70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.
70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.
Vom Reha-Wunsch zur Reha-Inanspruchnahme bei Personen 50+ – Ergebnisse aus der prospektiven lidA-Kohortenstudie
2Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit (Department für Humanmedizin), Witten, Germany
3Universität Bielefeld, Fakultät für Gesundheitswissenschaften, AG3 Epidemiologie und International Public Health, Bielfeld, Germany
Text
In Deutschland muss der Rehabilitationsantrag von Personen bei medizinischem Rehabilitationsbedarf selbst gestellt werden. Daher kann dem Reha-Wunsch in Bezug auf die tatsächliche Reha-Teilnahme ein hoher Stellenwert zukommen. Dies trifft insbesondere bei Personen im Alter 50+ hinsichtlich der Frage eines längeren Erwerbsverbleibs in einer alternden Gesellschaft zu. Allerdings gibt es bislang nur wenige Studien zum Zusammenhang zwischen Reha-Wunsch und -Inanspruchnahme bei über 50-Jährigen. Um diese Lücke zu schließen wird zunächst untersucht, welcher prognostischer Wert dem Reha-Wunsch bei den über 50-Jährigen unter Berücksichtigung von Drittvariablen in Bezug auf die Reha-Inanspruchnahme zukommt. Nachdem eine vorangegangene Rehabilitationserfahrung bereits als starker Prädiktor für eine nachfolgende Rehabilitationsteilnahme identifiziert wurde [1], wird zudem untersucht, welche Faktoren bei Personen ohne vorangegangene Rehabilitationserfahrung aber mit Reha-Wunsch die Chance einer Reha-Inanspruchnahme beeinflussen.
Datengrundlage bildeten 2748 sozialversicherte Studienteilnehmende der Jahrgänge 1959 und 1965 aus der 3. (2018) und 4. Welle (2022/2023) der lidA(leben in der Arbeit)-Kohortenstudie. Die zufällige Stichprobenziehung erfolgte bundesweit aus den Daten der Integrierten Erwerbsbiographie der Bundesagentur für Arbeit. Erhoben wurden der Reha-Wunsch sowie soziodemographische Merkmale, Angaben zur subjektiven Gesundheit (SF12) und Arbeitsfähigkeit (WAI 2) in Welle 3 und die Reha-Teilnahme in den vergangenen vier Jahren (Welle 3 und 4). In die Subgruppenanalyse der zweiten Fragestellung gingen zudem Angaben zur Erkrankungsart, zu Erwartungen an die Reha und einer vorangegangenen Reha-Empfehlung ein. Die Analyse erfolgte mittels Cramer’s V und multipler logistischer Regressionsanalyse. Selektionseffekten wurden mittels Gewichtung begegnet.
Personen mit Reha-Wunsch nahmen in den folgenden vier Jahren häufiger an einer medizinischen Reha teil als Personen ohne Reha-Wunsch (27,1 vs. 12,7%; p<0,001). Die Chance einer Reha-Teilnahme bei denen mit Reha-Wunsch lag vor Adjustierung für Kovariaten bei einer OR von 2,55 (95%-KI: 2,24-2,90) und nach Adjustierung bei 1,58 (95%-KI: 1,36-1,84). Prädiktiv für eine Reha-Inanspruchnahme waren zudem eine vorangegangene Reha-Teilnahme (OR: 2,71; 95%-KI: 2,33-3,17), ein schlechter subjektiver Gesundheitszustand (OR: 2,49; 95%-KI: 2,02-3,08), eine eingeschränkte Arbeitsfähigkeit (OR: 1,48; 95%-KI: 1,27-1,72) und ein geringer Bildungsgrad (OR: 1,24; 95%-KI: 1,01-1,53). Eine G1-Migrationsgeschichte ging mit einer verminderten Reha-Teilnahmechance einher (OR: 0,74; 95%-KI: 0,56-0,99). Personen mit Reha-Wunsch aber ohne vorangegangene Rehabilitationsteilnahme nahmen seltener eine Reha in Anspruch (19,7%) als die mit Rehabilitationsteilnahme (s.o.). Bei denen mit Reha-Wunsch ohne vorangegangene Rehabilitationsteilnahme erwiesen sich neben subjektiver Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und G1-Migrationsgeschichte eine vorausgegangene Reha-Empfehlung (OR: 1,74; 95%-KI: 1,31-2,30) und ihre Erwartungen bezüglich der Reha als signifikante Prädiktoren. Dabei zeigten diejenigen mit Erwartung einer verbesserten Arbeitsfähigkeit (OR: 2,14; 95%-KI: 1,36-3,37) oder Gesundheit (OR: 1,54; 95%-KI: 1,01-2,35) nach Reha eine höhere Teilnahmechance als die, welche sich primär Stressreduktion bzw. Erholung versprachen.
Erwartungsgemäß erwiesen sich der Reha-Wunsch wie auch eine vorangegangene Reha-Erfahrung als signifikante Prädiktoren für eine spätere Reha-Inanspruchnahme. Dabei ist der Reha-Wunsch offenbar nicht ganz unabhängig von anderen signifikanten Einflussgrößen wie subjektiver Gesundheit, Arbeitsfähigkeit und geringer Bildung. Die Beobachtung, dass die Erwartung an den Reha-Erfolg auch unabhängig von Gesundheit und Arbeitsfähigkeit die Reha-Teilnahmechance erhöht, stimmt mit bestehendem Kenntnisstand überein [2], [3].
Diese Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit zur Aufklärung über den Nutzen von medizinischer Rehabilitation, da der Reha-Wunsch und die Erwartung an den Reha-Erfolg die Reha-Teilnahmechancen erhöhen.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.
Literatur
[1] Mohnberg I, Spanier K, Peters E, Radoschewski FM, Bethge M. Determinanten für intendierte Anträge auf medizinische Rehabilitation bei vorangegangenem Krankengeldbezug. Rehabilitation. 2016;55(02):81-87. DOI: 10.1055/s-0042-100588[2] Petrie KJ, Weinmann J. Why illness perception matter. Clinical Medicine. 2006;6:536-539. DOI: 10.7861/clinmedicine.6-6-536
[3] Spanier K, Mohnberg I, Peters E, Michel E, Radoschewski M, Bethge M. Motivationale und volitionale Prozesse im Kontext der Beantragung einer medizinischen Rehabilitationsleistung. Psychother Psych Med. 2016;66(06):242-248. DOI: 10.1055/s-0042-106288



