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36. Kongress der Deutschen Kontinenz Gesellschaft e.V.

Deutsche Kontinenz Gesellschaft e.V.
14.-15.11.2025
Bielefeld


Meeting Abstract

Das Erleben von Frauen mit Stuhlinkontinenz nach Geburtstrauma – ein interpretativ-phänomenologischer Ansatz

Julia Kaiser 1
Daniela Hayder-Beichel 2
Sabine Metzing 3
1Caritas Bildungszentrum Dorsten, Dorsten, Deutschland
2HS Niederrhein, Krefeld, Deutschland
3Universität Witten/Herdecke, Witten, Deutschland

Text

Einleitung: Stuhlinkontinenz ist immer noch ein tabuisiertes und gesellschaftlich stigmatisiertes Thema. Frauen, die infolge eines Geburtstraumas unter Stuhlinkontinenz leiden, sind mit zahlreichen Herausforderungen und Einschränkungen in ihrer Lebensqualität konfrontiert [1]. Bislang wurden diese Frauen in der Forschung kaum berücksichtigt, obwohl Schätzungen von einer Prävalenz von 0,6-6% ausgehen [2]. Ziel dieser Studie war es, die Erfahrungen von Frauen mit Stuhlinkontinenz nach einer Geburtsverletzung und die daraus resultierenden Auswirkungen auf ihr Leben vor dem Hintergrund der identifizierten Forschungslücke zu untersuchen, um die Bedürfnisse und Anforderungen der Frauen zu erfassen und daraus Anregungen für die Umsetzung in bestehende Versorgungsstrukturen abzuleiten.

Methode: Es wurde ein qualitatives Forschungsdesign verwendet, um die komplexen und subjektiven Erfahrungen der betroffenen Frauen zu erfassen. Es wurden narrative Interviews geführt und mit Hilfe der interpretativ-phänomenologischen Analyse ausgewertet, da es neben der biomedizinischen Perspektive essenziell ist, die subjektive Wahrnehmung und Interpretation der (körperlichen) Erfahrung der betroffenen Frauen zu verstehen.

Ergebnisse: Für die Studie wurden insgesamt acht Frauen im Alter von 41 bis 72 Jahren rekrutiert. Es konnten insgesamt drei Oberkategorien mit jeweils 4-7 Unterkategorien identifiziert werden. Das „Leiden“ zeigt die multidimensionale Stresserfahrung, der betroffene Frauen ausgesetzt sind. Das „(normale) Weiterleben“ wird als Ziel verstanden und beinhaltet verschiedene Strategien des Umgangs mit einer stigmatisierten Krankheit. „Schweigen vs. sich offenbaren“ verdeutlicht das Spannungsfeld, in dem sich betroffene Frauen bewegen und ständig abwägen, in welchem Kontext sie bestimmte Aspekte ihrer Erkrankung verschweigen oder offenbaren.

Schlussfolgerung: Diese Studie zeigt, dass Frauen mit Stuhlinkontinenz nach einer Geburtsverletzung einem erheblichen Leidensdruck ausgesetzt sind, der durch gesellschaftliche Tabuisierung verstärkt wird. Um diesen Frauen eine adäquate Versorgung zu ermöglichen, sind gezielte Maßnahmen zur Enttabuisierung, stärkere interdisziplinäre Zusammenarbeit sowie ein verbessertes Screening und Aufklärung in der postpartalen Versorgung notwendig. Neben der Sensibilisierung von medizinischem Personal für die psychosozialen Folgen der Erkrankung bedarf es einer gezielten Einbindung der Hausärzt:innen und einer verstärkten Kontinenzpflege. Zukünftige Forschung sollte sich verstärkt mit der Weiterentwicklung und Evaluierung bestehender Versorgungsstrukturen befassen, um die Bedarfe betroffener Frauen besser zu berücksichtigen.


Literatur

[1] Tucker J, Wilson A Clifton V. Womenʼs experience of anal incontinence following a history of obstetric anal sphincter injury: a literature review. International Journal of Evidence-Based Healthcare. 2013;11(3):181-186. DOI: 10.1111/1744-1609.12025
[2] Rasmussen JL, Ringsberg KC. Being involved in an everlasting fight – a life with postnatal faecal incontinence. A qualitative study. Scandinavian Journal of Caring Sciences. 2010;24(1):108-115. DOI: 10.1111/j.1471-6712.2009.00693.x