70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.
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Indikationsqualität zur Versorgung mit Systemen der kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung bei Typ 2-Diabetes: Ergebnisse der Routinedaten aus der personbezogenen Begutachtung des Medizinischen Dienstes
Text
Einleitung: Gegenwärtig ist bei 9,1 Millionen Menschen ein Diabetes mellitus (DM) Typ 2 diagnostiziert. Dessen Inzidenzrate beträgt aktuell 450.000 Neuerkrankungen pro Jahr [1]. Trotz der epidemiologischen Relevanz im Hinblick auf Mortalität, Morbidität, Komorbidität, erkrankungsspezifischen Komplikationen und damit assoziierten (Folge-)Kosten sind weiterhin erhebliche Defizite der Versorgungssituation von an DM Typ 2 Erkrankten festzustellen [2]. Nach einer differenzierten Diagnostik ist die der individuellen Konstellation angemessene Behandlung notwendig. Als innovative Methode zur Therapiesteuerung werden auch bei Patienten mit DM Typ 2 Nadelsensoren zur kontinuierlichen Messung des Glukosegehalt in der interstitiellen Flüssigkeit des Unterhautfettgewebes in Echtzeit (RealTime Continuous Glucose Monitoring – rtCGM) eingesetzt. Deren indikationsgerechter Einsatz setzt – entsprechend den für die vertragsärztliche Versorgung verbindlichen Maßgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) – neben einer qualifizierten Verordnung durch spezialisierte Fachärztinnen und -ärzte und einer qualifizierten Schulung zur Selbststeuerung unabdingbar die intensivierte konventionelle Insulintherapie (ICT) voraus [3]. Im Auftrag der Krankenkassen überprüft der Medizinische Dienst (MD) die sozialmedizinischen nachvollziehbaren Anspruchsvoraussetzungen der personbezogenen Verordnung eines rtCGM-Systems. Dargestellt werden soll, anhand von Routinedaten des MD inwieweit diese Standards flächendeckend vorliegen.
Methodik: Retrospektive Sekundärdatenanalyse anhand einer Zufallsstichprobe von im Jahr 2024 standardisiert und bundesweit einheitlich qualitätsgesichert erstellten Gutachten des MD Hessen anlässlich der vertragsärztlich verordneten Intervention mit den im systematisch strukturierten Hilfsmittelverzeichnis des GKV-Spitzenverband gelisteten rtCGM-Messgeräten.
Ergebnisse: Insgesamt wurden 3119 Gutachten zum Anlass-Schlüssel „Hilfsmittel zum Glukosemanagement“ erstattet. Die Zufallsstichprobe zum Anlass „rtCGM-System bei DM Typ 2“ umfasste 106 Aktenlagen-Gutachten.
Tabelle 1 [Tab. 1]
Tabelle 1: Ergebnisse der sozialmedizinisch gutachterlichen Beurteilung zur Indikation von rtCGM-Systemen im Begutachtungsjahr 2024
Diskussion: Hessen ist ein Flächenland mit zwei wirtschaftsstarken Metropolregionen und mehr als 7 Prozent aller GKV-Versicherten. Demensprechend können die erhobenen Daten von nach bundesweit einheitlich qualitätsgesicherten Gutachten des MD Hessen als auf die epidemiologische Situation in Deutschland hinsichtlich der (Versorgungs-)Praxis übertragbar betrachtet werden. Wegen der nur bei weniger als 10 Prozent der Fälle sozialmedizinisch gutachterlich uneingeschränkt nachvollziehbaren Indikationsstandards wurden gutachterlicherseits in erheblichem Umfang weitere Ermittlungen als erforderlich beurteilt. Ursächlich dafür war, dass die für die Begutachtung verbindlichen Kriterien des G-BA-Beschlusses vom 16.06.2016 nicht bzw. nicht vollständig erfüllt waren. Dazu gehörten wesentlich:
- fehlender Nachweis einer ICT lege artis, d. h. die adäquate Steuerung der Insulinzufuhr in Abhängigkeit von jeweiligen Lebensstil, Zeitpunkt und frei festgelegter Zusammensetzung der Mahlzeit anhand der Menge der aufzunehmenden Kohlenhydrate und der Höhe des präprandialen Blutzuckerspiegels
- fehlende vertragsärztliche Berechtigung der Verordner bzgl. der Qualifikation in Diabetologie
Schlussfolgerung: Die Analyse unterstreicht – zur sachgerechten und zeitnahen Beurteilung indikationsgerechter rtCGM-Versorgung – die Notwendigkeit einer aussagekräftigen fachärztlichen Verordnung sowie zeitgerechten Mitteilung entsprechender Befunde und Unterlagen. Diese sind Voraussetzung für die Sicherstellung einer leistungsgerechten und im Hinblick auf die Vermeidung von Komplikationen frühzeitigen Versorgung [4], [5].
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.
Literatur
[1] Seidel-Jacobs E, Tönnies T, Rathmann W. Epidemiologie des Diabetes in Deutschland. In: Deutsche Diabetes Gesellschaft; Deutsche Diabetes-Hilfe, Hrsg. Deutscher Gesundheitsbericht. Diabetes 2025. Die Bestandsaufnahme. Wiesbaden: MedTriX GmbH; 2024. p. 8-11. Available from: https://www.ddg.info/politik/veroeffentlichungen/gesundheitsbericht[2] Martin S, Landgraf R. Systematische Analyse der Versorgungssituation bei Diabetes mellitus in Deutschland. Dtsch Med Wochenschr. 2005;130:1078-1084.
[3] Rathmann W, Icks A. Epidemiologie und Versorgungsforschung des Diabetes. Diabetologie. 2025;21:1-2.
[4] Atkinson M, Williams DM, Crockett E, Hathaway I, Mon M Stephens JW, et al. Assessing glycaemic impact of FreeStyle libre monitoring in patients with insulin-treated type 2 diabetes: a retrospective real-world analysis. Journal of Diabetes & Metabolic Disorders. 2025;24:72.
[5] Li Y, Cai L, Lu Q, Gong W, Wang P, Chen T, et al. Time-divided hypoglycemia management derived by continuous glucose monitoring may reduce microvascular diseases in type 2 diabetes patients. Endocrine. 2025;89:99–110. DOI: 10.1007/s12020-025-04250-7



