70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.
70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.
Berichterstattung über epidemiologische Studien in zwei deutschen Printmedien
2TU Dortmund, Fakultät Rehabilitationswissenschaften, Qualitative Forschungsmethoden und strategische Kommunikation für Gesundheit, Inklusion und Teilhabe, Dortmund, Germany
3Medizinische Fakultät, Abteilung für Allgemeinmedizin, Ruhr-Universität Bochum, Bochum, Germany
4TU Dortmund, Institut für Journalistik, Lehrstuhl Wissenschaftsjournalismus, Dortmund, Germany
Text
Einleitung: Epidemiologische Studien, die Alltagsthemen wie Ernährung, Alkoholkonsum oder Handynutzung betreffen, stoßen in der Bevölkerung auf breites Interesse und sind häufig Gegenstand journalistischer Berichterstattung. Es gibt jedoch kaum Studien dazu, wie in deutschen Printmedien die Ergebnisse dieser Studien dargestellt werden. Einzelne Untersuchungen zur medialen Berichterstattung zeigten, dass sich die hohe Prävalenz schwerwiegender Erkrankungen wie Diabetes und Depression nicht in der Intensität der Berichterstattung widerspiegelt, dass in der Berichterstattung zum Mammographie-Screening Nutzen und Schaden nicht ausgewogen dargestellt wurden, und dass in Berichten zu Darmkrebs durch Wurst- und Fleischkonsum quantitative Resultate nicht akkurat wiedergegeben wurden [1], [2], [3]. In der vorliegenden Studie soll anhand einer Stichprobe von Beiträgen aus einer überregionalen und einer lokalen Tageszeitung systematisch untersucht werden, zu welchen Themen und medizinischen Fachgebieten berichtet wurde, wie akkurat quantitative Ergebnisse berichtet wurden, ob Unschärfen in den Studien thematisiert wurden und ob eine qualitative Bewertung der Originalstudien vorgenommen wurde.
Methoden: Eingeschlossen wurden Beiträge der zweiten Jahreshälfte 2023 aus der Süddeutschen Zeitung (SZ) und der Stuttgarter Zeitung (StZ), sofern sie auf einer Originalpublikation aus einer Fachzeitschrift basierten, mindestens 400 Wörtern umfassten und thematisch der deskriptiven, analytischen oder klinischen Epidemiologie zugeordnet werden konnten. Ausgeschlossen wurden Beiträge zur Versorgungsforschung und zu COVID-19. Drei Rater beantworteten Fragen aus einem Codierschema sowie offene Fragen zu Themen und Akkuratheit der Berichte, zur Thematisierung von Unschärfen und zur Bewertung der Studienqualität.
Ergebnisse: Eingeschlossen wurden 18 Beiträge aus der SZ und 6 aus der StZ, von denen 16 (SZ) bzw. 2 (StZ) von eigenen Autoren verfasst wurden und die übrigen von einer Nachrichtenagentur stammten.
Die meisten Themen in den Berichten der SZ entfielen auf die Bereiche Prävention und Risikofaktoren für Erkrankungen (9 bzw. 7), in der StZ entfielen 3 Beiträge auf Gesundheitsberichterstattung und 2 auf Risikofaktoren. Die Beiträge thematisierten ein breites Spektrum medizinischer Fachgebiete ohne erkennbaren Schwerpunkt.
Der Median des Impactfaktors der Fachzeitschriften, in denen die berücksichtigten Originalstudien publiziert worden waren, lag bei 10,5 (SZ) beziehungsweise 8,7 (StZ).
In fünf (SZ) beziehungsweise einem (StZ) Beitrag wurden keine quantitativen Ergebnisse berichtet. Im Codierschema abgefragte Fehler bei der Darstellung quantitativer Ergebnisse traten nur im Einzelfall (1x Unklarheit, ob ein Risikounterschied absolut oder relativ war) oder gar nicht auf (Angabe fehlerhafter oder willkürlicher Schwellenwerte, Fehler bei bedingten Wahrscheinlichkeiten). In den offenen Fragen wurden weitere Fehler festgestellt (z.B. 2x fehlerhafte Interpretation des Kehrwerts von Effektschätzern, 2x nicht sinnvolle Übergenauigkeit bei absoluten Zahlen, 1x Interpretation eines Punktschätzers als Maximaleffekt). Unschärfen quantitativer Ergebnisse der Originalstudien wurden nur zweimal thematisiert, die Qualität der Originalstudien wurde fünfmal explizit bewertet (z.B. mögliches Confounding, Skepsis gegenüber Kausalschlüssen aus Beobachtungsstudien).
Fünf (=21%) Medienbeiträge bezogen sich auf Originalstudien, bei denen Skepsis angebracht ist, weil die berichteten Effekte extrem stark und möglicherweise übertrieben waren (z.B. Senkung des Mortalitätsrisikos um 48% durch 1700 zusätzliche Schritte am Tag, Verlängerung der Lebenserwartung um 24 Jahre durch Vermeidung von acht Risikofaktoren).
Schlussfolgerung: Gravierende Fehler bei der Berichterstattung über quantitative Studienergebnisse traten in den ausgewählten Medienbeiträgen selten auf. Originalstudien, in denen Effekte offensichtlich stark übertrieben dargestellt wurden, sind möglicherweise in der Berichterstattung überrepräsentiert.
Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.
Literatur
[1] Reifegerste D, Wiedicke A, Temmann LJ. Medienberichterstattung zu Präventions- und Therapiemöglichkeiten an den Beispielen Diabetes mellitus und Depression. Bundesgesundheitsbl. 2021; 4:28-36.[2] Baumann E, Ludolph R, Rosset M, Schlattmann M, Berens EM. Medien als Unterstützer einer informierten Entscheidung? Qualitätsaspekte der Presseberichterstattung über Brustkrebsfrüherkennung. In: Lampert C, Grimm M, Hrsg. Gesundheitskommunikation als transdisziplinäres Forschungsfeld. 1. Aufl. Nomos; 2017.
[3] Kowall B, Stang A. Fehler und Schwächen in der Berichterstattung über epidemiologische Studien in Printmedien: Das Beispiel „Fleischkonsum und Darmkrebs“. Gesundheitswesen. 2019;81:438-443.



