Künstliche Intelligenz: Die digitale Zukunft in der Pflege gestalten. 9. Fachtagung Technik – Ethik – Gesundheit
Künstliche Intelligenz: Die digitale Zukunft in der Pflege gestalten. 9. Fachtagung Technik – Ethik – Gesundheit
Akzeptanz und Nutzen von humanoiden- und Servicerobotern in Pflegeeinrichtungen – eine empirische Studie zu Navel und Temi
2Fraunhofer IIS, Erlangen, Deutschland
Text
Einleitung & Motivation
Die demografische Entwicklung und die damit verbundene Zunahme älterer Menschen stellen eine wachsende Herausforderung für das aktuell verfügbare Pflegepersonal dar [1]. Der Fachkräftemangel und die zunehmende Belastung der Pflegenden erfordern dringend neue Lösungsansätze – bereits heute gibt es rund 1,7 Millionen Beschäftigte in der Pflege, doch viele arbeiten unter hoher Belastung mit Überstunden und Zeitdruck. Folglich ist die Situation in der Altenpflege besonders herausfordernd, da auf 100 gemeldete Stellen lediglich 19 arbeitssuchende Pflegekräfte entfallen – vor zehn Jahren waren es noch 68. Um eine bedarfsgerechte Versorgung langfristig sicherzustellen, wird bis zum Jahr 2030 ein zusätzlicher Bedarf von rund 300.000 Pflegefachkräften prognostiziert [2].
Um den steigenden Anforderungen gerecht zu werden und qualitative Standards beizubehalten, muss auch die Digitalisierung in der Branche mitziehen [3]. Im Rahmen des Projekts Pflege 2030 (gef. vom Bayerischen Gesundheitsministerium) wurde die Einführung des sozialen Roboters Navel [4] (Abbildung 1 a [Abb. 1]) und des Serviceroboters Temi [5] (Abbildung 1 b [Abb. 1]) in einer Pflegeeinrichtung untersucht. Ziel war es, die Akzeptanz, den Nutzen sowie mögliche Ängste gegenüber Robotern und künstlicher Intelligenz (KI) zu evaluieren und festzustellen, wie diese Technologien den Pflegealltag unterstützen können [6]. Die vorliegende Studie beleuchtet die Ergebnisse dieser Untersuchung und die praktischen Einsatzmöglichkeiten sowie Herausforderungen bei der Implementierung von KI-gestützten Robotern im Pflegebereich.
Material & Methoden
Die explorative Studie wurde als Mixed-Measures-Design mit einer gleichverteilten Randomisierung der Roboter konzipiert. Es handelt sich um eine Within-Subject-Erhebung von zwei Gruppen mit gleichem Nutzungsgrad der Roboter sowie identischen Skalen und Items bei der quantitativen Erhebung via Fragebögen. Zudem wurde eine weitere Exploration angestellt, in welcher die Heimbewohner frei mit Navel und Temi interagieren konnten. Das beobachtete Verhalten wurde dokumentiert und durch eine anschließende Selbstauskunft ergänzt.
Die quantitativen Daten wurden vor und nach der praktischen Untersuchung in Form eines Onlinefragebogens über die Online-Plattform LimeSurvey erhoben. Die Teilnehmenden waren zu 100% Angestellte der Pflegeeinrichtung. In der ersten Erhebung wurden die Einstellungen und Erwartungen der Teilnehmenden hinsichtlich von Robotern erfasst. Im Anschluss kam es zu einer praktischen Erprobung und Vorstellung der beide Roboter, woraufhin eine erneute Befragung des Personals erfolgte. Die Messwiederholung wurde durchgeführt, um Veränderungen in der Akzeptanz, dem wahrgenommenen Nutzen und möglichen Bedenken durch die Interaktion mit den Systemen zu erheben.
Die Akzeptanz von Technologien konnte dabei mit Hilfe eines modifizierten TAM-Fragebogens erhoben werden [7], welcher ursprünglich von Davis [8] konstruiert wurde. Aus Gründen der besseren internen Validität (Cronbach’s α=.92) enthält dieser Fragebogen nur noch zwölf der urspünglichen vierzehn Items. Diese zwölf Items teilen sich über zwei Subskalen mit jeweils sechs Items auf.
