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70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)
07.-11.09.2025
Jena


Meeting Abstract

Best-Practice-Szenarien für RPA-gestützte AMTS-Prüfungen

Andrius Patapovas 1
Loreta Dilpsaite 1
Annette Pfeiffer 1
Martin Ackermann 2
1Die Technische Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm, Nürnberg, Germany
2PGXperts GmbH, Fürth, Germany

Text

Einleitung: Unerwünschte Arzneimittelereignisse (UAE) zählen trotz weitreichender Digitalisierung zu den häufigsten vermeidbaren Komplikationen im Krankenhaus. Elektronische Verschreibungssysteme, die durch klinische Entscheidungsunterstützungssysteme (CDSS) ergänzt werden, können UAE deutlich reduzieren [1]. Als zentrale Herausforderungen gelten eine komplexe, schwer bedienbare Benutzeroberfläche, mangelnde Integration in den klinischen Arbeitsablauf sowie unpassende oder redundante Warnungen infolge fehlender interoperabler Datenweitergabe (z.B. HL7-Nachrichten) zwischen klinischen Dokumentationssystem und CDSS [2]. Ein Kooperationsprojekt zwischen der Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm, dem Krankenhaus St. Theresien in Nürnberg und der PGXperts GmbH, einem Anbieter für personalisiertes Medikationsmanagement in der klinischen Routine, untersuchte daher, inwieweit eine frontendbasierte Datenaggregation mittels eines Software-Roboters (Robotic Process Automation, RPA) fehlende Patientendaten im CDSS erschließen kann, um die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) zu verbessern.

Methoden: Das Forschungsvorgehen folgte einem Mixed-Methods-Ansatz. Eine Scoping-Review gemäß PRISMA-ScR untersuchte anhand der Suchanfrage "robotic process automation" AND ("HL7" OR "FHIR" OR "interoperability") AND ("drug therapy safety" OR "medication safety" OR "adverse drug event" OR "medication error" OR "pharmacovigilance") in den Datenbanken PubMed, Scopus und Web of Science den Einsatz von RPA im Kontext von Interoperabilität und AMTS. Darauf folgten strukturierte Beobachtungen von Verordnungsprozessen sowie ein Experteninterview mit der Apothekenleitung. Ergänzend wurde ein Fragebogen eingesetzt, gerichtet an Ärztlichen Dienst, Pflege und Apotheke, zur Beurteilung der Einsatzfähigkeit von RPA. Abschließend wurde ein RPA-Prototyp zur automatisierten Datenaggregation konzipiert.

Ergebnisse: Die Beobachtung im August 2024 in der Fachabteilung Gefäßchirurgie sowie im Pflegestützpunkt der angeschlossenen Station zeigte mehrere Schwachstellen im Verordnungsprozess auf. Zum einen fehlte es während der Visite an ausreichend Zeit, um die für die AMTS-Prüfung notwendigen Parameter zusammenzutragen und gegebenenfalls die Medikation anzupassen. Zum anderen bestanden keine geeigneten Systemschnittstellen, die eine durchgängige Datenaggregation ermöglichen. Dies führte zu zeitintensiven, manuellen und fehleranfälligen Datenübertragungen.

Da die Suchanfrage keine verwertbaren Treffer lieferte, wurden vier bewährte Praxis-Szenarien aus erweiterter Literaturrecherche sowie Experteninterview abgeleitet:

  1. Systemübergreifende, frontendbasierte Datenaggregation relevanter Parameter wie Alter, Gewicht, Schwangerschaft, Diagnosen, EKG- und Laborwerte sowie Medikation inklusive Schema und Unverträglichkeiten [3];
  2. Automatisierte Auslösung der Datenaggregation durch kontextbezogene Systemereignisse mit anschließendem Start eines AMTS-Checks [4];
  3. Dynamisches Ampelsystem zur Visualisierung individueller AMTS-Risiken unter Berücksichtigung rollen- und fachbereichsspezifischer Schwellenwerte;
  4. Digitale Validierung identifizierter AMTS-Risiken durch den Ärztlichen Dienst und die Apotheke im Rahmen des Vier-Augen-Prinzips [5].

Die im September 2024 durchgeführte Befragung zu den Praxis-Szenarien 1 und 2 im Kontext des Arzneimittelverordnungssystems PGXperts mit integrierter AMTS-Prüfung zeigte einen ausgeprägten Bedarf an einer automatisierten Erschließung relevanter Patientendaten.

Diskussion: Die Ergebnisse belegen das Potenzial von RPA: Durch die Verbesserung der Informationsqualität im Rahmen der AMTS-Prüfung können UAE mithilfe von CDSS frühzeitig in der klinischen Routine erkannt werden. Entscheidend für eine nachhaltige Wirkung von RPA auf die AMTS sind jedoch drei Voraussetzungen: Erstens die zielgerichtete Automatisierung der Zusammenführung verteilter, AMTS-relevanter Daten; zweitens ein umfassendes Change-Management-Konzept zur Förderung der Nutzerakzeptanz; und drittens eine strikte, datenschutzkonforme Systemarchitektur mit rollenbasierten Zugriffsrechten sowie einer lückenlosen Protokollierung aller durch RPA automatisierten Prozesse.

Schlussfolgerung: RPA kann den Verordnungsprozess deutlich effizienter und sicherer gestalten. Künftige Studien sollten die Wirtschaftlichkeit durch prospektiver gesundheisökonomische Analysen prüfen, die Triggerlogik mithilfe von Echtzeitanalysen verfeinern und RPA-gestützte AMTS-Prüfungen auf weitere Fachbereiche ausweiten.

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.


Literatur

[1] Roumeliotis N, Sniderman J, Adams-Webber T, Addo N, Anand V, Rochon P, Taddio A, Parshuram C. Effect of electronic prescribing strategies on medication error and harm in hospital: a systematic review and meta-analysis. Journal of general internal medicine. 2019 Oct;34:2210-23. DOI: 10.1007/s11606-019-05236-8
[2] West Westerbeek L, Ploegmakers KJ, De Bruijn GJ, Linn AJ, van Weert JC, Daams JG, van der Velde N, van Weert HC, Abu-Hanna A, Medlock S. Barriers and facilitators influencing medication-related CDSS acceptance according to clinicians: a systematic review. International Journal of Medical Informatics. 2021 Aug 1;152:104506. DOI: 10.1016/j.ijmedinf.2021.104506
[3] Patapovas A, Pfistermeister B, Tarkhov A, Terfloth L, Maas R, Fromm MF, Kornhuber J, Prokosch HU, Bürkle T. The effect object paradigm – a means to support medication safety with clinical decision support. In: e-Health – For Continuity of Care 2014. IOS Press; 2014. p. 1065-1069. DOI: 10.3233/978-1-61499-432-9-1065
[4] Salvo F, Micallef J, Lahouegue A, Chouchana L, Létinier L, Faillie JL, Pariente A. Will the future of pharmacovigilance be more automated?. Expert Opinion on Drug Safety. 2023 Jul 3;22(7):541-8. DOI: 10.1080/14740338.2023.2227091
[5] Neumann D, Staeubert S, Struebing A, Schmidt F, Reusche M, Beppler T, Meineke F, Scherag A, Loeffler M; INTERPOLAR Consortium. INTERPOLAR_MI-A Study Platform Concept for IT-Supported Drug Therapy Safety Research. Studies in health technology and informatics. 2025 May 15;327:1255-9. DOI: 10.3233/shti250599