70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.
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Digitale Innovation und Infrastruktur in der Epileptologie – eine Statuserhebung unter den Epilepsiezentren und Epilepsieschwerpunktpraxen der D-A-CH-Länder
2Department of Neurology, Epilepsy Section, RWTH Aachen University, Aachen, Germany
3Deutsche Gesellschaft für Epileptologie (DGfE), Marburg, Germany
Text
Einleitung: Die Digitalisierung und der technische Fortschritt haben in den letzten Jahren in der Behandlung und dem Management von Menschen mit Epilepsie einen wichtigen Platz eingenommen. Damit neue Technologien zu einer Verbesserung der Epilepsiepatient*innenversorgung betragen können, müssen diese in die vorhandenen Versorgungsstrukturen integriert werden [1]. Im Rahmen einer Statuserhebung unter den Epilepsiezentren und Epilepsieschwerpunktpraxen der D-A-CH-Länder (Deutschland, Österreich, Schweiz) sollen die aktuellen Versorgungsstrukturen der Einrichtungen, aufkommende digitale Weiterentwicklungen sowie die persönliche Einschätzung erfasst werden. Die Erkenntnisse dienen dazu, den aktuellen Status, die zukünftige Ausrichtung und den Einsatz digitaler Lösungen in der Behandlung von Epilepsiepatienten zu verdeutlichen.
Methoden: Es wurde eine IST-Erhebung auf Basis der Kategorien Versorgung, Digitalisierung, Forschung, Bedarf sowie Einstellung als online-Fragebogen in SosciSurvey durchgeführt. Zielgruppe waren die Leiter*innen, Mediziner*innen und an der Behandlung beteiligtes Personal der Epilepsiezentren und Epilepsieschwerpunktpraxen. Folgende Themenbereiche wurden abgefragt: Demografische Angaben, Versorgungsstrukturen, Technologien für das Selbstmanagement der Epilepsie, Entscheidungsunterstützung (CDSS), Forschung, Verbesserungen und Herausforderungen in der Patientenversorgung und Bewertung der Digitalisierung in der Epileptologie. Angaben zur Versorgung in den jeweiligen epileptologischen Einrichtung und Besprechungsformaten für komplexe Fälle wurden nur einmalig pro Einrichtung von der jeweiligen Leitung beantwortet. Die Auswertung erfolgt deskriptiv sowie durch Kategorisierung von Freitextantworten.
Ergebnisse: Die Umfrage wurde an 130 Leiter*innen (71 Epilepsiezentren und 59 Epilepsieschwerpunktpraxen) per E-Mail oder postalisch mit der Bitte um Weiterleitung an die Mitarbeiter*innen versandt. Die Rücklaufquote lag bei 32,3% (42 Einrichtungen (Epilepsiezentren=32, Epilepsieschwerpunktpraxen=10)). Der Fragebogen wurde von 65 Teilnehmern (39 Leiter*innen, 26 Mitarbeiter*innen) ausgefüllt.
Laut Angaben der Befragten bieten 38% der Einrichtungen Online-Video-Sprechstunden an. Der eArztbrief und das eRezept sind in den Praxen bereits zu 89% bzw. 100% im Einsatz, in den Zentren hingegen erst zu 20% bzw. 47%. In 93% der Kliniken erfolgen Fallbesprechungen, wobei sich die Vorbereitungszeit pro Fall bei 70% der Befragten auf 11–30 Minuten beläuft.
Die Teilnehmer*innen gaben an, zu 94% eine (sehr) positive Einstellung gegenüber Digitalisierung zu haben. Als zukünftig wichtigste Themen wurden Systeme zur integrierten Darstellung genetischer sowie Bild- und Labordaten angegeben. Technologien wie Apps und Medizingeräte für das Selbstmanagement wurden von 68% der Mediziner*innen verschrieben. Die Verlässlichkeit der aus verschriebenen Medizinprodukten stammenden Daten wird von 40% der Mediziner*innen auf Konsistenz mit anderen Befunden geprüft. Consumer-Technologien empfehlen 52% der Mediziner*innen den Patienten. CDSS finden nahezu keine Anwendung in der Versorgung (Angabe von 90%). Ebenso geben 71% der Klinikärzt*innen an, keine digitalen Systeme zu erforschen.
Schlussfolgerung: Die Statuserhebung zeigt den aktuellen Stand und damit verbundenen Handlungsbedarf bei der Einbindung digitaler Technologien in die Patient*innenversorgung. Sie liefert Informationen über Probleme und Versorgungslücken, die zukünftig von Gesundheitsdienstleistern, Industrie und Forschung adressiert werden müssen. Handlungsbedarf besteht u.a. beim Ausbau digitaler Angebote für Patienten, der Implementierung und Nutzung neuer Kommunikationsmöglichkeiten und der Erforschung von Entscheidungsunterstützungssystemen. Für den Einsatz von Medizinprodukten oder Consumer-Technologien für das Selbstmanagement ist das Wissen über die Technologien und ihrem klinischen Nutzen von großer Bedeutung [2]. Zudem bedarf es Unterstützung bei der Vorbereitung von Fallbesprechungen, da diese nicht ausreichend durch digitale Lösungen unterstützt werden. Eine potenzielle Limitation besteht in der Überrepräsentation von Führungspersonen (z.B. Chefärzt*innen), wodurch die Perspektive der unmittelbar Versorgenden unterrepräsentiert ist.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.
Literatur
[1] Mues S, Surges R. Forschung und Entwicklung telemedizinischer Anwendungen und mobiler Gesundheitstechnologien bei Epilepsie. Zeitschrift für Epileptologie. 2021;34(3):253–6.[2] Beniczky S, Wiebe S, Jeppesen J, Tatum WO, Brazdil M, Wang Y et al. Automated seizure detection using wearable devices: A clinical practice guideline of the International League Against Epilepsy and the International Federation of Clinical Neurophysiology. Epilepsia. 2021;62(3):632–46.