Während der Erhebung der Daten nahmen ≥10 Versuchspersonen bis zum Ende beider Befragungen teil. Nur Fragebögen, welche vollständig ausgefüllt wurden und in denen die Proband:innen die Kontrollfrage zur Testung der Aufmerksamkeit erfolgreich beantwortet haben, wurden in die Auswertung miteinbezogen. Außerdem wurden Datensätze entfernt, welche eine starke Systematik in ihrer Beantwortung aufwiesen. Von den insgesamt zehn erhobenen Datensätzen haben acht die Gütekriterien der quantitativen Befragung nicht erfüllt. Die bereinigte Stichprobe der quantitativen Erhebung liegt somit bei N=2, während die qualitative Untersuchung vor Ort mit N≥13 etwas höher ausfällt. Voraussetzungen für die Teilnahme waren Volljährigkeit, eine unterschriebene Datenschutzerklärung und gute Deutschkenntnisse, um Verständnisschwierigkeiten vorzubeugen.
Für eine praxisnahe Untersuchung wurden die beiden Roboter in der Belia-Pflegeeinrichtung im Raum Duisburg (NRW) getestet und der Einsatz von geschultem Pflegepersonal bewertet. Zu Beginn der praktischen Untersuchung wurden alle teilnehmenden Personen über die Funktionsweise der beiden Roboter aufgeklärt und hatten die Möglichkeit Rückfragen zu stellen. Daraufhin wurden in Form einer gleichverteilten Randomisierung zwei Gruppen gebildet. Das Personal wurde entweder der Gruppe Navel oder Temi zugewiesen, wobei im weiteren Verlauf die Gruppen getauscht wurden, sodass alle Proband:innen beide Roboter ausprobieren konnten. Innerhalb der Gruppen konnten die Pflegekräfte die Funktionen der Roboter für ca. 40 Minuten ausprobieren und sich in weiteren 20 Minuten überlegen, welche alltäglichen Aufgaben der Roboter unterstützen oder sogar übernehmen könnte. Im weiteren Verlauf wurden mit den Gruppen standardisierte Interviews durchgeführt (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]), um sowohl die Vor- als auch Nachteile der Einsatzmöglichkeiten genauer zu beleuchten. Nach den Interviews tauschten die Gruppen, um den jeweils anderen Roboter auszuprobieren.
Am Ende der Erprobungsphase durch die Mitarbeitenden hatten auch die Bewohner:innen des Pflegeheims die Möglichkeit mit den Robotern zu interagieren. Diese Interaktionen wurde beobachtet und ausgewertet, um das vorliegende Stimmungsbild gegenüber den Robotern zu erfassen (siehe Abbildung 1 c&d [Abb. 1]).
Alle teilnehmenden Personen wurden im Rahmen der ethischen Richtlinien, über das Thema der Studie aufgeklärt, bestätigten die Verarbeitung ihrer Daten und konnten zu jeder Zeit die Untersuchung abbrechen.
Ergebnisse
Die Auswertung der Onlinefragebögen ergab, dass die Akzeptanz von Robotern, zumal bei älteren Pflegekräften, nach der direkten Interaktion deutlich anstieg. Vor dem Einsatz zeigten vor allem ältere Pflegekräfte Skepsis, insbesondere hinsichtlich technischer Komplexität und der Sorge, dass Roboter menschliche Pflegekräfte ersetzen könnten. Nach der praktischen Anwendung berichteten jedoch ausnahmslos alle Teilnehmer von einer positiven Erfahrung mit den Robotern. Beide Systeme wurden als intuitiv bedienbar und praktische Unterstützung im Pflegealltag wahrgenommen.
Spezifisch das Pflegepersonal bewertete die Stärken des Serviceroboters (Temi) in organisatorischen Aufgaben wie der autonomen Distribution von kleineren Gütern und als Wegweiser für Besucher als besonders hilfreich. Gerade durch die direkte Unterstützung von Routinegängen, wie der Überwachung bei Nacht, und möglichen Übernahmen von Aufgaben im Service wurde Temi vom Personal als Bereicherung wahrgenommen. Dies unterstreichen auch Aussagen der Mitarbeitenden, wie: „Können Sie den (Temi) nicht bei uns lassen?“ und „Er kann direkt heute anfangen”.
