-Ansicht von schräg vorne.
Zusätzlich sind folgende Maße eingezeichnet: 1 – Maximale Distanz der VenF, 2 – Maximale coronare Weite des SM, 3 – Maximale coronare Weite des SGR. Werte siehe Abbildung 2.

Diese Räume sind zwar in der direkten Laryngoskopie unter Vollnarkose einsehbar, nicht aber mittels endoskopischer Verfahren am wachen phonierenden Patienten. Auch bildgebenden Verfahren, insbesondere die dreidimensionale Magnetresonanztomographie (MRT) des Vokaltrakts [2], stoßen bei dynamischen Vorgängen wie der Phonation an ihre Grenzen: durch Bewegungsartefakte infolge der Stimmlippenvibrationen und der vertikalen Translokation des Larynx während der Phonation [3] wird die Darstellung der laryngealen Binnenstruktur insbesondere des trans- und subglottischen Raumes erheblich eingeschränkt.

Ex-Vivo Studien [4], synthetische Modelle [5] sowie Modellrechnungen [6], [7] unterstreichen den aerodynamischen Einfluss der Taschenfalten auf die Stimmlippenschwingung und somit auf die Akustik des Stimmklanges. So kann zum Beispiel eine zu starke Taschenfaltenkontraktion ein Anzeichen einer hyperfunktionellen malregulativen Dysphonie sein [8].

Um das Verständnis dieser stimmphysiologischen Zusammenhänge zu vertiefen, gibt diese Studie erste Einblicke in die in-vivo Geometrie des Transglottischen Raumes mit Hilfe neuester MRT-Verfahren.

Material und Methoden

Mit der dreidimensionalen Zero-Echo-Time (ZTE) MRT-Aufnahmetechnik [9] wurden dynamische Darstellungen einer Stimmlippenschwingung eines Probanden in 10 Bewegungsphasen erzeugt.

Für die Messung phonierte eine im Estill Voice Training® (EVT) geschulte professionelle Sängerin (Mitautorin SR) auf dem Vokal [i:] bei einer konstant gehaltenen Grundfrequenz von 190Hz. Dabei wurde eine möglichst stabile, neutrale Vokaltrakteinstellung beibehalten. Im Sinne des Estill Voice-Modells [10] variierte die Sängerin gezielt einzelne Komponenten der Stimmgebung wie folgt:

  • Thick/Thin: Veränderung der intendierten medialen Dicke des Stimmlippenkörpers.
  • Stiff: Phonatorische Konfiguration durch longitudinale Spannung und Dehnung der Stimmlippen, typischerweise assoziiert mit einer posterioren Glottislücke und variabler Behauchtheit.
  • Thick & VenF retract/constrict: Kombination aus hoher medialer Stimmlippendicke und gezielter Ab- bzw. Adduktion der Taschenfalten (Ventricular Folds, VenF).
  • Thick & AES: Kombination aus hoher medialer Dicke der Stimmlippen mit zusätzlicher Aktivierung des aryepiglottischen Sphinkters (AES).

Atem- und Schluckbewegungen während der 5,3-minütigen Aufnahme wurden mittels eines Navigatorsignals erfasst, um Bewegungsartefakte nachträglich korrigieren zu können. Die daraus resultierenden MR-Daten der sechs untersuchten Stimmgebungsmechanismen wurden retrospektiv jeweils zehn Phasen eines Schwingungszyklus zugeordnet. Zur volumetrischen Analyse erfolgte eine Segmentierung in ITK-Snap [11] anhand der Phase mit dem maximalen Stimmlippenkontakt. Anschließend wurde das Volumen gemäß anatomischer Kriterien unterteilt und vermessen (vgl. Abbildung2 [Abb. 2]).

Abbildung 2: 3D-Ansicht der SM aller Stimmgebungsmechanismen (alle Maße in mm, Definition s. Abbildung 1)

Ergebnisse und Diskussion

Die volumetrische Analyse zeigt eine nahezu zweifache Vergrößerung des TR beim Vergleich der Mechanismen „thick“ und „thin“. Obwohl hierbei lediglich die Variation der Stimmlippendicken intendiert war, lässt sich neben einer Öffnung des Sacculus laryngis auch eine erweiterte Abduktion der VenF beobachten. Eine vergleichbare Größenzunahme des SM zeigte sich ebenfalls bei der Einstellung „stiff“, bei der ausschließlich die phonatorische Konfiguration wie oben beschreiben intendiert war. Hier wurde die größte Distanz zwischen den VenF aller untersuchten Stimmgebungsmechanismen gemessen (vgl. Abbildung 2 [Abb. 2]).

