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German Congress of Orthopaedics and Traumatology (DKOU 2025)

Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU), Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC), Deutsche Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU), Berufsverband für Orthopädie und Unfallchirurgie (BVOU)
28.-31.10.2025
Berlin


Meeting Abstract

Eine individualisierte Nachbehandlung Schwerverletzter reduziert das Ausmaß des sozioökonomischen Ausfallschadens und beeinflusst die psychische Gesundheit positiv

Christopher Spering 1
Recep Cagirici 1
Philipp Echterbeck 1
Yamen Al Ashkar 1
Wolfgang Lehmann 1
1Klinik für Unfallchirurgie, Orthopädie und Plastische Chirurgie, Universitätsmedizin Göttingen, Göttingen, Deutschland

Text

Zielsetzung und Fragestellung: Eine Polytraumatisierung (PT) kann die gesundheitsbezogene Lebensqualität (HRQoL) stark beeinflussen. Die Arbeitsfähigkeit (ABF) und sozioökonomische (sozök) Unabhängigkeit haben Einfluss auf die HRQoL. Um zu erheben, welche Veränderungen sich bzgl. ABF und der HRQoL nach PT ergeben, wurde eine Population 2–4 Jahre nach dem Unfall nachuntersucht. Anschließend wurde eine spezielle Sprechstunde eingeführt und PT-Pat. vergleichend nachuntersucht. Das Ziel war es, Einflussfaktoren auf die HRQoL nach PT sowie die psych. Gesundheit und szök Reintegration der Pat. zu erfassen.

Material und Methoden: Fragebogenerhebung aus einem validiertem traumaspezifischem Fragebogen (ts-FB) (100 items) in Kombination mit SF-36 im Kollektiv (1) 1994–2000 vor Einführung einer Polytraumasprechstunde (PT-Spstd.). Befragung 48 Monate nach Unfall. Einschlusskriterien: einwilligungsfähige PT-Pat. (≥18 Jahren, ISS16). Kontakt per Brief/Telefon.

Nach Einführung der PT-Spstd. erfolgte nach 25 Monaten die Befragung im PT-Kollektiv (2) 2020–2022. Querschnittsstudie mit einwilligungsfähigen PT-Pat., 4 FB: HRQol (SF-36/ts-FB), sowie psychische Gesundheit: depressive Störungen (PHQ-9) und Angststörungen (GAD-7); sök/verletzungsspez. Informationen. Univariate Analyse, t-Test und Wilcoxon-Mann-Whitney-Test.

Ergebnisse: (1): 154 Pat. entsprachen Einschlusskriterien, 92 wurden befragt, Rücklaufquote 52% (48). ø-ISS=25, ø-Alter 42 J. 60% gaben begrenzte Gehstrecke an. 89% gaben regelmäßig Schmerzen an. Psych. Gefühlslage zeigte sich sign. schlechter als zuvor. 58% Schlafprobleme, 67% Antriebslosigkeit, 56% Stimmungsschwankungen. 22% negative Erlebnisse mit Arbeitskollegen. Größte „Verlustrate“ in den Handwerksberufen. 49% erreichten ABF, ø 9 Monate nach Unfall, 51% kehrten nicht zurück. (50% wg. Verletzungsfolgen gekündigt, 25% Umschulungen, 25% berentet).

(2): 70 Pat. (ø-Alter 41,8 J; 71,4% männl.; ø-ISS=24) konnten eingeschlossen werden. Die HRQoL war zur Normalbevölkerung (NBEV) in allen 8 Dimensionen der körperl. und psych. Summenskala SF-36 signifikant (p<0,001; PSK:p=0,0049) reduziert. Auswertung des PHQ-9 und GAD-7 zeigte für die Studienpopulation (SP) im Vgl. zur NBEV höhere Summenscores (PHQ-9: SP=6,75 NBEV=3,58; GAD-7: SP=5,11 NBEV=2,95), bei 25 lag eine milde und bei 14 sogar eine schwere depressive Störung vor. Als sign. negative Einflüsse auf HRQoL konnte eine fehlende Rückkehr in den Beruf, Probleme bei Aktivitäten des tägl. Lebens, Schmerzen, Verlust des sozök Kontext, finanzielle Verluste sowie Antriebslosigkeit, Müdigkeit und Erschöpfung festgestellt werden.

Diskussion und Schlussfolgerung: Der Vergleich zeigte nach Einführung der PT-Spstd. eine sign. Reduktion bis zur ABF und nachhaltige psych. Betreuung sowie erfolgreichere sozök Reintegration. Dadurch konnten unfallunabhängige Symptome gezielt therapiert werden. Die HRQoL ist zwar langfristig vermindert, sign. negative Einflussfaktoren sind nicht nur verletzungsbezogen, sondern auch psych. und sozök bedingt. Das PT darf nicht als komplexeres Verletzungsbild simplifiziert werden. Um dies abzuwenden, bedarf es individualisierter Therapiekonzepte.