Der humanoide Roboter Navel wurde dagegen von allen Parteien für seine soziale Interaktionsfähigkeit geschätzt. Die emotionale Unterstützung in Gesprächen mit Bewohner:innen, sowie die Fähigkeit der Protokollierung könnte dem Pflegepersonal helfen, die geforderte Verschriftlichung der Biografie abzunehmen. Außerdem könnte Navel, laut dem Pflegepersonal, in Zukunft eine große Hilfe bei der Validierung von Demenz- und Alzheimererkrankten darstellen. Aber auch die Bewohner:innen wissen den Roboter zu schätzen. Durch das Wahrnehmen von Emotionen und die direkte Rückmeldung zu gestellten Fragen und angesprochenen Themen kann der soziale Roboter auch eine persönliche Verbindung zu den Bewohnern aufbauen, welche von diesen als besonders positiv bewertet wird [9]. Die Reaktion der Heimbewohner:innen auf Navel war sehr gut, was diese im Interview durch empfundenen Spaß und hoher Zufriedenheit in der Interaktion mit Navel widerspiegelten (s. Abbildung 1c [Abb. 1]).
Allerdings waren die Reaktionszeiten – wahrscheinlich der vorhandenen Netzwerkverbindung zum GPT-Server geschuldet – etwas langsam, die Reaktionszeit für jede Anfrage betrug ca. 3 Sekunden zwischen Anfrage und Antwort. Nicht jeder Anfrage wurde von Navel gleichermaßen zufriedenstellennd beantwortet, die Bitte „Sing mit ein Lied“ wurde mit der Rezitation des kompletten Liedtextes („Der Mond ist aufgegangen“) beantwortet.
Dass Navel auch weniger als „Roboter“, sondern als eine eigenständige Entität wahrgenommen wird, zeigt der Umgang mit dem System. Eine Bewohnerin nannte Navel: „einen kleinen netten Kerl” und eine weitere beschrieb ihn als „kleinen Enkel“. Auch als Navel einem älteren Herrn den Weg blockierte, fragte dieser sehr höflich, ob „der Bursch” ihm etwas Platz machen könnte.
Allerdings wurden seitens der Pflegekräfte auch Herausforderungen identifiziert: Zum Zeitpunkt der Studie konnte Navel während des Sprechens nicht unterbrochen werden, sodass er jeden Satz vollständig beenden musste. Diese Einschränkung könnte jedoch in der Programmierung behoben werden. Zudem sind sowohl Navel als auch Temi bei ihrer eigenständigen Navigation auf eine einzelne Etage beschränkt, da sie weder Treppen noch Aufzüge eigenständig überwinden können. Des Weiteren wurde Navel von einigen Befragten aufgrund seiner geringen Größe als potenzielle Stolpergefahr wahrgenommen.
Diskussion
Die Ergebnisse zeigen, dass Serviceroboter wie Temi bzw. Soziale Roboter wie Navel ein großes Potenzial im Pflegesektor besitzen. Besonders hervorzuheben ist die erhöhte Akzeptanz nach direkter Interaktion mit den Technologien. Die Pflegekräfte, welche anfänglich Bedenken äußerten, revidierten diese nach der praktischen Anwendung und spiegelten eine hohe Zufriedenheit wider [10]. Ebenso ging aus den Gesprächen hervor, dass Roboter nicht als Ersatz für menschliche Pflegekräfte wahrgenommen werden, sondern als ergänzende Unterstützung, insbesondere bei Routine und sozialen Aufgaben.
Die Herausforderungen, wie die begrenzte Mobilität der untersuchten Systeme und die kindliche Erscheinung von Navel, weisen jedoch darauf hin, dass die Implementierung solcher Technologien in der Pflege weiterhin sorgfältig geplant und angepasst werden muss. Dazu würde die Überwindung von vertikalen Hürden, wie Treppen und Fahrstühlen, aber auch das automatische Umfahren von Fachpersonal gehören. Die Pflegekräfte weisen eine hohe Bereitschaft und Akzeptanz gegenüber der untersuchten Technologien auf, was zu konstruktiven Einsatzmöglichkeiten beiträgt. Besonders in der Beschäftigung und potenziellen Verschriftlichung von Biografien der Bewohner:innen wird bei Navel als ein großes Potential gesehen.
