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41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
25.-28.09.2025
Münster


Vortrag

Die Parazentese führt zu einer Anhebung der ASSR-Schwellen im Tieftonbereich

T. Rahne 2
S. Plontke 2
T. Brzoska 3
O. Dziemba 3
L. Fröhlich 4
1Universitätsklinikum Bonn, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Sektion Phoniatrie und Pädaudiologie, Bonn, Deutschland
2Universitätsklinikum Halle, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Halle, Deutschland
3Universitätsmedizin Greifswald, Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenkrankheiten, Kopf- und Halschirurgie, Greifswald, Deutschland
4Universitätsklinikum Bonn, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Bonn, Deutschland

Abstract

Hintergrund: Bei unzureichender Kooperation in der subjektiven Audiometrie, fehlgeschlagener Melatoninsedierung und unklarem Hörvermögen, bieten objektive Messverfahren - wie Auditory Steady-State Response (ASSR) oder die Brainstem Evoked Response Audiometry (BERA) in Vollnarkose – eine verlässliche Möglichkeit zur Beurteilung des kindlichen Hörvermögens. Um einen durch Paukenerguss bedingten Hörverlust auszuschließen, ist vorab eine Parazentese erforderlich, welche in der Regel vor der objektiven Hörprüfung durchgeführt wird. Ziel dieser Studie war es, den Einfluss der Parazentese auf die gemessenen Schwellen bei der ASSR zu untersuchen.

Material und Methoden: In dieser prospektiven, explorativen Studie wurden Kindern im Alter von 2 bis 6 Jahren mit unklarem Hörvermögen im Rahmen von Sprachentwicklungsstörungen eingeschlossen. Diese erhielten eine Parazentese des Trommelfells. ASSR-Schwellen wurden vor und nach der Parazentese in den Frequenzen 0,5, 1, 2 und 4 kHz gemessen und mittels gepaarten t-Tests für wiederholte Messungen verglichen. Aufgenommen in die Auswertung wurden nur Kinder mit belüfteter Paukenhöhle.

Ergebnisse: Es wurden 22 Ohren von 12 Patienten (Durchschnittsalter: 3,9 Jahre) analysiert. Nach der Parazentese zeigte sich eine Erhöhung der ASSR-Schwellen bei allen gemessenen Frequenzen. Bei 0,5 kHz wurde die größte Zunahme beobachtet, welche signifikant war(durchschnittliche Erhöhung: 3,4 dB, p=0,010). Bei den höheren Frequenzen waren die Unterschiede statistisch nicht signifikant.

Schlussfolgerungen: Die Parazentese führte zu einer leichten Erhöhung der ASSR-Schwellen, insbesondere im Tieftonbereich. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Parazentese eine geringgradige Schallleitungsschwerhörigkeit verursachen kann. Dieses Ergebnis könnte klinisch hilfreich sein, um Schallleitungsschwerhörigkeiten aufgrund von Trommelfellperforationen von sensorineuralen Hörverlusten zu unterscheiden. So lässt sich fundierter entscheiden, ob die Notwendigkeit einer Hörgeräteversorgung bei Kindern besteht oder weitere audiologische Verlaufskontrollen indiziert sind.

Text

Hintergrund

Bei unzureichender Kooperation in der subjektiven Audiometrie, fehlgeschlagener Melatoninsedierung und unklarem Hörvermögen, bieten objektive Messverfahren – wie Auditory Steady-State Response (ASSR) oder die Brainstem Evoked Response Audiometry (BERA) in Vollnarkose – eine verlässliche Möglichkeit zur Beurteilung des kindlichen Hörvermögens. Um einen durch Paukenerguss bedingten Hörverlust auszuschließen, ist vorab eine Parazentese erforderlich, welche in der Regel vor der objektiven Hörprüfung durchgeführt wird. Es ist allgemein bekannt, dass Trommelfellperforationen zu einer Schallleitungsschwerhörigkeit führen. Ziel dieser Studie war es, den Einfluss der Parazentese auf die gemessenen Schwellen bei der ASSR zu untersuchen.

Material und Methoden

In dieser prospektiven, explorativen Studie wurden Kindern im Alter von 2 bis 6 Jahren mit unklarem Hörvermögen im Rahmen von Sprachentwicklungsstörungen in drei HNO-Kliniken eingeschlossen. Ausschlusskriterien waren u.a. Gaumenspalten, Fehlbildungen des Mittelohres oder bekannte Taubheit. Diese erhielten eine Parazentese des Trommelfells in Vollnarkose. ASSR-Schwellen wurden vor und nach der Parazentese in den Frequenzen 0.5, 1, 2 und 4 kHz gemessen und mittels gepaarten t-Tests für wiederholte Messungen verglichen. Die Messdauer betrug zweimal 20 Minuten. Aufgenommen in die Auswertung wurden nur Kinder mit belüfteter Paukenhöhle.

