41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
Sprache und Alter: Kann ein präventives Gruppentraining die kognitiven Prozesse stärken?
2Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Allgemein- und Palliativmedizin, Hannover, Deutschland
3Medizinische Hochschule Hannover, Institut für Biometrie, Hannover, Deutschland
4Medizinische Hochschule Hannover, i.R., Hannover, Deutschland
Abstract
Hintergrund: Sprache, Kognition und Kommunikation unterliegen altersbedingten Abbauprozessen. Besonders in Altenpflegeeinrichtungen (APE) steigt das Risiko des Abbaus infolge der reizarmen Umgebung. Die clusterrandomisierte, kontrollierte Interventionsstudie OrkA untersucht u.a., inwiefern ein präventives Gruppentraining (GT) Sprach- und Kognitionsfähigkeiten im Alter aufrechterhalten kann.
Material und Methoden: 103 Bewohner*innen aus APE der Region Hannover wurden eingeschlossen. Durch Randomisierung der APE wurden 8 Kontroll- (KG) und 8 Interventionsgruppen (IG) gebildet. Das GT erfolgte 2x/Wo. für 60 Min. über 12 Wochen und beinhaltete u.a. sprachlich-kommunikative Übungen. Testungen zu Baseline (t0), nach Intervention (t1) und 6 Monate später (t2) erfolgten mit dem Regensburger Wortflüssigkeitstest (RWT, Anlaut /m/ (RWT-m), semantischer Kategorienwechsel (RWT_KW)), Selbsteinschätzung zur Alltagskommunikation (CALmodqual, CALmodquant) und Demenz-Detektionstest (DemTect). Zur Analyse der Veränderung über die Zeit im Gruppenvergleich wurde eine Varianzanalyse mit Messwiederholung in SPSS (Version 29.0) durchgeführt.
Ergebnisse:
RWT-m: Es liegt ein signifikanter Interaktionseffekt vor (p<0,001), damit zeigt sich ein Unterschied zwischen den Gruppen über die Zeit. Paarweise Vergleiche (PV): Zu t1 (p=0,007) und t2 (p=0,003) unterscheiden sich IG (MW t0:9,59; t1:10,44; t2:10,72) und KG (MW t0:9,98; t1:8,6; t2:8,75) signifikant.
RWT_KW: Es liegt ein signifikanter Zwischensubjekteffekt vor (p=0,002). PV: Signifikante Unterschiede zeigen sich zu t0 (MW IG:10,24; KG:8,02; p=0,012), t1 (MW IG:10,29; KG:7,95; p=0,003) und t2 (MW IG:11,05; KG:8,5; p=0,005).
DemTect: Es liegt ein signifikanter Interaktionseffekt vor (p=0,049). PV: Signifikante Unterschiede zeigen sich zu t1 (p=0,004) zwischen IG (MW: t0:13,09; t1:14,32; t2:13,44) und KG (MW: t0:12,36; t1:12,42; t2:12,37). Die IG zeigt eine signifikante Verbesserung von t0-t1 (p<0,001) sowie Verschlechterung von t1-t2 (p=0,004).
CALmodqual: Es liegt ein signifikanter Innersubjekteffekt vor (p=0,014). PV: Die KG zeigt eine signifikante Verschlechterung von t0-t2 (p=0,04), die IG nicht (p=0,437).
CALmodquant: Es liegt ein signifikanter Zwischensubjekteffekt vor (p=0,029). PV: Zu t1 unterscheiden sich IG (MW:32,41) und KG (MW:29,26) signifikant (p=0,012), zu t2 nicht (p=0,063).
Schlussfolgerung: Das präventive Gruppenangebot OrkA für ältere Menschen in APE wirkt sich u.a. positiv auf den Wortabruf, die Kognition und die subjektiv berichtete Häufigkeit der alltäglichen Kommunikation aus.
Text
Hintergrund
Sprachliche Kompetenzen, Kognition und Kommunikation unterliegen altersbedingten Abbauprozessen [1], [2]. Besonders im Kontext von Altenpflegeeinrichtungen steigt das Risiko eines vermehrten Rückgangs von Sprache und Kognition infolge der reizarmen Umgebung [1]. Die clusterrandomisierte kontrollierte Interventionsstudie „OrkA“ untersucht, inwiefern ein präventives Gruppentraining sprachliche und kognitive Fähigkeiten im Alter aufrechterhalten kann [3].
