Logo

70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)
07.-11.09.2025
Jena


Meeting Abstract

Entwicklung und Implementierung von KI-basierter klinischer Entscheidungsunterstützung in der stationären Versorgung

Paul Ludolph 1
Fabian Baehr 1
Mehdi Dastur 1
Julian Hugo 1
Dirk Schädler 2
Claas-Olsen Behn 3
Kai Wehkamp 4
Josef Ladenbauer 1
1Tiplu GmbH, Hamburg, Germany
2Klinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel, Germany
3Klinik für Innere Medizin I, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Kiel, Germany
4Department für Medizinmanagement, Medical School Hamburg, Hamburg, Germany

Text

Einleitung: KI-basierte Früherkennung und Risikoprädiktion medizinischer Ereignisse durch Clinical Decision Support Systems (CDSS) eröffnet neue Möglichkeiten für die Verbesserung der Patientenversorgung. Insbesondere für die Früherkennung von Sepsis besteht Evidenz, dass KI-basierte CDSS zu einer Mortalitätsreduktion im Krankenhaus beitragen können [1]. Maßgeblich für die Güte derartiger KI-basierter CDSS ist die Qualität der Trainingsdaten. Trotz intensiver Forschung und Entwicklung finden sich bisher jedoch weltweit kaum entsprechende erfolgreich in die Praxis implementierte Anwendungen.

In diesem Beitrag stellen wir einen erfolgreichen Weg von der Entwicklung eines CDSS bis zur Implementierung und Evaluation des CDSS als zugelassenes Medizinprodukt in der stationären Versorgung vor. Der Fokus liegt hierbei auf der Machine Learning (ML)-basierten Prädiktion von Sepsis-Verdachtsfällen anhand interoperabler, strukturierter und unstrukturierter klinischer Routinedaten. Das System bietet ein hohes Potential für die effiziente Qualitätssicherung und Reduktion medizinischer Risiken.

Methoden: Die entwickelten ML-Risikoprädiktionsmodelle basieren auf Paradigmen der erklärbaren künstlichen Intelligenz und des überwachten Lernens. Für das ML-Training wurde u.a. ein regelbasierter Sepsis-Detektionsalgorithmus zur Identifikation von Sepsis-Fällen in interoperablen elektronischen Patientenakten entwickelt. Der Lösungsansatz basiert auf einer deutschlandweit einzigartigen Infrastruktur für föderiertes ML und Datenanalysen mit einer Datenbasis von ca. 10 Mio. Patientenakten von über 130 Krankenhäusern.

Die Prädiktionsgüte der trainierten Modelle wurde auf einem separaten Teil des Trainingsdatensatzes anhand typischer Metriken retrospektiv evaluiert. Anschließend erfolgte die Integration in eine klinische Entscheidungsunterstützungssoftware (CDSS). In einem simulierten Anwendungsszenario mit Echtzeitdaten aktuell stationärer Fälle wurden die generierten Prädiktionen sowie deren erklärende Komponenten durch medizinisches Fachpersonal auf inhaltliche Plausibilität und klinische Relevanz geprüft.

Parallel zur klinischen Implementierung werden die Risikoprädiktionsmodelle im Rahmen einer prospektiven klinischen Validierungsstudie mit „Silent-Trial“-Design ab April 2025 an zwei Standorten des Universitätsklinikums Schleswig-Holsteins evaluiert. Hierbei werden u.a. die Prädiktionsgüte im Anwendungssetting und der zeitliche Unterschied zwischen Risikowarnung und dem Eintreten des medizinischen Ereignisses analysiert.

Ergebnisse: In der retrospektiven Evaluation betrug die Klassifikationsleistung des Sepsis-Modells vor Eintritt der Ereignisse gemessen mittels AUROC 0,954, für trainierte Modelle zu neun weiteren medizinischen Risiken lag sie zwischen 0,878 und 0,954. Die Warnungen von sieben entwickelten Risikoprädiktionsmodellen wurden durch Mediziner:innen im simulierten Anwendungsszenario als überwiegend angemessen und nachvollziehbar erklärt beurteilt. Erste Ergebnisse der prospektiven Validierungsstudie werden im Beitrag präsentiert.

Diskussion & Schlussfolgerung: Über den beschriebenen Weg konnten sieben ML-Prädiktionsmodelle – Sepsis, Akutes Nierenversagen, Delir, Hypoglykämie, Bluttransfusion, Sturz und Dekubitus – für ein CDSS entwickelt werden. Die CDSS-Lösung ist als Medizinprodukt der Klasse IIa zertifiziert und wird zurzeit in mehreren Krankenhäusern in Deutschland implementiert. Daraus können erste Erfahrungen bzgl. des Change-Managements und möglicher Probleme geteilt werden. Ab April 2025 erfolgt die erste Post-Implementierungsstudie, in welcher das CDSS im prospektiven Setting evaluiert wird. In Zukunft soll untersucht werden inwiefern das CDSS im klinischen Einsatz zu einer früheren Diagnostik und Behandlung von medizinischen Ereignissen und zu besseren Outcomes beiträgt.

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.


References

[1] Adams R, Henry KE, Sridharan A, et al. Prospective, multi-site study of patient outcomes after implementation of the TREWS machine learning-based early warning system for sepsis. Nat Med. 2022;28(7):1455–60.