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70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)
07.-11.09.2025
Jena


Meeting Abstract

Forschung im Spannungsfeld: Der EHDS und die neue Regulierung von Gesundheitsdaten

Hans Hermann Dirksen 1
1FOM Hochschule für Oekonomie und Management, Frankfurt am Main, Germany

Text

Mit dem European Health Data Space (EHDS) schafft die Europäische Union einen neuen Rechtsrahmen für die Nutzung elektronischer Gesundheitsdaten sowohl zu primären als auch zu sekundären Zwecken. Für Forschungseinrichtungen bedeutet dies eine tiefgreifende Veränderung der datenschutzrechtlichen Ausgangslage. Der Vortrag stellt die Frage in den Mittelpunkt, inwieweit der EHDS einerseits den Zugang zu Gesundheitsdaten für die Forschung erleichtert, andererseits aber auch neue rechtliche Unsicherheiten und Verantwortungsrisiken schafft. Besonderes Augenmerk gilt dem Zusammenspiel von EHDS und DSGVO, der Rolle der Health Data Access Bodies sowie den Anforderungen an Anonymisierung, Zweckbindung und Betroffenenrechte.

Zur Beantwortung dieser Fragen wird eine systematische rechtsdogmatische Analyse der relevanten Rechtsquellen (EHDS-VO, DSGVO, einschlägige Erwägungsgründe, Stellungnahmen der Kommission) durchgeführt. Ergänzend erfolgt eine fallanalytische Betrachtung typischer forschungsbezogener Nutzungsszenarien, insbesondere im Bereich medizinischer Registerforschung und KI-gestützter Datenanalysen. Dabei werden methodisch die bestehenden und neu entstehenden Genehmigungs-, Haftungs- und Übertragungspflichten mit Blick auf Forschungsvorhaben in der EU und mit Drittstaatenbezug untersucht.

Die Untersuchung zeigt, dass der EHDS wesentliche Innovationen für die Sekundärnutzung von Gesundheitsdaten einführt, namentlich ein strukturiertes Genehmigungssystem durch Health Data Access Bodies sowie explizite Regelungen für Datenverarbeitung ohne individuelle Einwilligung. Gleichzeitig ergeben sich erhebliche Auslegungs- und Abgrenzungsprobleme: etwa hinsichtlich der praktischen Anwendbarkeit von Anonymisierungsanforderungen, der Abgrenzung zulässiger Forschungszwecke und der Zweckbindung. Auch neue haftungsrechtliche Risiken für datenverarbeitende Forschungseinrichtungen lassen sich identifizieren, insbesondere bei Verstößen gegen die engen Vorgaben der EHDS-Architektur oder fehlerhafter Drittstaatenübermittlung. Die empirische Betrachtung zeigt, dass der regulatorische Mehraufwand – trotz möglicher Erleichterungen im Datenzugang – nicht zu unterschätzen ist.

Der EHDS stellt einen bedeutenden Schritt zur Harmonisierung und Verbesserung des Gesundheitsdatenzugangs für Forschungsvorhaben dar. Jedoch besteht die Gefahr, dass die neuen Anforderungen an Transparenz, Sicherheit und Governance in der Praxis zu erheblichen Umsetzungshürden führen. Forschungseinrichtungen und Unternehmen sind gut beraten, ihre Datenschutz-Compliance- und Genehmigungsprozesse frühzeitig an die neue Struktur des EHDS anzupassen. Die effektive Nutzung der Chancen des EHDS wird wesentlich davon abhängen, inwieweit die Rechtspraxis geeignete Operationalisierungen für zentrale unklare Begriffe und Verfahren entwickelt. Ohne gezielte Flankierung durch praxisorientierte Auslegungshilfen und abgestimmte nationale Implementierungsmaßnahmen könnte die Vision eines grenzüberschreitenden europäischen Gesundheitsdatenraums an der juristischen Komplexität scheitern.

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Der Autor gibt an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.