Trotz dessen sollten die Ergebnisse dieser Arbeit mit Vorsicht betrachtet werden, da die Untersuchung durch die niedrige Rücklaufquote der Onlinefragebögen mit N=2 keine statistische Aussagekraft liefert. Dennoch bieten die qualitativen Erkenntnisse (N≥13) eine gute Grundlage, potenzieller Anwendungsgebiete beider Robotersysteme und ein verhältnismäßig homogenes Meinungsbild zu Robotern in der Pflege aus Sicht des Personals und dessen Bewohnern. Um die Erkenntnisse jedoch zu generalisieren und auf eine Gesamtheit zu übertragen, wäre eine größer angesetzte Studie erforderlich, die mehr Teilnehmende aus unterschiedlichen Pflegeeinrichtungen einbezieht. Eine solche Studie könnte helfen, die Ergebnisse zu bestätigen und etwaige regional oder institutionsspezifische Unterschiede in der Akzeptanz und Nutzung der Roboter zu identifizieren.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Ergebnisse bestätigen, dass der Einsatz von Servicerobotern in der Pflege positive Auswirkungen auf deren Akzeptanz und den Alltag der Pflegekräfte, sowie Bewohnerinnen aufweisen. Beide Robotersysteme, Temi und Navel, konnten ihr jeweiliges Einsatzpotenzial erfolgreich entfalten und wurden als nützliche Ergänzungen im Pflegealltag wahrgenommen. Die Bedenken und Ängste, insbesondere von älteren Pflegekräften, konnten durch die Vorstellung und direkte Anwendung deutlich reduziert werden. Für eine erfolgreiche Implementierung von Robotern in der Pflege sollten bestehende technische Herausforderungen adressiert und kontinuierlich an die Bedürfnisse der Fachkräfte ausgerichtet werden. Zudem empfiehlt es sich, die Schulung und Integration der Technologien weiter voranzutreiben, um das Potenzial von Robotern im Pflegebereich vollständig zu nutzen.
Literatur
[1] PKV-Verband. Die Pflege in einer alternden Gesellschaft. [Abgerufen am 24. März 2025]. Verfügbar unter: https://www.pkv.de/wissen/pflegepflichtversicherung/die-pflege-in-einer-alternden-gesellschaft/[2] Pflegenot Deutschland. Personalmangel Pflege. © Deutsches Pflegehilfswerk. [Abgerufen am 24. März 2025]. Verfügbar unter: https://www.pflegenot-deutschland.de/ct/personalmangel-pflege/
[3] x, Digitalisierung im Altenheim – Ein Praxisbericht der Caritas Sozialstation ST Johannes e.V. In: Gesundheit-Digital-Forum. 2023 [abgerufen am 24. März 2025]. Verfügbar unter: https://www.gesundheit-digital-forum.de/de/themen/allgemein/digitalisierung-im-altenheim
[4] Toussaint C, Schwarz PT, Petermann, M. Navel - a social robot with verbal and nonverbal communication skills. In: CHI ’23: CHI Conference on Human Factors in Computing Systems; 2023 Apr 23-28; Hamburg, Germany. New York, NY, USA: Association for Computing Machinery; 2023.
[5] Weigand C, Flemming D, Borutta P, Hofmann F, Wieland G, Zweyer G, Hayir E, Seuß D, Wittenberg W. A concept and technical requirements for the Temi platform supporting care and nursing. Current Directions Biomedical Engineering. 2022;8(2):241-244.
[6] Breazeal C. Emotion and sociable humanoid robots. International Journal of Human Computer Studies. 2003;59(1–2):119–155.
[7] Lewis JR. Comparison of Four TAM Item Formats: Effect of Response Option Labels and Order. Journal of Usability Studies. 2029;14(4).
[8] Davis FD. A technology acceptance model for empirically testing new end-user information systems: theory and results [Doctoral dissertation]. 1986.
[9] Wirtz J, Patterson PG, Kunz WH, Gruber T, Lu VN, Paluch S, Martins A. Brave new world: Service robots in the frontline. Journal of Service Management. 2018;29(5):907–931.
[10] de Graaf MMA, Ben Allouch S, van Dijk JAGM. Why Would I Use This in My Home? A Model of Domestic Social Robot Acceptance. Human-Computer Interaction. 2029;34(2):115–173.