Material und Methoden
103 Bewohner*innen aus Altenpflegeeinreichungen der Region Hannover wurden in die Erhebung eingeschlossen und randomisiert acht Kontroll- (KG) und acht Interventionsgruppen (IG) gebildet. Die zwölfwöchige Intervention umfasste semantisch-lexikalische und sprachlich-kommunikative Übungen und fand zweimal pro Woche einstündig statt.
Die sprachlichen und kognitiven Leistungen der Bewohner*innen wurden vor Beginn der Intervention (t0) und direkt im Anschluss (t1) sowie sechs Monate später (t2) untersucht. Die Testungen erfolgten mittels Regensburger Wortflüssigkeitstest (RWT) [4] zum formallexikalischen Wortabruf mit Anlaut /m/ (RWT-m) und zum semantischen Wortabruf mit Kategorienwechsel (RWT_KW) innerhalb einer Minute sowie Fragebögen zur quantitativen und qualitativen Selbsteinschätzung der Alltagskommunikation [5] (modifizierte Version des Communicative Activity Log, CALmodqual CALmodquant) und Demenz-Detektionstest (Demtect) [6]. Die Erhebung erfolgte von 06/2023 bis 02/2025. Fehlende Werte wurden durch eine Mittelwertimputation (Mittelwert (MW) der jeweiligen Variable für die jeweilige Gruppe zum entsprechenden Testzeitpunkt) konservativ ersetzt. Die Analyse erfolgte mittels Varianzanalyse mit Messwiederholung in SPSS (Version 29.0).
Ergebnis
Ergebnisse zwischen den Testzeitpunkten (t0, t1, t2) und der Interventionsart wurden für die Variablen RWT-m, RWT_KW, CALmodqual, CALmodquant und DemTect berechnet.
Für den mittleren Rohwert im RWT-m liegt ein höchstsignifikanter Interaktionseffekt (p<0,001) vor, damit zeigt sich ein Unterschied zwischen den Gruppen über die Zeit. Im paarweisen Vergleich zeigen sich zu t1 (p=0,007) und zu t2 (p=0,003) signifikante Unterschiede zwischen IG (MW t0: 9,59; t1: 10,44; t2: 10,72) und KG (MW t0: 9,98; t1: 8,6; t2: 8,75). Die IG zeigt von t0 zu t1 keine statistisch signifikante (p=0,211) Verbesserung, dafür aber von t0 zu t2 (p=0,043). Die KG zeigt eine signifikante Verschlechterung von t0 zu t1 (p=0,033), jedoch nicht von t0 zu t2 (p=0,057).
Für den mittleren Rohwert RWT-KW zeigt sich kein signifikanter Interaktionseffekt (p=0,883) bei nicht signifikantem Innersubjekt- (p=0,118) und hochsignifikantem Zwischensubjekteffekt (p=0,002). Im paarweisen Vergleich zeigen sich signifikante Unterschiede zu t0 (MW IG: 10,24; KG: 8,02; p=0,012), t1 (MW IG: 10,29; KG: 7,95; p=0,003) und t2 (MW IG: 11,05; KG: 8,5; p=0,005). Sowohl die IG als auch die KG zeigen im Zeitverlauf keine signifikanten Veränderungen zwischen den Messzeitpunkten.
Im mittleren Summenscore des DemTect zeigt sich ein signifikanter Interaktionseffekt (p=0,049). Im paarweisen Vergleich zeigt sich zu t1 ein hochsignifikanter Unterschied (p=0,004) zwischen KG (MW: 12,42) und IG (MW: 14,32). Die IG zeigt eine höchstsignifikante Verbesserung von t0 zu t1 (p<0,001), aber auch eine signifikante Verschlechterung von t1 zu t2 (p=0,004), wobei der mittlere Summenscore zu t2 (MW: 13,44) noch immer höher ist als zu t0 (MW: 13,09). Die KG zeigt zu keinem Messzeitpunkt signifikante Veränderungen.
