41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
41. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP)
Datengetriebenes Clustering kindlicher Hörkurven: Eine Analyse von 16.165 Ohren im Deutschen Zentralregister für kindliche Hörstörungen (DZH)
2Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, Leipzig, Deutschland
Abstract
Hintergrund: Die frequenzspezifische Hörschwelle (Hörkurve) ist fundamental in Diagnostik und Therapie kindlicher Hörstörungen (HS). Bisher wurden Form und Prävalenz verschiedener Hörschwellenverläufe jedoch nur in kleinen Datensätzen beschrieben, sodass wichtige epidemiologische Zusammenhänge nur unzureichend charakterisiert sind. Die aktuelle Studie ermittelt typische Hörkurven-Formen aus dem DZH mit Hilfe von Gaussian-Mixture Models (GMM) und untersucht Zusammenhänge zwischen der Form der Hörkurve und weiteren klinischen Charakteristika.
Material und Methoden: Von n=9.465 Kindern mit permanenter Hörstörung wurden n=16.165 Hörkurven anhand altersentsprechender subjektiver Hörschwellenbestimmung oder BERA identifiziert und iterativ mittels GMM geclustert. Die optimale Clusteranzahl wurde aus einer Kombination aus BIC und Silhouettenkoeffizient ermittelt. Klinische Charakteristika (Alter, Art und Symmetrie der Hörstörung) wurden aus dem Register extrahiert und auf ihre Verteilung in den ermittelten Clustern untersucht.
Ergebnisse: Es wurden sechs Cluster ermittelt, die sich über alle Hörstörungs-Schweregrade verteilten: zwei pantonale Cluster, ein Cluster mit Tiefton-Hörverlust und drei Cluster mit Hochton-Hörverlust unterschiedlicher Steigung. Die meisten Hörkurven (n=5.770) fielen in das Cluster mit mittlerem Hochton-Abfall (PTA4: 44 dB HL), während die Anzahl der Hörkurven in den verbleibenden Clustern zwischen n=1.733 und n=2.589 lag. Sensorineurale HS dominierten in allen Clustern. Kombinierte und konduktive HS traten mit bis zu 12% vor allem in drei Clustern mit leichtem bis mittelgradigem Hörverlust auf. Das mittlere Alter über alle Cluster lag bei 6;1 Jahren (IQR: 4;8), wobei sich eine hohe Anzahl an Kindern im ersten Lebensjahr in den vier Clustern mit einem mittleren bis hochgradigem Hörverlust fand. Kinder mit unilateraler HS waren gleichmäßig in allen sechs Clustern vertreten, während Kinder mit bilateraler HS besonders häufig im Cluster mit leichtem Hochton-Hörverlust vorkamen. Bei 25% der Kinder mit bilateraler HS wurden die Hörkurven beider Ohren unterschiedlichen Clustern zugeordnet (zumeist eine Kombination aus pantonalem und Hochton-Hörverlust), was auf eine asymmetrische Hörstörung hindeutet.
Schlussfolgerungen: Datengetriebenes Clustering ermöglicht eine objektive und effiziente Segmentierung von Hörkurven. Aus der Kombination von Hörkurven-Clustern und klinischen Charakteristika ergeben sich audiologische Profile kindlicher Hörstörungen, die zukünftig die technische Versorgung und Diagnostik bereichern können.
Text
Hintergrund
Die frequenzspezifische Hörschwelle (Hörkurve) ist fundamental in Diagnostik und Therapie kindlicher Hörstörungen (HS). Bisher wurden Form und Prävalenz verschiedener Hörschwellenverläufe jedoch nur in kleinen Datensätzen beschrieben, sodass wichtige epidemiologische Zusammenhänge nur unzureichend charakterisiert sind. Die aktuelle Studie ermittelt typische Hörkurven-Formen aus dem DZH [1] mit Hilfe von Gaussian-Mixture Models (GMM) [2] und untersucht Zusammenhänge zwischen der Form der Hörkurve und weiteren klinischen Charakteristika.