Auch unterschiedliche Adduktionsgrade der VenF führten zu signifikanten Konfigurationsänderungen: Ausgehend von „thick & retract“ reduzierte eine verstärkte Adduktion der Taschenfalten das Volumen des SM um 66%, sowie die maximale Distanz zwischen den VenF-Kanten um 57%. Zudem war bei „thick & constrict“ der supraglottale Raum stark verkleinert und ging mit dem geringsten subglottalen Durchmesser einher. Diese Befunde deuten auf eine mediale Engstellung der supraglottalen Strukturen hin, die die kraniale Auslenkung der Stimmlippen partiell behindern könnte.

Eine intendierte Aktivierung des AES führt zu einer Reduktion des supraglottalen Volumens. Der SM bleibt dabei jedoch vergleichsweise unbeeinflusst und ähnelt der Konfiguration im Mechanismus „thick“. Dies könnte durch eine vorwiegend anterior-posteriore Engstellung [7] bei gleichzeitig intendierter Abduktion der Taschenfalten bedingt sein.

Schlussfolgerungen

Insgesamt scheint die transglottale Konfiguration eine Rolle bei der Einstellung verschiedener Mechanismen der Stimmlippenvibration zu spielen. Es ist zu vermuten, dass die Konfiguration der VenF – und der davon abhängige SM – unabhängig vom Adduktionsgrad kranial sowie kaudal liegender Strukturen steuerbar ist. Inwieweit diese Einstellungen voneinander abhängig sind, muss durch weiterführende Messungen näher untersucht werden. Die Ergebnisse dieser Studie könnten zur Entwicklung präziserer Modelle beitragen, um den Einfluss der VenF auf die Stimmlippenschwingung gezielter zu analysieren und ein tieferes Verständnis entsprechender Pathologien zu ermöglichen.


References

[1] Schünke M, Schulte E, Schumacher U, Voll M, Wesker K. Prometheus. LernAtlas der Anatomie. Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. Thieme; 2005.
[2] Fleischer M, Rummel S, Stritt F, Fischer J, Bock M, Echternach M, Richter B, Traser L. Voice efficiency for different voice qualities combining experimentally derived sound signals and numerical modeling of the vocal tract. Front Physiol. 2022;13:1081622. DOI: 10.3389/fphys.2022.1081622
[3] Köberlein M, Hünnemeyer P, Burk F, Burdumy M, Richter B, Echternach M, Traser L. Vocal Tract Configurations of Professional Operatic Singers During Sustained Phonation. J Voice. 2024 Dec 7.. DOI: 10.1016/j.jvoice.2024.11.023
[4] Oren L, Khosla S, Farbos de Luzan C, Gutmark E. Effects of False Vocal Folds on Intraglottal Velocity Fields. J Voice. 2021 Sep;35(5):695-702. DOI: 10.1016/j.jvoice.2020.02.001
[5] Kniesburges S, Birk V, Lodermeyer A, Schützenberger A, Bohr C, Becker S. Effect of the ventricular folds in a synthetic larynx model. J Biomech. 2017;55:128-33. DOI: 10.1016/j.jbiomech.2017.02.021
[6] Sadeghi H, Döllinger M, Kaltenbacher M, Kniesburges S. Aerodynamic impact of the ventricular folds in computational larynx models. J Acoust Soc Am. 2019 Apr;145(4):2376. DOI: 10.1121/1.5098775
[7] Yoshinaga T, Zhang Z. Effects of false vocal fold adduction and aryepiglottic sphincter narrowing on the voice source in a three-dimensional voice production model. J Acoust Soc Am. 2025;157(4):2408-21. DOI: 10.1121/10.0036359
[8] Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e.V. (DGPP), Hrsg. S2k-Leitlinie Diagnostik und Therapie von Störungen der Stimmfunktion (Dysphonien). 2023 [abgerufen 19. Sep 2024]. Verfügbar unter: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/049-008
[9] Fischer JF, Tadjalli Mehr K, Traser L, Richter B, Bock M. Isotropic 3D Sub-millimeter MRI of the Vocal Fold Oscillation with Sub-millisecond Temporal Resolution. In: ISMRM Annual Meeting Proceedings. 2024.
[10] Steinhauer K, McDonald Klimek M, Estill J. The Estill Voice Model: Theory & Translation. Estill Voice International; 2017.
[11] Yushkevich PA, Piven J, Hazlett HC, Smith RG, Ho S, Gee JC, Gerig G. User-guided 3D active contour segmentation of anatomical structures: Significantly improved efficiency and reliability. NeuroImage. 2006;31(3):1116-28. DOI: 10.1016/J.NEUROIMAGE.2006.01.015
[12] Birk V, Sutor A, Döllinger M, Bohr C, Kniesburges S. Acoustic Impact of Ventricular Folds on Phonation Studied in Ex Vivo Human Larynx Models. Acta Acust United Acust. 2016;102(2):244-56. DOI: 10.3813/AAA.918941