70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.
70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.
Übergreifende Sekundärnutzung von Versorgungsdaten in Deutschland am Beispiel Forschungsdatenzentrum und Datenintegrationszentren
2TMF – Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung e.V., Berlin, Germany
3Institut für Community Medicine, Universitätsmedizin Greifswald, Greifswald, Germany
4Universität Leipzig, Leipzig, Germany
5TU Dresden, Dresden, Germany
6Friedrich-Alexander-Unviersität Erlangen-Nürnberg, Erlangen, Germany
Text
Einleitung: Die Sekundärnutzung von Daten aus der Gesundheitsversorgung ist zentrales Thema verschiedener neuer digitaler Infrastrukturen: Daten aus der universitätsmedizinischen Behandlung sind in Datenintegrationszentren verfügbar [1]. Aus der Leistungsabrechnung über Kostenträger ermittelte ambulante und stationäre Daten können über das Forschungsdatenzentrum des BfArM unter Einbeziehung des RKI genutzt werden, künftig auch Daten der ePA der Bürger:innen [2]. Forschende sehen sich mit einer Vielzahl an Möglichkeiten konfrontiert, deren Existenz, Bedienung und Kombination sie erlernen müssen. In dieser Arbeit wird daher anhand eines konkreten Fallbeispiels analysiert, wie sich die unterschiedlichen Abläufe des Zugriffs für Forschende mit Ausgangspunkt beim Forschungsdatenportal für Gesundheit (FDPG) und im Hinblick auf das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) auswirken.
Methoden: Für die Analyse erfolgt die Definition der Persona Stefan Müller [3] als Forscher. Eine Persona ist eine archetypische Repräsentation eines Endnutzers, die dessen Perspektive auf ein zu gestaltendes Artefakt (z.B. Software-System) abbildet und den Prozess der Anforderungserhebung und -analyse unterstützen soll. Der Nutzen und die potenziellen Herausforderungen sind bereits gut erforscht und verstanden. Stefan Müllers konkrete Fragestellung betrifft die Rückfallwahrscheinlichkeit bei Diabetes Typ II in Folge einer stationär medikamentös behandelten Ketoazidose, verglichen zwischen subkutaner versus oraler Medikation in der ambulanten Nachbehandlung. Hierfür werden konkrete Daten aus der stationären Behandlung benötigt, die über die Datenintegrationszentren genutzt werden können. Die ambulante Nachbehandlung ist über das Forschungsdatenzentrum verfolgbar. Die notwendigen Beantragungsprozesse, vorliegende Datenmodelle und Möglichkeiten zur Datenverknüpfung werden untersucht und verglichen.
Ergebnisse: Die organisatorischen und technischen Prozesse für die Nutzung von Daten zur Beantwortung der genannten Fragestellung im Beispiel unterscheiden sich und erschweren so die sektorenübergreifende, patientenzentrierte Forschung auf Basis von „Real World Data“. Während die Nutzung in Datenintegrationszentren sowohl auf Basis verteilter Analysen als auch mittels zentralem Erhalt pseudonymisierter Daten möglich ist, kann im Forschungsdatenzentrum nur indirekt in einer gesicherten Umgebung ein Zugang erfolgen. Die Modelle und Formate der vorgehaltenen Behandlungsdaten unterscheiden sich stark – Interoperabilitätsstandard HL7 FHIR [4] vs. relationales Datenmodell [2], sodass sich Forschende mit diesen Unterschieden auseinandersetzen müssen, was Mehraufwände für sie abseits ihrer eigentlichen Fragestellung bedeutet. Konzepte für Verknüpfungsmöglichkeiten der Datenbestände, z.B. für föderiertes Record-Linkage, wurden in der Medizininformatik-Initiative (MII) bereits entwickelt. Erste Umsetzungen kommen bereits in ausgewählten Projekten zum Einsatz [5]. Eine flächendeckende Nutzung dieser neuen technischen Möglichkeiten in der MII, zum Beispiel zur Verknüpfung von MII- und FDZ-Daten, steht jedoch noch aus.
Schlussfolgerung: Mit dem konstruierten Fallbeispiel werden nur eine mögliche Fragestellung sowie zwei unterschiedliche Gesundheitsdateninfrastrukturen abgedeckt. Insbesondere Aufwände für Record-Linkage bzw. Treuhandbedarfe vervielfachen sich je nach zu nutzenden Datenbeständen. Hierzu müssen weitere Untersuchungen und Pilotprojekte erfolgen. Denkbar ist zukünftig, dass aufgrund der europaweit geplanten Möglichkeiten über HealthData@EU des European Health Data Space Teile der bestehenden Infrastrukturen vereinheitlicht werden. Um die Bearbeitung wissenschaftlicher Fragestellungen aus dem Bereich der Health Data Science zu ermöglichen, bei denen Entstehungsumstände und Potenziale von Versorgungsdaten optimal berücksichtigt werden, sind neue Formen von Data Literacy erforderlich: Forschende müssen übergreifende Kenntnisse über Datenbestände, Nutzungs- und Zugangsverfahren, Datenformate inklusive Interoperabilitätsstandards, medizinische Terminologien sowie Record-Linkage-Verfahren erlangen können, die derzeit vielfach Beratungsbedarf an Datenintegrationszentren bzw. beim FDPG erzeugen. Gleichzeitig müssen Forschungsdateninfrastrukturen Vernetzungs- und Datenverknüpfungsmöglichkeiten eruieren.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.
Literatur
[1] Medizininformatik-Initiative, Hrsg. Der Kerndatensatz der Medizininformatik-Initiative. 2025 [cited 15 Apr 2025]. Available from: https://www.medizininformatik-initiative.de/de/der-kerndatensatz-der-medizininformatik-initiative[2] Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), Hrsg. Datensatzbeschreibung FDZ Gesundheit. 2025 [cited 15 Apr 2025]. Available from: https://fdz-gesundheit.github.io/datensatzbeschreibung_fdz_gesundheit/
[3] Ammon D, Müller S, Saleh K, et al. Kundenorientierte Servicegestaltung eines Datenintegrationszentrums am Beispiel des Universitätsklinikums Jena. In: SMITH Science Day 2022; 23. Nov. 2022; Aachen. Düsseldorf: GMS; 2023. DocP22. DOI: 10.3205/22smith37
[4] Ammon D, Bietenbeck A, Boeker M, et al. Der Kerndatensatz der Medizininformatik-Initiative – Interoperable Spezifikation am Beispiel der Laborbefunde mittels LOINC und FHIR. medizin://dokumentation/informatik/informationsmanagement/ (mdi). 2019;21(4):113–117.
[5] Intemann T, Kaulke K, Kipker DK, et al. White Paper – Verbesserung des Record Linkage für die Gesundheitsforschung in Deutschland. 2023. DOI: 10.4126/FRL01-006461895