Für den mittleren Summenscore im CALmodqual zeigt sich kein signifikanter Interaktionseffekt (p=0,392) bei signifikantem Innersubjekteffekt (p=0,014). Im paarweisen Vergleich zeigt sich für die KG (MW t0: 74,54; t1: 72,95; t2: 70,09) eine signifikante Verschlechterung von t0 und t2 (p=0,04). Die IG (MW t0: 75,81; t1: 73,34; t2: 73,53) zeigt keine signifikanten Unterschiede im Zeitverlauf. Während beide Gruppen zu t1 eine deutliche Verschlechterung aufweisen, ist in der IG zu t2 eine leichte Verbesserung zu vermerken. Die subjektiv wahrgenommene Qualität der Alltagskommunikation in der KG nimmt zu t2 weiter ab. Es liegt kein signifikanter Zwischensubjekteffekt (p=0,346) vor.
Für den mittleren Summenscore im CALmodquant liegt kein Interaktionseffekt (p=0,436) vor. Es liegt ein signifikanter Zwischensubjekteffekt vor (p=0,029). IG (MW t0: 31,76; t1: 32,41; t2: 31,9) und KG (MW t0: 30,08; t1: 29,26; t2: 29,49) unterscheiden sich zu t1 signifikant (p=0,012), zu t2 nicht (p=0,063). Im Zeitverlauf pro Gruppe zeigen sich keine signifikanten Veränderungen (Innersubjekteffekt p=0,913) zwischen den Messzeitpunkten.
Diskussion
Die Ergebnisse zeigen, dass ein präventives Training Verbesserungen im lexikalischen Wortabruf, in kognitiven Leistungen und der subjektiv wahrgenommenen quantitativen Alltagskommunikation erzielen kann. Besonders die gemessenen Leistungen des RWT-m und DemTect betonen unter anderem die Kopplung zwischen sprachlichen Fähigkeiten und kognitiven Funktionen und sind auch im hohen Alter noch veränderungssensitiv. Im semantischen Wortabruf mit Kategorienwechsel zeigen sich ebenfalls Gruppenunterschiede, die jedoch aufgrund fehlender Vergleichbarkeit zu t0 mit Vorsicht betrachtet werden müssen. Die vergleichsweise geringere Verbesserung der IG im RWT_KW könnte dadurch bedingt sein, dass im Training der semantische Wortabruf lediglich ohne die exekutive Leistung des Kategorienwechsels beübt wurde. Beide Gruppen schätzen die Qualität ihrer Alltagskommunikation im zeitlichen Verlauf schlechter ein. Dennoch führte das Training in der IG nach Angaben der Bewohner*innen zu einer häufigeren Kommunikation im Alltag.
Schlussfolgerung
Das Präventionsangebot OrkA für ältere Menschen in Altenpflegeeinrichtungen wirkt sich positiv auf den formallexikalischen Wortabruf, die Kognition und die subjektiv berichtete Häufigkeit der alltäglichen Kommunikation aus.
References
[1] De Oliveira TC, Soares FC, De Macedo LD, Diniz DL, Bento-Torres NV, Picanço-Diniz CW. Beneficial effects of multisensory and cognitive stimulation on age-related cognitive decline in long-term-care institutions. Clin Interv Aging. 2014 Feb 14;9:309-20. DOI: 10.2147/CIA.S54383[2] Rojas C, Riffo B, San Martín M, Guerra E. Lexical Access Restrictions after the Age of 80. Brain Sci. 2023 Sep 19;13(9):1343. DOI: 10.3390/brainsci13091343
[3] Walther W, Ptok M, Hager K, Miller S. Study protocol of the OrkA project: orofacial and communicative activation in old age- a cluster randomized prevention study in long-term care facilities in Lower Saxony, Germany. BMC Geriatr. 2024 Feb 22;24(1):179. DOI: 10.1186/s12877-024-04809-5
[4] Aschenbrenner S, Tucher O, Lange KW. RWT-Regensburger Wortflüssigkeitstest. Göttingen: Hogrefe; 2001.
[5] Pulvermüller F, Berthier ML. Aphasia therapy on a neuroscience basis. Aphasiology. 2008 Jun;22(6):563-99. DOI: 10.1080/02687030701612213
[6] Kalbe E, Kessler J, Calabrese P, Smith R, Passmore AP, Brand M, Bullock R. DemTect: a new, sensitive cognitive screening test to support the diagnosis of mild cognitive impairment and early dementia. Int J Geriatr Psychiatry. 2004 Feb;19(2):136-43. DOI: 10.1002/gps.1042