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41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
25.-28.09.2025
Münster


Poster

Compound-heterozygote Mutation im TPO-Gen als mögliche Ursache für eine angeborene sensorineurale Hörstörung und Hypothyreose

J. Horvath 2
F. Tüttelmann 2
K. Neumann 1
1Universitätsklinikum Münster, Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Münster, Deutschland
2Universitätsklinikum Münster, Klinik für Medizinische Genetik, Münster, Deutschland

Abstract

Hintergrund: Etwa 50% aller angeborenen Hörstörungen sind genetisch bedingt, 30% davon im Rahmen einer syndromalen Erkrankung. Der Symptomenkomplex aus hypothyreoter Struma und sensorineuraler Hörstörung lässt zunächst an ein Pendred-Syndrom denken, welches sich durch Mutationen im SLC26A4-Gen auszeichnet. Man sollte allerdings auch seltenere Ursachen in Betracht ziehen. Wir beschreiben den Fall eines reif geborenen männlichen Säuglings nicht-konsanguiner Eltern mit Compound-heterozygoter Mutation im TPO-Gen.

Material und Methoden: Nach spontaner Geburt in der 38+2 SSW ergab eine Sonographie der Schilddrüse am 5. Lebenstag ein deutlich erhöhtes Schilddrüsenvolumen mit Hyperperfusion. Laborchemisch konnte eine Hypothyreose festgestellt werden (TSH 609 mU/ml (0.72–11.0), freies T3 0,88 pg/ml (1.95–6.04), freies T4 0,05 ng/dl (0.89–2.20)). Es wurde eine Therapie mit L-Thyroxin eingeleitet. Hierunter normalisierten sich die Schilddrüsenparameter.

Das Neugeborenen-Hörscreening war beidseits auffällig, gemessen wurden die TEOAE. Eine Kontrolle mittels AABR zeigte eine auf 45 dB nHL erhöhte Schwelle beidseits. Eine Kontroll-BERA ergab schließlich eine mittelgradige, hochtonbetonte Innenohrschwerhörigkeit. Die Knochenleitungsschwelle für Click-Stimuli lag rechts bei ≤10 dB nHL, links bei ≤10 dB nHL. Die Potentialschwelle für Chirp-Stimuli über Knochenleitung bei 1 kHz lag rechts und links jeweils bei 10 dB und bei 4 kHz bei jeweils 50 dB. Es wurde eine Hörgeräteversorgung mit Luftleitungshörgeräten eingeleitet. Weitere Erkrankungen fanden sich bis dato nicht.

In der Familienanamnese finden sich keine weiteren Hinweise auf Hörstörungen oder Schilddrüsenerkrankungen. Es wurde eine molekulargenetische Diagnostik mittels „Next Generation Sequencing“ (NGS) durchgeführt.

Ergebnisse: Die NGS-Diagnostik ergab eine Compound-heterozygote Mutation im TPO-Gen (c.1184_1187dup p.(Ala397Profs*76) & c.1357T>G p.(Tyr453Asp)). Eine Veränderung im SLC26A4-Gen konnte nicht nachgewiesen werden.

Durch die Segregationsanalyse des elterlichen Blutes konnte nachgewiesen werden, dass der Junge die Variante c.1184_1187dup p.(Ala397Profs*76) von der Mutter und die Variante .1357T>G p.(Tyr453Asp) vom Vater geerbt habe.

Schlussfolgerungen: Eine Compound-heterozygote Mutation im TPO-Gen kann ebenfalls eine sensorineurale Hörstörung auslösen. Bei fehlendem Nachweis einer Mutation im SLC26A4-Gen bei Vorliegen des Symptomenkomplex hypothyreote Struma und sensorineurale Hörstörung sollte auch an andere genetische Ursachen gedacht werden.

Text

Hintergrund

Etwa 50% aller angeborenen Hörstörungen sind genetisch bedingt, 30% davon im Rahmen einer syndromalen Erkrankung. Der Symptomenkomplex aus hypothyreoter Struma und sensorineuraler Hörstörung lässt zunächst an ein Pendred-Syndrom denken, welches sich durch Mutationen im SLC26A4-Gen auszeichnet. Man sollte allerdings auch seltenere Ursachen in Betracht ziehen. Wir beschreiben den Fall eines reif geborenen männlichen Säuglings nicht-konsanguiner Eltern mit Compound-heterozygoter Mutation im TPO-Gen.

Case Report/Methoden

Nach spontaner Geburt in der 38+2 SSW ergab eine Sonographie der Schilddrüse am 5. Lebenstag ein deutlich erhöhtes Schilddrüsenvolumen mit Hyperperfusion. Laborchemisch konnte eine Hypothyreose festgestellt werden (TSH 609 μU/ml (0.72–11.0), freies T3 0,88 pg/ml (1.95–6.04), freies T4 0,05 ng/dl (0.89–2.20)). Es wurde eine Therapie mit L-Thyroxin eingeleitet. Hierunter normalisierten sich die Schilddrüsenparameter.

