Logo

70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)
07.-11.09.2025
Jena


Meeting Abstract

Verordnungsmuster von Anxiolytika, Sedativa und Hypnotika im Zeitraum von 2014 bis 2023 in Schleswig-Holstein

Marc Heidbreder 1
Timo Emcke 2
Reinhard Schuster 1
1Medizinischer Dienst Nord, Lübeck, Germany
2Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein, Bad Segeberg, Germany

Text

Einleitung: Laut einer jüngst publizierten internationalen Studie zögern Ärzte nach wie vor, eine Therapie mit Benzodiazepinen und Z-Substanzen insbesondere bei älteren Menschen abzusetzen (Deprescribing). Als Gründe gaben die befragten Haus- und Krankenhausärzte aus sechs Europäischen Ländern unter anderem fehlende Kompetenz, Priorisierung anderer gesundheitlicher Probleme, Zeitmangel und Widerstand der Betroffenen an. Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) des Gemeinsamen Bundesauschusses (G-BA) beschränkt in Deutschland wiederum die Anwendung von Hypnotika und Sedativa auf maximal vier Wochen bei Erwachsenen. Außerdem wird eine nicht unerhebliche Anzahl der Verordnungen dieser Arzneimittel auch für in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) Versicherte privat ausgestellt.

Methodik: Um das Verordnungsverhalten von niedergelassenen Ärzten in Schleswig-Holstein zu identifizieren, wurden die Verordnungen (VO) von Benzodiazepinen, Z-Substanzen und anderen Anxiolytika, Hypnotika und Sedativa für Versicherte aller Gesetzlichen Krankenkassen mit einer Arzneimittelverschreibung durch einen Vertragsarzt von 2014 (1.494 Mio. Patienten) bis 2023 (1.581 Mio. Patienten) analysiert.

Ergebnisse: Unter den Benzodiazepinen wurde Lorazepam mit großem Abstand am häufigsten mit 16.401 VO im Jahr 2014, die auf 20.145 VO im Jahr 2023 noch anstiegen, verordnet. An zweiter Stelle rangierte Diazepam, dessen Verordnungszahlen jedoch rückläufig waren (12.296 VO im Jahr 2014, verglichen mit 7.715 VO 2023), gefolgt von Bromazepam (7.103 VO im Jahr 2014, verglichen mit 3.009 VO 2023). Die Verordnungszahlen von Clonazepam, welches ausschließlich als Antikonvulsivum Anwendung findet, blieben über die Jahre stabil (1.467 VO 2014, verglichen mit 1.677 VO 2023). Die Verordnungszahlen der früher häufig angewandten Benzodiazepine Flunitrazepam, Lormetazepam, Nitrazepam oder Temazepam bewegten sich 2023 durchgehend in einem Bereich von wenigen hunderten Verordnungen. Betreffend die Z-Substanzen betrugen die Verordnungszahlen von Zopiclon 16.606 im Jahr 2014 und fielen auf 13.104 im Jahr 2023. Umgekehrt stiegen die Verordnungszahlen des (S)-Enantiomers von Zopiclon, Eszopiclon, welches im Februar 2021 in den Vertrieb gelangte, deutlich an (von 471 VO im Jahr 2021 auf 1.242 VO 2023). Die Verordnungszahlen von Zolpidem nahmen im Verlauf von 9.385 VO im Jahr 2014 auf 5.864 VO im Jahr 2023 ebenfalls ab. Zum Vergleich nahmen die Verordnungszahlen des Histamin H1-Rezeptorantagonisten Promethazin von 17.030 im Jahr 2014 auf 25.369 2023, die des Butyrophenon-Derivats Melperon von 10.711 auf 17.165 stark zu. Darüber hinaus war eine Zunahme der Verordnungen Melatonin-haltiger Arzneimittel von 698 VO im Jahr 2014 auf 4.076 VO 2023 zu verzeichnen. 245.049 Patienten erhielten für die Dauer eines Jahres durchgehend Verordnungen von Benzodiazepinen und/oder Z-Substanzen, 13.761 Patienten für die Dauer von fünf Jahren und 8.793 Patienten für die Dauer von 10 Jahren.

Diskussion: Zusammenfassend fand sich in den Jahren 2014 bis 2023 mit Ausnahme von Lorazepam und Eszopiclon eine durchgehende Abnahme der Verordnungszahlen von Benzodiazepinen und Z-Substanzen. Dennoch bewegen sich die Verordnungszahlen weiterhin auf einem hohen Niveau. Im Gegensatz dazu war eine beträchtliche Zunahme von Verordnungen von Melatonin, Melperon und Promethazin zu beobachten, die sich möglicherweise mit dem Ersatz von Benzodiazepinen und Z-Substanzen durch diese Arzneimittel erklären lässt. Auch bestätigte sich der bereits beschriebene Trend, dass Benzodiazepine und Z-Substanzen über viele Jahre durchgehend verordnet werden.

Schlussfolgerung: Es besteht noch immer die Notwendigkeit, die Zahl der Verordnungen von Benzodiazepinen und Z-Hypnotika auch mittels einschlägiger Handlungsempfehlungen zu reduzieren.

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.


References

[1] Barboza Zanetti MO, Dos Santos I, Durante JC, Varallo FR, Pereira LRL, Miasso AI. Consumption patterns and factors associated with inappropriate prescribing of benzodiazepines in Primary Health Care settings. PLoS One. 2024;19:e0309984, DOI: 10.1371/journal.pone.0309984
[2] Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN); Deutsche Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie (DG-Sucht). S3-Leitlinie Medikamentenbezogene Störungen. 1. Auflage. Version 01. 2020.
[3] Grimmsmann T, Himmel W. Privatverordnungen von Benzodiazepinen und Z-Substanzen in Ost- und Westdeutschland – eine Sekundärdatenanalyse. Gesundheitswesen. 2023;85:1213-1219. DOI: 10.1055/a-2160-2679
[4] Shapoval V, de Saint Hubert M, Evrard P, Sibille FX, Aubert CE, Bolt L, et al. Barriers to Deprescribing Benzodiazepines in Older Adults in a Survey of European Physicians. JAMA Netw Open. 2025;8:e2459883. DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2024.59883