Ergebnisse

Es wurden 22 Ohren von 12 Patienten (Durchschnittsalter: 3,9 Jahre) analysiert. Nach der Parazentese zeigte sich eine Erhöhung der ASSR-Schwellen bei allen gemessenen Frequenzen. Bei 0,5 kHz wurde die größte Zunahme beobachtet, welche signifikant war (durchschnittliche Erhöhung: 3,4 dB, p=0,010). Bei den höheren Frequenzen waren die Unterschiede statistisch nicht signifikant.

Tabelle 1 [Tab. 1], Abbildung 1 [Abb. 1]

Tabelle 1: ASSR-Schwellen vor und nach Parazentese

Abbildung 1: A: Boxplots der ASSR-Schwellen bei 0.5, 1, 2, and 4 kHz vor (weiße) und nach der Parazentese (graue). B: Mittelwert und 95%-Konfidenzintervall der ASSR-Schwellen vor und nach Parazentese. Signifikante Unterschiede sind mit einem Sternchen gekennzeichnet (* p=0.01).

Diskussion

Die Parazentese führte in dieser Studie zu einer leichten Erhöhung der ASSR-Schwellen im Mittel 3.4 dB, insbesondere zu einer signifikanten im Tieftonbereich bei 500 Hz. Frühere Studien berichten über einen frequenzspezifischen Parazentese-bedingten Hörverlust zwischen 2 und 25 dB [1], [2].

In weiteren Studien wurde beobachtet, dass die objektiv gemessenen Schwellenwerte tiefer Frequenzen (500 Hz) nach Parazentese schlechter ausfallen als subjektive Werte [3], [4]. Die genaue Ursache ist unklar. Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass die Parazentese einen akustischen Kurzschluss verursacht und somit die Impedanzwirkung des Trommelfells umgeht [5]. Der beobachtete Schwellenanstieg könnte somit zumindest teilweise durch die Parazentese verursacht sein.

Zu den Einschränkungen der Studie zählt, dass Kinder mit Parazentesen unterschiedlicher Größe und Lage eingeschlossen wurden. Die Lage einer kleinen Parazentese scheint laut Mehta et al. [6] keinen signifikanten Einfluss auf die Hörschwelle zu haben. Die eingeschlossenen Kinder waren zwischen 2 und 6 Jahre alt, was auf eine hohe Variabilität des Paukenhöhlenvolumens schließen lässt. Diese anatomischen Unterschiede könnten die beobachtete Streuung der Schwellen vor und nach Parazentese mit erklären. All diese Aspekte sollten in weiteren Untersuchungen berücksichtigt werden.

Schlussfolgerung

Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Parazentese eine geringgradige Schallleitungsschwerhörigkeit verursachen kann. Dieses Ergebnis könnte klinisch hilfreich sein, um Schallleitungsschwerhörigkeiten aufgrund von Trommelfell-perforationen von sensorineuralen Hörverlusten zu unterscheiden. So lässt sich fundierter entscheiden, ob die Notwendigkeit einer Hörgeräteversorgung bei Kindern besteht oder weitere audiologische Verlaufskontrollen indiziert sind.


References

[1] Gaur S, Sinha ON, Bhushan A, Batni G. Observations on Tympanic Membrane Perforations (Safe Type) and Hearing Loss. Indian J Otolaryngol Head Neck Surg. 2017 Mar;69(1):29-34. DOI: 10.1007/s12070-016-1021-1
[2] Ahmad SW, Ramani GV. Hearing loss in perforations of the tympanic membrane. J Laryngol Otol. 1979 Nov;93(11):1091-8. DOI: 10.1017/s0022215100088162
[3] Hoth S, Neumann K, Mühler R, Walger M. Objektive Audiometrie im Kindesalter. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg; 2014.
[4] Ding L, Zheng Z, Wang M, Zhang Y, Tang M, Yang Y, Liu Y. Comparison of ASSR and frequency specificity ABR induced by NB CE-Chirp for prediction of behavioral hearing thresholds in children with conductive hearing loss. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2024 Jan;176:111826. DOI: 10.1016/j.ijporl.2023.111826
[5] Moritz W. Verschiedene Trommelfellfunktionen unter veränderten Mittelohrverhältnissen. Arch Ohren Nasen Kehlkopfheilkd. 1951;159(2-6):364-70. DOI: 10.1007/BF02130053
[6] Mehta RP, Rosowski JJ, Voss SE, O’Neil E, Merchant SN. Determinants of hearing loss in perforations of the tympanic membrane. Otol Neurotol. 2006 Feb;27(2):136-43. DOI: 10.1097/01.mao.0000176177.17636.53