Material und Methoden
Von n=9.465 Kindern mit permanenter Hörstörung wurden n=16.165 Hörkurven anhand altersentsprechender subjektiver Hörschwellenbestimmung oder BERA identifiziert und iterativ mittels GMM geclustert. Die optimale Clusteranzahl wurde aus einer Kombination aus BIC und Silhouettenkoeffizient ermittelt. Klinische Charakteristika (Alter, Art und Symmetrie der Hörstörung) wurden aus dem Register extrahiert und auf ihre Verteilung in den ermittelten Clustern untersucht.
Ergebnisse
Es wurden sechs Cluster ermittelt, die sich über alle Hörstörungs-Schweregrade verteilten: zwei pantonale Cluster, ein Cluster mit Tiefton-Hörverlust und drei Cluster mit Hochton-Hörverlust unterschiedlicher Steigung. Die meisten Hörkurven (n=5.770) fielen in das Cluster mit mittlerem Hochton-Abfall (PTA4: 44 dB HL), während die Anzahl der Hörkurven in den verbleibenden Clustern zwischen n=1.733 und n=2.589 lag. Sensorineurale HS dominierten in allen Clustern. Kombinierte und konduktive HS traten mit bis zu 12% vor allem in drei Clustern mit leichtem bis mittelgradigem Hörverlust auf. Das mittlere Alter über alle Cluster lag bei 6;1 Jahren (IQR: 4;8), wobei sich eine hohe Anzahl an Kindern im ersten Lebensjahr in den vier Clustern mit einem mittleren bis hochgradigem Hörverlust fand. Kinder mit unilateraler HS waren gleichmäßig in allen sechs Clustern vertreten, während Kinder mit bilateraler HS besonders häufig im Cluster mit leichtem Hochton-Hörverlust vorkamen. Bei 25% der Kinder mit bilateraler HS wurden die Hörkurven beider Ohren unterschiedlichen Clustern zugeordnet (zumeist eine Kombination aus pantonalem und Hochton-Hörverlust), was auf eine asymmetrische Hörstörung hindeutet.
Diskussion
Die hier gewählte Methode des Clustering ergab eine Repräsentation der gesamten Varianz kindlicher Hörkurven. Die hohen Zuordnungswahrscheinlichkeiten zu den ermittelten Clustern deuten außerdem auf eine reliable Segmentierung der Daten hin. Neben der Form der Hörkurve erlaubt das Clustering auch eine Berücksichtigung des Schweregrads der Hörstörung, sodass die tatsächlichen Hörbedingungen betroffener Kinder realistisch erfasst werden können. Es zeigten sich außerdem ausgesprochen heterogene Beziehungen zwischen klinischen Charakteristika und Hörkurven-Clustern, was Beobachtungen im klinischen Alltag und Daten früherer Studien bestätigt [3].
Fazit/Schlussfolgerung
Daten-getriebenes Clustering ermöglicht eine objektive und effiziente Segmentierung von Hörkurven. Aus der Kombination von Hörkurven-Clustern und klinischen Charakteristika ergeben sich audiologische Profile kindlicher Hörstörungen, die zukünftig die technische Versorgung und Diagnostik bereichern können.
Literatur
[1] Finckh-Krämer U, Spormann-Lagodzinski M, Gross M. German registry for hearing loss in children: results after 4 years. Int J Pediatr Otorhinolaryngol. 2000;56(2):113–27.[2] Pedregosa F, Varoquaux G, Gramfort A, et al. Scikit-learn: Machine learning in python. J Mach Learn Res. 2011;12(85):2825–30.
[3] Pittman AL, Stelmachowicz PG. Hearing loss in children and adults: Audiometric configuration, asymmetry, and progression. Ear Hear. 2003;24(3):198-205.



