70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.
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Extreme Hitze und akute psychiatrische Hospitalisierungen in Österreich: Ergebnisse einer Time-Stratified Case-Crossover-Analyse
2Competence Center Climate and Health, Austrian National Public Health Institute (GOEG), Wien, Austria
3Center for Health Decision Science, Departments of Epidemiology and Health Policy & Management, Harvard T. H. Chan School of Public Health, Boston, United States
4Program on Cardiovascular Research, Institute for Technology Assessment and Department of Radiology, Massachusetts General Hospital, Harvard Medical School, Boston, United States
Text
Einleitung: Internationale wissenschaftliche Studien deuten auf einen Zusammenhang zwischen Tagen mit extremer Hitze und einem erhöhten Risiko für akute psychiatrische Ereignisse (z.B. Hospitalisierungen auf Grund psychischer Erkrankungen und Suizide) hin. Die Ergebnisse bestehender Studien unterscheiden sich jedoch deutlich in Bezug auf Richtung und Stärke des beobachteten Zusammenhangs. Für den deutschsprachigen Raum im Allgemeinen und für Österreich im Speziellen liegt bislang nur wenig Evidenz vor. Ziel dieser Studie war es daher, den Zusammenhang zwischen Hitzeereignissen und Hospitalisierungsraten aufgrund psychischer Erkrankungen in Österreich zu untersuchen.
Methoden: Es wurde eine time-stratified case-crossover-Analyse durchgeführt, um den Zusammenhang zwischen der lokalen Tagesdurchschnittstemperatur am Wohnort der betroffenen Personen und ungeplanten Hospitalisierungen aufgrund psychischer Erkrankungen zu untersuchen. Aufgrund der Datenverfügbarkeit beschränkte sich die Analyse auf den Sommerzeitraum von Mai bis Oktober in den Jahren 2007 bis 2023. Als Endpunkt wurde das Odds Ratio (inkl. 95% Konfidenzintervall) für akute Hospitalisierungsaufenthalte aufgrund von psychischen und Verhaltensstörungen (ICD-10: F00–F99) verwendet. Der Primärfokus lag auf dem Vergleich von Tagen mit extremer Hitze, definiert als Tage am 95ten Temperaturperzentil der gesamten Beobachtungsperiode, mit Tagen am 50ten Temperaturperzentil (der Referenztemperatur). Grundlage der Analyse war eine 60%-Zufallsstichprobe aus den Hospitalisierungen in der Diagnosen- und Leistungsdokumentation des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz (BMASGK), welche nahezu alle Hospitalisierungen in öffentlichen und privaten Krankenanstalten Österreichs erfasst. Mit Hilfe des Wohnbezirks der hospitalisierten Fälle wurden die Expositionsdaten – Tagesdurchschnittstemperatur – auf Basis von Daten der GeoSphere Austria den Fällen zugeordnet. Die statistische Analyse erfolgte mithilfe logistischer Regressionsmodelle, wobei verzögerte Effekte bis zu 14 Tagen über distributed lag non-linear models (DLNM) berücksichtigt wurden. Für die Modellselektion – insbesondere hinsichtlich der funktionalen Form der Expositions-Wirkungs-Beziehung (z.B. natural Splines, B-Splines, lineare Funktionen) sowie der Anzahl und Platzierung von Knotenpunkten – wurde das Akaike-Informationskriterium (AIC) herangezogen. Ergänzend wurden verschiedene Sensitivitätsanalysen zur Prüfung alternativer Modellparametrisierungen durchgeführt.
Ergebnisse: Die analysierte Stichprobe umfasste 739.026 akute Hospitalisierungen mit einer Hauptdiagnose aus dem Bereich der psychischen Erkrankungen (ICD-10: F00–F99). Für Schizophrenie-Spektrum-Störungen (ICD-10 F20–F29) zeigte sich ein leichter, statistisch signifikanter kumulativer Anstieg der Chancen von Hospitalisierungen innerhalb eines 14-tägigen Verzögerungszeitraums nach einem extremen Hitzetag (Odds Ratio [OR]: 1,09; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,02–1,17) im Vergleich mit einem Tag mit Sommermediantemperatur.
Für organische psychische Störungen (ICD-10 F00–F09: OR 1,04; 95% KI: 0,97–1,11), affektive Störungen (ICD-10 F30–F39: OR 1,05; 95% KI: 0,99–1,11) sowie neurotische, stressbezogene und somatoforme Störungen (ICD-10 F40–F49: OR 1,04; 95% KI: 0,97–1,10) zeigten sich ähnliche Muster einer geringfügig erhöhten Chance eines Krankenhausaufenthalts nach einem Extremhitzetag im Vergleich zu Tagen mit medianer Temperatur. Diese Ergebnisse waren jedoch statistisch nicht signifikant. Die Sensitivitätsanalysen zeigten eine deutliche Abhängigkeit der Richtung, Stärke und Signifikanz des Zusammenhangs von der jeweiligen Modellparametrisierung, was die Bedeutung methodischer Entscheidungen unterstreicht.
Schlussfolgerung: Diese Studie schließt eine zentrale Evidenzlücke für Österreich und verdeutlicht die Notwendigkeit, psychische Gesundheit in der Hitzeschutzplanung stärker zu berücksichtigen. Zukünftige Forschung sollte sich auf die Untersuchung potenzieller kausaler Mechanismen konzentrieren und mögliche Interventionsansätze unter realen Bedingungen testen. Besonderes Augenmerk sollte dabei auf Personen mit Schizophrenie oder einem erhöhten Risiko für Schizophrenie gelegt werden.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.