Das Neugeborenen-Hörscreening war beidseits auffällig, gemessen wurden die TEOAE (transitorisch evozierte otoakustische Emissionen). Eine Kontrolle mittels AABR (automated auditory brainstem response, automatisiert ausgewertete Hirnstammaudiometrie) zeigte eine auf 45 dB nHL erhöhte Schwelle beidseits. Eine BERA (brainstem evoked response audiometry, Hirnstammaudiometrie) ergab schließlich eine mittelgradige, hochtonbetonte Innenohrschwerhörigkeit. Die Knochenleitungsschwelle für Click-Stimuli lag rechts bei ≤10 dB nHL, links bei ≤10 dB nHL. Die Potentialschwelle für Chirp-Stimuli über Knochenleitung bei 1 kHz lag rechts und links jeweils bei 10 dB und bei 4 kHz bei jeweils 50 dB. Es wurde eine Hörgeräteversorgung mit Luftleitungshörgeräten eingeleitet. Weitere Erkrankungen fanden sich bis dato nicht.

In der Familienanamnese finden sich keine weiteren Hinweise auf Hörstörungen oder Schilddrüsenerkrankungen. Es wurde eine molekulargenetische Diagnostik von 172 Genen, welche in Verbindung mit nicht-syndromalen und syndromalen Schwerhörigkeiten stehen, mittels „Next Generation Sequencing“ (NGS) durchgeführt.

Ergebnisse

Die NGS-Diagnostik ergab eine Compound-heterozygote Mutation im TPO-Gen (c.1184_1187dup p.(Ala397Profs*76) & c.1357T>G p.(Tyr453Asp)). Eine Veränderung im SLC26A4-Gen oder anderen, für eine Hörstörung möglicherweise ursächlichen Genen, konnte nicht nachgewiesen werden.

Durch die Segregationsanalyse des elterlichen Blutes konnte nachgewiesen werden, dass der Junge die Variante c.1184_1187dup p.(Ala397Profs*76) von der Mutter und die Variante c.1357T>G p.(Tyr453Asp) vom Vater geerbt habe.

Schlussfolgerungen

Bisher gibt es nur wenige berichtete Fälle einer sensorineuralen Hörstörung aufgrund einer Mutation im TPO-Gen. Die in diesem Fall beschriebene vom Vater geerbte Variante c.1357T>G p.(Tyr453Asp) ist bereits in zwei Fällen im Kontext einer sensorineuralen Hörstörung beschrieben, die Variante c.1184_1187dup p.(Ala397Profs*76), welche von der Mutter vererbt wurde, bisher noch nicht [1], [2]. In den meisten Fällen, wie auch hier, zeigte sich eine konnatale gering- bis mittelgradige sensorineurale Schwerhörigkeit, welche bereits im Neugeborenen-Hörscreening durch die Abwesenheit von TEOAE aufgefallen war. Auch im Mausmodell konnte für zwei TPO-Varianten eine Hörstörung mit verzögerter Entwicklung der Cochlea und Verdickung der Tektorialmembran gezeigt werden [3].

Eine Compound-heterozygote Mutation im TPO-Gen sollte daher ebenfalls, insbesondere bei fehlendem Nachweis einer Mutation im SLC26A4-Gen oder anderen weitläufig bekannten Genen, welche für eine Hörstörung verantwortlich sein können, in Betracht gezogen werden. Eine regelmäßige Hördiagnostik ist zur Verlaufsdiagnostik und adäquaten Versorgung der Hörstörung unerlässlich.


References

[1] Ziegler A, Denommé-Pichon AS, Boucher S, Bouzamondo N, Colin E, Dieu X, Jean Yves T, Bouhours N, Rouleau S, Coutant R, Rodien P, Prunier D, Bonneau D. Congenital hypothyroidism and hearing loss without inner ear malformation: Think TPO. Clin Genet. 2021 Apr;99(4):604-6. DOI: 10.1111/cge.13902
[2] Pfarr N, Borck G, Turk A, Napiontek U, Keilmann A, Müller-Forell W, Kopp P, Pohlenz J. Goitrous congenital hypothyroidism and hearing impairment associated with mutations in the TPO and SLC26A4/PDS genes. J Clin Endocrinol Metab. 2006 Jul;91(7):2678-81. DOI: 10.1210/jc.2006-0142
[3] Johnson KR, Gagnon LH, Longo-Guess CM, Harris BS, Chang B. Hearing impairment in hypothyroid dwarf mice caused by mutations of the thyroid peroxidase gene. J Assoc Res Otolaryngol. 2014 Feb;15(1):45-55. DOI: 10.1007/s10162-013-0427-7