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70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)
07.-11.09.2025
Jena


Meeting Abstract

Einsatz digitaler Assistenzsysteme in der häuslichen Pflege

Ajla Begovic

Text

Die Zahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland steigt stetig, während die Anzahl qualifizierter Pflegekräfte weiter abnimmt [1], [2]. Gleichzeitig wächst der Wunsch vieler Betroffener, möglichst lange in den eigenen vier Wänden versorgt zu werden [3]. Digitale Assistenzsysteme gelten in diesem Zusammenhang als vielversprechende Lösung, um die Autonomie und Lebensqualität Pflegebedürftiger zu unterstützen [4]. Allerdings bleibt unklar, inwieweit diese Technologien tatsächlich den individuellen Bedürfnissen der Betroffenen entsprechen [5]. Ziel dieser Arbeit ist es daher, die Anforderungen pflegebedürftiger Menschen an digitale Assistenzsysteme zu untersuchen und mögliche Gründe für ihre bisher begrenzte Nutzung in der häuslichen Pflege zu identifizieren.

Die zentrale Forschungsfrage lautet: Inwiefern entsprechen digitale Assistenzsysteme in der häuslichen Pflege den Bedürfnissen pflegebedürftiger Menschen?

Im Rahmen eines Mixed-Methods-Ansatzes wurden eine umfassende Literaturrecherche, eine schriftliche Befragung mit 62 ausgewerteten Umfragen sowie qualitative Interviews mit vier pflegebedürftigen Personen und einem Experten durchgeführt. Die Ergebnisse machen deutlich, dass trotz des Potenzials digitaler Assistenzsysteme noch erheblicher Verbesserungsbedarf besteht, um den Bedürfnissen pflegebedürftiger Menschen umfassend gerecht zu werden – insbesondere in den Bereichen Aufklärung, Kosten und Benutzerfreundlichkeit. Vor allem ältere und technikferne Nutzergruppen, die den Großteil der pflegebedürftigen Bevölkerung ausmachen, begegnen digitalen Technologien häufig mit Skepsis, was nicht selten bei der Nutzung zu Überforderung statt zur erhofften Entlastung führt. Gleichzeitig werden Notrufsysteme überwiegend als hilfreich wahrgenommen werden, während digitale Lösungen in Bereichen wie der Wundversorgung und der zwischenmenschlichen Betreuung nur geringe Akzeptanz finden. Zudem wird die Gefahr einer verstärkten sozialen Isolation durch den Einsatz solcher Technologien kritisch betrachtet. Deutlich wird, dass für die kommenden Generation dieser Herausforderungen in geringerem Maße bestehen werden, da sie mit digitalen Technologien aufwächst. Dennoch besteht akuter Handlungsbedarf, um die aktuelle Generation pflegebedürftiger Menschen besser zu unterstützen. Gezielte Aufklärung und eine stärkere Sensibilisierung der Gesellschaft für dieses Thema sowie eine verbesserte finanzielle Förderung können damit dazu beitragen, Berührungsängste abzubauen und die Akzeptanz zu erhöhen. Ebenso ist es entscheidend, die digitalen Kompetenzen pflegebedürftiger Menschen zu fördern, um ihnen den Zugang zu und den selbstbestimmten Umgang mit digitalen Assistenzsystemen zu erleichtern. Darüber hinaus sind modulare, benutzerfreundliche und leicht zugängliche Lösungen für die heterogene Zielgruppe erforderlich, um Barrieren zu überwinden.

Die Ergebnisse dieser Arbeit liefern wichtige Anregungen für die Weiterentwicklung digitaler Assistenzsysteme und ihre langfristige Integration in die häusliche Pflege. Besonders die verstärkte Implementierung digitaler Pflegeanwendungen (DiPA) sollte in zukünftiger Forschung stärker berücksichtigt werden, da sie sowohl zur Sensibilisierung der Gesellschaft für digitale Assistenzsysteme als auch zur Klärung finanzieller und nutzerbezogener Herausforderungen beitragen kann.

Die Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autorin gibt an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.


Literatur

[1] Statistisches Bundesamt. Pflegevorausberechnung: 1,8 Millionen mehr Pflegebedürftige bis zum Jahr 2055 zu erwarten. Verfügbar unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2023/03/PD23_124_12.html
[2] Statista. Bedarf und Angebot an Pflegekräften in Deutschland bis 2049. Statista; 2024. Verfügbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/172651/umfrage/bedarf-an-pflegekraeften-2025/
[3] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Hrsg. Gemeinsam im Wandel. Agenda für smarte Gesellschaftspolitik. 2. Aufl. 2023. Verfügbar unter: https://www.bmfsfj.de/resource/blob/179102/99450844ce3650c2d3f36c0e9f140952/gemeinsam-im-wandel-agenda-fuer-smarte-gesellschaftspolitik-data.pdf
[4] Weiß C, Lutze M, Compagna D; VDI/VDE Innovation + Technik GmbH, Braeseke G, Richter T, et al. Abschlussbericht zur Studie Unterstützung Pflegebedürftiger durch technische Assistenzsysteme. 2013 Nov. Verfügbar unter: https://vdivde-it.de/system/files/pdfs/unterstuetzung-pflegebeduerftiger-durch-technische-assistenzsysteme.pdf
[5] Müller C. Technische Assistenzsysteme in der Pflege müssen gesellschaftlich viel präsenter werden. In: Zentrum für Qualität in der Pflege, Hrsg. Pflege und digitale Technik. 1. Auflage. Berlin: Zentrum für Qualität in der Pflege; 2019. S. 49–54. DOI: 10.71059/GKPJ8561