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70. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V.

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS)
07.-11.09.2025
Jena


Meeting Abstract

Path:AID – Entwicklung eines prototypischen CDSS zur Versorgungseinordnung in der Neurologie

Selin Gürbulak 1
Abdelrahman Al-Zarow 1
Nora Asani 1
Nina Marie Bischoff 1
Janna Heide 1
Matthias Höllerhage 2
Olivia Kathmann 1
Zeinab Nassereddine 1
Christoph Schrader 2
Renate Sekinger 1
Corinna Trebst 2
Dominik Wolff 2
Johanna Apfel-Starke 1
1Hochschule Hannover, Hannover, Germany
2Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Germany

Text

Einleitung: Die Einordnung von Patient_innen mit neurologischen Erkrankungen zu einer geeigneten Versorgungsform (stationär, ambulant, teilstationär) ist an der Klinik für Neurologie ein komplexer Prozess. Diese Entscheidung wird durch zwei Oberärzte erfahrungsbasiert ohne verschriftlichte SOP getroffen, was die Reproduzierbarkeit und Delegierbarkeit der Triage-Entscheidungen erschwert.

Vor diesem Hintergrund wird im Rahmen des studentischen Projekts Path:AID ein prototypisches wissensbasiertes klinisches Entscheidungsunterstützungssystem entwickelt, um die Zuweisung transparenter und effizienter zu gestalten.

Stand der Technik: Es bestehen rechtliche Vorgaben über die Einordnung zu einer Versorgungsform bei Krankenhausbehandlungen (z.B. §39 SGB V), die jedoch nicht sämtliche Versorgungspfade und individuelle Krankheitsbilder abbilden. Der Einfluss von persönlichen Erfahrungswerten der Oberärzte ist ebenfalls ein Faktor. Die Fall-Informationen werden über eine Oberfläche im klinischen Arbeitsplatzsystem des lokalen KIS organisiert.

Vorangegangene Projekte zeigen, dass das gezielte Ausschließen von Differentialdiagnosen auf Basis objektiver, klinisch überprüfbarer Kriterien Auswirkung auf die Einordnung hat.

Laut Literaturrecherche wurde bisher keine geeignete grafische Form zur Unterstützung in der Einordnung von Patient_innen zu einer Versorgungsform publiziert. Die Arbeit von Röhr et al. (2011) modelliert bereits existierende Behandlungspfade in der klinischen Routine [1], während das vorliegende Projekt auf die Strukturierung bislang nur implizit vorhandener Entscheidungslogiken basiert.

Konzept: Es liegen historische Daten zu früheren Entscheidungen in einer nicht für ein maschinelles Lernverfahren anwendbarer Qualität und Quantität vor, weshalb strukturierte, leitfadenbasierte Interviews mit den verantwortlichen Oberärzten sowie eine Literatur- und Leitlinienrecherche der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) durchgeführt wurden.

Als Prototyp wurde eine interaktive Excel-Tabelle mit hinterlegtem VBA-Code umgesetzt, der die Benutzereingaben auswertet. Dies ist innerhalb der begrenzten Zeit im studentischen Projekt realisierbar und bietet den Vorteil, offline genutzt werden zu können. Dafür werden Entscheidungsregeln für die Funktionalität und eine strukturierte Darstellung für eine angenehme Benutzerführung berücksichtigt. Die Nutzerangaben über Kontrollkästchen sind logisch miteinander verknüpft (z.B. Auswahl einer binären Antwortmöglichkeit; Abhängigkeit von Schweregrad und Symptomen) und der Nutzer erhält daraufhin die Versorgungsempfehlung. Aufgrund eines anstehenden KIS-Wechsels wird bewusst auf eine Systemintegration des Prototyps verzichtet.

Implementierung: Das Projekt folgt einem agilen Projektmanagement-Ansatz (Scrum Framework) mit regelmäßigen Sprints sowie kontinuierlichem Austausch mit den klinischen Partner_innen, auf dessen Basis das Entscheidungsunterstützungssystem iterativ erstellt und evaluiert wird. Die Auswertung der Interviews erfolgt durch eine qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz [2]. Zur Veranschaulichung und Strukturierung des Entscheidungsunterstützungssystems werden zudem Flow-Charts zur grafischen Unterstützung entwickelt. Die Umsetzung erfolgt zunächst als Proof of Principle. Der entwickelte Prototyp soll zum Training weiterer Klinikmitarbeiter_innen eingesetzt werden.

Gewonnene Erkenntnisse: Durch Interviews und qualitative Inhaltsanalyse wurden folgende Faktoren als relevant für die Zuweisungsentscheidung identifiziert: Diagnose, Symptomatik, Vollständigkeit und Struktur der mitgesendeten (Zuweisungs-)Unterlagen. Eine erste Version einer detaillierten medizinischen Übersicht zu Diagnostik, Diagnose und Therapie wurde erstellt (https://whiteboard.academiccloud.de/share/tjb0EBhTTh0XHweRgVZM5g), auf der für grafische Entscheidungsübersichten aufgebaut werden kann.

Das Fachwissen der Oberärzte in technisch nutzbare Entscheidungsregeln zu überführen, stellte sich als herausfordernd dar, insbesondere die klare Abgrenzung der Entscheidungskriterien. Die Problematik der Anforderungsübersetzung ist in der Arbeit von Sens (2018) bereits thematisiert [3]. Es zeigte sich, dass eine iterative Vorgehensweise notwendig ist, um das implizite Wissen der Oberärzte durch Nicht-Kliniker_innen verfügbar zu machen und zu übersetzen. Die Erweiterung des Prototypens um die benannten historischen Daten ist zukünftig geplant.

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.


References

[1] Röhr S, Ammon D, Detschew V. Methodischer Entwurf und technische Implementierung klinischer Behandlungspfade – ein Erfahrungsbericht. In: Schreier G, Hayn D, Ammenwerth E, Hrsg. Tagungsband der eHealth2011. 26.–27. Mai 2011, Wien. Wien: OCG; 2011. S. 141–146.
[2] Kuckartz U. Qualitative Inhaltsanalyse: Methoden, Praxis, Computerunterstützung. 4. Aufl. Weinheim: Beltz Juventa; 2018.
[3] Sens B. Anforderungen und Lösungsansätze für eine domänenspezifische Sprache zur Abbildung medizinischer Entscheidungsprozesse [Masterarbeit]. Heidelberg: Universität Heidelberg; 2018.